# taz.de -- Rede im US-Kongress: Netanjahu wütet gegen Proteste | |
> Israels Premier zeigt sich bei seiner Rede in Washington uneinsichtig und | |
> skizziert eine Nachkriegsordnung ohne Hamas. Die wirft ihm Lügen vor. | |
Bild: Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu spricht im US-Kongr… | |
Washington taz | Politisch, wütend und ohne Einsicht. Mit diesen drei | |
Worten lässt sich die Rede des israelischen Premierministers Benjamin | |
Netanjahu vor dem US-Kongress zusammenfassen. Er wurde am Mittwoch mit | |
stehenden Ovationen im Kapitol empfangen. Doch die feierliche Atmosphäre | |
konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Unterstützung für Netanjahu | |
unter den Abgeordneten und Senatoren schwindet. | |
Der Grund dafür ist das Vorgehen des israelischen Militärs in Gaza. Laut | |
der Gesundheitsbehörde in Gaza, die der Hamas untersteht, sind seit dem | |
Beginn des Kriegs mehr als 39.000 Menschen getötet worden. Ein Großteil der | |
Opfer sind Zivilisten, darunter auch Frauen und Kinder. Vor allem unter | |
Demokraten ist der Rückhalt für Netanjahu und dessen Regierung in den | |
vergangenen Monaten stark zurückgegangen. | |
Laut der Nachrichtenagentur ap boykottierten mehr 60 demokratische | |
Abgeordnete und Senatoren Netanjahus Rede. Die Demokratin Rashida Tlaib, | |
die erste palästinensisch-amerikanische Abgeordnete, hielt während | |
Netanjahus Ansprache eine Tafel mit den Worten „War Criminal“ | |
(Kriegsverbrecher) auf der einen Seite und „Guilty of Genocide“ (Schuldig | |
des Genozids) auf der anderen hoch. Sie brachte damit nicht nur die Gefühle | |
vieler ihrer Parteigenossen zum Ausdruck, sondern auch die Meinung vieler | |
US-Bürger. | |
Netanjahu skizzierte seine Vorstellung von einer Nachkriegsordnung im | |
Gazastreifen. Seine Vision sei „ein entmilitarisierter und | |
deradikalisierter Gazastreifen.“ Israel strebe „keine Umsiedlung“ des | |
Gazastreifens an. „Aber für die absehbare Zukunft müssen wir dort die | |
oberste Sicherheitskontrolle behalten, um das Wiederaufleben des Terrors zu | |
verhindern und sicherzustellen, dass der Gazastreifen nie wieder eine | |
Bedrohung für Israel darstellt,“ sagte Netanjahu. Der solle eine zivile | |
Verwaltung haben, an deren Spitze „Palästinenser stehen, die nicht | |
versuchen, Israel zu zerstören“. | |
## Proteste in Washington | |
Während er im Kapitol sprach, [1][kam es in der US-Hauptstadt zu | |
Protesten]. Tausende versammelten sich in der Nähe des Kapitols, um gegen | |
die israelische Regierung, Netanjahu und den Krieg zu protestieren. Sie | |
forderten einen sofortigen Waffenstillstand. Sie riefen die US-Regierung | |
dazu auf, keine weiteren Waffen an Israel zu liefern. | |
Vor der Union Station, dem Hauptbahnhof der Stadt, kam es auch zu | |
Vandalismus als Statuen und Denkmäler mit Hamas-Parolen beschmiert wurden | |
und die US-Flagge mit der Palästinensischen ersetzt wurde. Das | |
Sternenbanner wurde von den Demonstranten auch in Brand gesteckt. | |
Netanjahu richtete sich in seiner Rede auch direkt diese Demonstranten: „Es | |
ist unglaublich, aber viele Anti-Israel-Demonstranten entscheiden sich | |
dafür, auf der Seite des Bösen zu stehen. Sie stehen auf der Seite von | |
Hamas. Sie stehen auf der Seite von Vergewaltigern und Mördern“. | |
Er behauptete auch, dass die Anti-Israel-Proteste in den USA vom Iran | |
finanziert werden würden. Das hatte die amerikanische | |
Geheimdienstdirektorin Avirl Haines im vergangenen Monat in einer | |
Stellungnahme angedeutet. „Sie sind offiziell zu Irans nützlichen Idioten | |
geworden“, sagte der 74-Jährige. | |
Es war bereits Netanjahus vierte Rede vor dem US-Kongress und die erste | |
seit dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober, bei dem in Israel mehr als | |
1200 Menschen getötet wurden. Im Gegensatz zu seinen vorherigen Auftritten | |
hatte diese Rede einen deutlich politischen Unterton. | |
Netanjahu weiß um die aktuellen Vorkommnisse in der US-Politik. Er bedankte | |
sich sowohl bei Präsident Joe Biden als auch bei dessen Vorgänger Donald | |
Trump für deren Unterstützung Israels. Mit beiden wird er sich bei dieser | |
Reise auch persönlich treffen. | |
## Netanjahu will schnellere US-Waffenlieferungen | |
Und auch mit Vizepräsidentin Kamala Harris, der aktuellen Favoritin auf die | |
demokratische Nominierung für das Präsidentenamt, wird sich Netanjahu | |
zusammensetzen. Er weiß, dass Israel amerikanische Unterstützung braucht, | |
um nicht nur den Krieg in Gaza zu gewinnen, sondern auch für Stabilität in | |
der Region zu sorgen. | |
„Amerika und Israel müssen zusammenstehen. Wenn wir zusammenstehen, | |
passiert etwas ganz Einfaches: Wir gewinnen, sie verlieren“, erklärte | |
Netanjahu, der für eine Beschleunigung von US-Waffenlieferung plädierte. | |
Er sprach auch den Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in seiner Rede | |
an. Dieser hatte im Mai einen Haftbefehl gegen Netanjahu wegen mutmaßlicher | |
Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen beantragt. | |
Netanjahu erklärte, dass der ICC versuche, „Israel die Hände zu fesseln“. | |
Israel Premier versprach alles dafür zu tun, um die mehr als 100 Geiseln, | |
die noch immer von Hamas in Gaza festgehalten werden zu befreien. Die | |
Biden-Regierung erklärte im Gespräch mit Journalisten, dass Verhandlungen | |
über einen Waffenstillstand und die gleichzeitige Auslieferung der Geiseln | |
positiv verliefen. | |
## Angehörige der Geiseln enttäuscht | |
Bedenken darüber, dass Netanjahu die Verhandlungen bis zu den US-Wahlen im | |
November hinauszögern könnte, wurde von Regierungsmitgliedern | |
zurückgewiesen. Netanjahu hat in den vergangenen Monaten nicht nur viel | |
Rückhalt in den USA, [2][sondern auch in Israel eingebüßt]. Es wird | |
erwartet, dass ein Ende des Kriegs in Gaza auch das Ende von Netanjahus | |
Macht sein wird. Die Rede im US-Kongress dürfte daran nichts geändert | |
haben. | |
In einer ersten Reaktion ist Netanjahus Rede laut der Nachrichtenagentur ap | |
bei den Familien von acht im Gazastreifen festgehaltenen amerikanischen | |
Geiseln nicht gut angekommen. Sie seien „zutiefst enttäuscht“, dass er | |
nicht garantiert habe, dass die Geiseln nach Hause kommen werden, erklärten | |
sie in einer gemeinsamen Mitteilung. | |
Netanjahu habe versäumt, „neue Lösungen oder einen Weg voran“ aufzuzeigen | |
und sich zu einem möglichen Abkommen zur Freilassung der Geiseln zu | |
bekennen, das auf dem Tisch liege und zu dessen Abschluss er von | |
Verteidigungs- und Geheimdienstvertretern aufgefordert wurde. Die Familien | |
riefen ihn dazu auf, den Deal unter Dach und Fach zu bringen, „bevor es zu | |
spät ist“. | |
## Hamas: „Gerede eine glatte Lüge“ | |
Die islamistische Hamas erklärte in einer Stellungnahme laut dpa: | |
„Netanjahus Gerede über verstärkte Bemühungen um die Rückkehr der Geiseln | |
ist eine glatte Lüge und führt die israelische, amerikanische und | |
internationale Öffentlichkeit in die Irre.“ Netanjahu hatte in seiner Rede | |
keine Vereinbarung über eine Waffenruhe verkündet. | |
Er sei derjenige, „der alle Bemühungen zur Beendigung des Krieges und zum | |
Abschluss eines Abkommens“ über die Freilassung der Geiseln im Austausch | |
gegen palästinensische Häftlinge in israelischen Gefängnissen vereitelt | |
habe, teilte die Hamas weiter mit. Und das trotz der Bemühungen der | |
Vermittler und der „Flexibilität“, die die Hamas bei den Verhandlungen | |
gezeigt habe. „Man mache Netanjahu für die Folgen dieser Situation und für | |
das Schicksal der Geiseln im Gazastreifen verantwortlich, hieß es. | |
Die für diesen Donnerstag angekündigte Reise einer israelischen Delegation | |
nach Katar zu den indirekten Verhandlungen mit der Hamas verschiebt sich | |
weiter. Sie werde nun erste kommende Woche erwartet, bestätigte eine | |
israelische Repräsentantin. | |
25 Jul 2024 | |
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## AUTOREN | |
Hansjürgen Mai | |
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