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# taz.de -- Essen für Arme: Ein kulinarischer Spaziergang
> Warum in die Ferne schweifen, wenn das Elend liegt so nah? Was satt
> macht, gibt es für ein wenig Flaschenpfand, weiß unser Autor seit
> Kindheitstagen.
Bild: Allerlei aus dem Backofen
Es war einer der ersten warmen Abende, als ich auf der Suche nach einem Eis
am Schaufenster eines Buchladens in Prenzlauer Berg hängen blieb: [1][„Die
Küche der Armen“,] stand da. Und: „Ein ethnologischer Essay, Reiseberichte
und 300 Rezepte“ von Huguette Couffignal (März-Verlag).
Weil der Laden geschlossen hatte, half Google weiter: „Wir werden
mitgenommen nach Italien, in die USA und nach Indien – es geht also um die
Welt. Allerdings nie zu den Sehenswürdigkeiten, sondern dorthin, wo wir
eigentlich nicht genau hinsehen wollen. Couffignal nimmt uns mit zu den
Armen“, las ich. Die „Intensität ihrer Beschreibungen“ mache erfahrbar,
dass arme Menschen „oft keine Wahl“ hätten. „Vor allem nicht beim Essen.…
Meine ersten, irritierten und zugleich verärgerten Gedanken: Ist es jetzt
cool, arm zu sein und keine Wahl zu haben? Ist den Leuten im Prenzlauer
Berg vor lauter Wohlstand schon langweilig? Was soll der Scheiß!?!
„Ruhig, Großer“, war dann aber der zweite Gedanke, lass dich nicht
provozieren. Und dann dachte ich: Für [2][die Küche der Armen] müsst ihr
doch nicht um die Welt reisen! Ich habe da selbst ein paar Rezepte, die
mich zuverlässig durch die Jugend gebracht haben, obwohl ich auch oft wenig
Auswahl hatte. Noch heute greife ich in kurzen Homeoffice-Mittagspausen
oder an faulen Feierabenden auf diese Rezepte zurück. Statt
Termitenwürstchen aus Subsahara-Afrika, chinesischer Suppe mit Kalbslunge
oder schottischem Pudding aus Carragheen-Algen gibt es bei mir: Pizza Un
Formaggio, Allerlei aus dem Backofen, Porridge nach turkoschwäbischer Art.
## Folge der Packungsanweisung!
1. „Pizza Un Formaggio“: Brotreste mit etwas Wasser anfeuchten. Eine Seite
mit Tomatenmark beschmieren. Scheibenkäse in Streifen reißen und auf dem
Tomatenmark verteilen. 10 Minuten bei 200 Grad in den Backofen.
Anschließend mit Salz, Pfeffer und Chilipulver garnieren.
2. „Allerlei aus dem Backofen“: Pfandflaschen aus Küche und Balkon in einer
Tüte sammeln (am besten Plastikflaschen, weil mehr Pfand und leichter).
Pfand beim nächsten Supermarkt abgeben. In der Tiefkühlabteilung geeignete
Backofen-Gerichte aussuchen: Pommes, Kartoffelecken, Rösti (preisgünstige
Discounter-Versionen). Wenn die Pfandausbeute besonders gut war, ist auch
eine Packung Rösti mit Frischkäsezubereitung möglich. Zu Hause entsprechend
den Packungsanweisungen zubereiten und mit Ketchup, Mayo oder einer
anderen, lange haltbaren Sauce, die an finanzstärkeren Tagen gekauft
wurde, genießen.
3. „Porridge nach turkoschwäbischer Art“: Bei diesem schnell und mühelos
zubereiteten und darüber hinaus zu jeder Tages- und Jahreszeit passenden
Gericht gibt es nichts, was nicht erlaubt ist. Cornflakes, Müsli oder
irgendetwas anderes Trockenes in eine Schüssel geben. Milch draufschütten
(alternativ Wasser). Falls der Geschmack noch etwas fad ist, mit Zucker
nachhelfen. Falls vorhanden, gerne mit Zimt garnieren und genießen.
„In unserem Teil der Welt, der immer noch vor Opulenz überquillt, ist
dieses Kochbuch eine Aufforderung zur Besinnung“, heißt es in der
Beschreibung von „Die Küche der Armen“. Wer sich beim Essen [3][einmal
richtig arm fühlen möchte], „der muss nicht nach Kuba reisen, sondern kann
sich derlei exotische Gerichte künftig anhand von diesem Kochbuch selbst
zubereiten“. Exotische Küche gibt es aber auch hier bei uns, in
Deutschland. Sie müssen nur die Augen danach offen halten.
19 Jun 2024
## LINKS
[1] https://www.maerzverlag.de/shop/buecher/sachbuch/die-kueche/
[2] /Bewusster-Leben/!6012979
[3] /Archiv-Suche/!1562261&s/
## AUTOREN
Volkan Ağar
## TAGS
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