| # taz.de -- Kita-Streik in Berlin: Auf dem Rücken der Kinder | |
| > Der Streik belaste vor allem Kinder und Eltern, argumentieren Senat und | |
| > Eigenbetriebe. Dabei gibt es Versorgungsprobleme auch ohne den Streik. | |
| Bild: Die Lokomotive stockt | |
| Berlin taz | Ob die [1][Kita aufgrund von Streik oder Personalmangel | |
| geschlossen] sei, mache für sie keinen Unterschied. „Der Streik ist kaum | |
| noch eine Extremsituation, so hat sich die gesamte Winterjahreszeit | |
| angefühlt“, sagt Mascha Krüger. Im Dezember, als die Krankheitswelle | |
| umging, sei ihr Sohn nur eine Handvoll Tage in der Kita gewesen. Krüger ist | |
| alleinerziehend, ihr Sohn ist fünf Jahre alt und geht in eine Kita der fünf | |
| Berliner Eigenbetriebe in Pankow. Die Einrichtung ist eine der 282 | |
| Tagesstätten, die diese Woche bestreikt werden. | |
| Angesichts des [2][5-tägigen Ausstands] mobilisiert die Arbeitgeberseite | |
| zunehmend den Unmut der Elternschaft. Der Konflikt, bei dem die | |
| Gewerkschaft Verdi den Senat zu Verhandlungen zu einem | |
| Entlastungstarifvertrag bewegen will, würde auf „dem Rücken der Kinder, | |
| Eltern und Kitas ausgetragen“ werden, heißt es in einer von den | |
| Geschäftsleitungen der Eigenbetriebe gestarteten Petition. | |
| Dabei wollen die Erzieher:innen mit dem [3][Entlastungstarifvertrag] | |
| den Ausnahmezustand lindern, der den Rest des Jahres in vielen Berliner | |
| Kitas herrscht: Personalnot, überlastetes Personal, hohe Krankenstände, | |
| eingeschränkte Öffnungszeiten, Schließungen. „Eigentlich hat die Kita von 6 | |
| bis 18 Uhr auf, davon sind wir aber meilenweit entfernt“, erzählt Krüger. | |
| Es werde probiert im Voraus zu planen, „aber oft heißt es dann auch: Morgen | |
| haben wir kein Personal.“ Dann heißt es verkürzte Öffnungszeiten oder | |
| Schließung, jedes Mal müsse man sich neu darauf einstellen. | |
| Wenn die Kita geschlossen hat, ist Mascha Krüger zwangsweise zu Hause. „Das | |
| heißt, dass ich den ganzen Tag arbeiten muss“: neben dem Job muss sie mit | |
| dem Kleinen rausgehen, Mittagessen kochen, mit ihm spielen. Bislang | |
| arbeitete die alleinerziehende Mutter in Teilzeit, bald muss sie auf | |
| Vollzeit gehen, weil der Betreuungsunterhalt, der finanzielle Ausgleich für | |
| Alleinerziehende mit jungen Kindern, ausläuft. | |
| Häufig plage sie ein schlechtes Gewissen, erzählt Krüger. „Ich parke ihn | |
| oft vor Netflix, seine Medienzeit ist nicht zu vergleichen mit der eines | |
| Kindes, das in die Kita geht.“ Wenn sie nicht gerade konzentriert bei der | |
| Arbeit sein müsse, könne sie gleichzeitig mit ihm spielen oder die Arbeit | |
| kurz unterbrechen. „Aber es ist ein ständiges Jonglieren.“ | |
| ## Corona hinterließ Spuren | |
| Zudem macht sie sich große Sorgen um ihren Sohn. „Seine gesamte Kitazeit | |
| war geprägt von sporadischem Kitabetrieb, erst durch Corona, dann durch die | |
| häufigen Schließungen und Streiks.“ Dadurch habe er wichtige | |
| Entwicklungsschritte verpasst. „Sein Spielverhalten ist komisch, er kann | |
| schlecht mit anderen interagieren, weil wir ständig zu zweit zu Hause | |
| sitzen.“ | |
| Die Coronakrise war nicht nur eine enorme Belastung für Kinder und Eltern, | |
| sondern auch für Pädagog:innen. Während sich andere Berufsgruppen im | |
| Homeoffice isolieren konnten, mussten Erzieher:innen Gruppen von | |
| Kleinkindern betreuen, die weder die Pandemie noch das Konzept von | |
| Kontaktbeschränkungen verstanden. Die Pandemie hinterließ bleibende Spuren | |
| bei vielen Heranwachsenden, doch der erhöhte Förderbedarf kann von dem | |
| Kitapersonal kaum geleistet werden. Dazu kommen mit dem Ukrainekrieg | |
| Tausende traumatisierte Kinder, die vorrangig in den Kitas der | |
| Eigenbetriebe untergebracht werden. | |
| Neben kurzfristigen Erkältungswellen, die nach Corona besonders häufig | |
| durch die Kitas schwappen, sind auch immer mehr Fachkräfte dauerhaft krank. | |
| Das steigert die Belastung für den Rest der Belegschaft, von der sich immer | |
| weniger in der Lage sehen in Vollzeit zu arbeiten. In dem Eigenbetrieb | |
| Kindergärten City beträgt die Teilzeitquote beispielsweise über 57 Prozent. | |
| ## Keine Vollzeit vorstellbar | |
| Eine aktuelle Untersuchung der Hans-Böckler-Stiftung zeigt, dass sich die | |
| „überwiegende Mehrheit“ der befragten pädagogischen Fachkräfte unter den | |
| gegebenen Arbeitsbedingungen nicht vorstellen kann in Vollzeit zu arbeiten. | |
| Im Gegenteil, viele Befragte äußerten den Wunsch, die Stunden noch weiter | |
| zu reduzieren. | |
| Krüger ist auch Gesamtelternvertreterin, nach Corona habe sie gedacht, die | |
| Zeit der Notbetreuung und ständigen Schließung von Gruppen sei vorbei. Aber | |
| es sei immer nur schlimmer geworden. „Also bin ich von Pontius zu Pilatus | |
| gegangen“, erzählt sie: von Elternbeirat über Bereichsleitung bis hin zur | |
| Kitaaufsicht, Bezirks- und Landeselternausschuss Kita. Dort habe sie | |
| festgestellt, dass es keine*n interessiert. „Denn auf dem Papier sieht | |
| alles in Ordnung aus.“ Formal habe die Kita ihres Sohnes sogar eine | |
| Überbelegung, also mehr Pädagog*innen als notwendig. | |
| Tatsächlich versucht der Senat die Krise in den Kitas mit dem Hinweis auf | |
| die hundertprozentige Beschäftigungsquote zu relativieren. Doch in der | |
| Praxis wird die Betreuungsquote aufgrund der hohen Krankenstände und der | |
| zunehmenden administrativen Arbeit, die die Erzieher:innen leisten | |
| müssen, nur selten eingehalten. | |
| Und selbst wenn, liegt der Schlüssel deutlich unter den wissenschaftlichen | |
| Empfehlungen für ein kindgerechtes Betreuungsverhältnis. Laut einer Studie | |
| der Bertelsmann-Stiftung aus dem November sind drei von vier Kitakindern | |
| unterbetreut. 20.000 Fachkräfte mehr würden benötigt, um den Missstand zu | |
| beheben, rechnen die Autor:innen vor. | |
| Dass ihr Sohn kaum Bildung bekomme, sei nicht die Schuld der Pädagog*innen, | |
| sagt Mascha Krüger. „Die Arbeit, die sie leisten, ist super, aber die | |
| Arbeitsbedingungen sind so schlecht, dass sie so oft ausfallen.“ Viele | |
| Eltern kritisieren die Streiks, weil sie die Folgen tragen müssen. Sie | |
| heiße den Arbeitskampf jedoch gut, sagt Krüger. „Die Streiks sind das | |
| letzte Mittel.“ Damit wollen sich viele Eltern jedoch nicht | |
| auseinandersetzen. | |
| 11 Jul 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Lilly Schröder | |
| Jonas Wahmkow | |
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