# taz.de -- Prosaband von Maren Kames: In einer abgewrackten Traumfabrik | |
> Maren Kames reist mit „Hasenprosa“ in lichte Höhen und familiäre Tiefen. | |
> Beim Nachdenken über Phrasen im Krieg kracht es. | |
Bild: Maren Kames trifft den Zeitgeist | |
Am Anfang ein Aufbruch. Die Erzählstimme schaut zurück und ist unzufrieden. | |
„Wenn das alles gewesen ist, rief ich mir über die Schulter, ziehe ich | |
aus.“ Damit könnte eine klassische Reisegeschichte beginnen, doch schon | |
Motiv- und Wortwahl auf den ersten Seiten verraten, dass Maren Kames mit | |
„Hasenprosa“ keinen Roman geschrieben hat, der sich an der bekannten | |
Roadnovel-Stilistik orientiert. | |
Da werden „Meilenstiefel“ angezogen, und ein überdreht-neugieriges wie | |
hypersensibles Ich fliegt „durch das Dach, das so lange tief unter mir sich | |
und mich in Sicherheit gewogen hatte“. | |
Ob die Handlungsfetzen in der sogenannten Realität angesiedelt sind oder ob | |
es sich gänzlich um einen lyrischen Fantasietrip durch Sprach- und | |
Denkwelten handelt, kann nie genau gesagt werden. So viel aber steht fest: | |
Auf dieser Trotztour ist ein Hase dabei, als Begleitperson, Medium, | |
Projektionsfläche. | |
## Den literarischen Nonsens feiern | |
Das erinnert an das berühmte Kinderbuch „Alice im Wunderland“ [1][des | |
britischen Schriftstellers Lewis Carroll], der mit Figuren wie dem | |
Märzhasen oder der Grinsekatze den literarischen Nonsens feierte, aber der | |
Gedanke, im kanonisierten Vorbild nach Parallelen oder Verbindungen zu | |
suchen, wird schon bald wieder verfliegen. | |
Die literarischen Wege, auf denen Kames unterwegs ist, führen vor allem | |
[2][zum Werk von Friederike Mayröcker], deren „pneumatische“ Poesie | |
stilprägend für die „Hasenprosa“ ist und die auch vorneweg zitiert wird: | |
„das verzweigte, verzwergte Gehirn behielt alles für eine Weile, dann ließ | |
es alles wieder los!“ | |
Diese Ästhetik speist sich vornehmlich aus sinnlichen Erfahrungen; schon in | |
der Antike wurde hierfür der Begriff der Aisthesis verwendet. Wer den | |
Sätzen von Maren Kames folgen möchte, sollte sich wohl auf eine leibliche | |
Wahrnehmungsebene begeben und die üblichen Rezeptionsgewohnheiten aufgeben, | |
die meist an realistischen, jedenfalls kognitiv nachvollziehbaren | |
Erzählkonzepten geschult sind. | |
## Rätselhafte Kunstsprache | |
Selbst zunächst „verständliche“ Formulierungen gehen bei Maren Kames in | |
eine rätselhafte Kunstsprache über, in der nicht mal die gängigen | |
Grammatikregeln gelten. Mal führen schroffe Klangmalereien zu putzigen | |
Neologismen, mal fehlt ein Verb, irgendwann verschwinden die Bezüge. | |
Ein melancholischer Restsinn lässt sich dennoch erahnen: „Ich bin mit dem | |
Hasen auf der Rückbank in einem traktorähnlichen Leihwagen durch eine | |
Gegend gefahren, die Hollywood war oder eine andere abgewrackte, baracke | |
Traumfabrik, der Hase hat immerzu gepfiffen wie ein Kessel unter Druck, | |
wobei Kessel wie Karosse selbstverständlich zerbeult, und alle schepperten | |
mit ihrem Blech, als wär’s ein Krachwettbewerb, auch die Rohrsysteme | |
draußen pfiffen wie chorisch aus ihren rostigen Verschlussklappen, ich | |
konnte mich kaum fokussieren auf das, was vor der Scheibe vorüberzog und | |
weg war, es war alles im selben Moment verschwunden, in dem es erschienen | |
war, eine vollends unnütze Fahrt ist es gewesen, es war so Schmach.“ | |
Die „Hasenprosa“ ist eine sprachliche Installation, die mit der skurrilen | |
„Weltmaschine“ des oststeirischen Bauern Franz Gsellmann zu vergleichen | |
ist, der in einer alten Scheune ein in sich schlüssiges, aber auch schwer | |
erklärbares Kunstwerk kinetischer Energie schuf. Schon mit „Luna Luna“ hat | |
Maren Kames ein Buch vorgelegt, das sprachlich kaum einzugrenzen war. | |
## Lyrik und Popsongtexte | |
Die Lyrikprosa beschrieb die Nachtseiten des Lebens und Liebens, | |
entwickelte sich zu einem hypnotischen Mondgesang, in dem Popsongtexte auf | |
Poesietradition trafen, es von Annie Lennox über David Bowie zu Helene | |
Fischer ging. | |
Auf dieser atemlosen Fahrt ins lunatische Herz der Finsternis ließ Kames | |
viele Tiere auftreten: Elefanten, Pelikane, Gänse aus Pappmaschee und | |
Bären, die aufgebunden werden wollen. Und dann noch ein Dämon namens | |
Sheitan, eine Stimme im Kopf des lyrischen Ichs, die an schreckliche | |
Niederlagen erinnert. | |
Der literarische Vorteil dieser tendenziell lyrischen Mischform war eine | |
mitreißende Reduktion auf Stimmungen und Bilder, und diese Präzision lässt | |
die „Hasenprosa“ ein wenig vermissen. Aus der traumhaften Abenteuerreise | |
spinnt sich nämlich ein Familienstück, in dem ein Großvater mit rissigen | |
Händen und zwei sehr unterschiedliche Großmütter beschrieben werden, „eine | |
helle, eine dunkle, eine heile, eine wunde“. | |
## Düstere Vergangenheit | |
Die düstere Vergangenheit wirkt durch die Generationen hindurch, im | |
Familienhaus ist alles konserviert: eine „dicke Schicht Sippenschuld treffe | |
ich bis heute im Erdgeschoss“. Obwohl die memoirhaften Passagen in einem | |
getragenen, fast traurigen Ton gehalten sind, wirken sie wie eine Parodie | |
auf Autofiktion, zumal sich die rastloste Prosa schon bald in anderen | |
Erinnerungskreisen und Zeitschleifen bewegt. | |
Nach Verlassen der familiären Gefilde geht es in neue Räume, von einer | |
„unruhigen“ Wohnsituation in die Berliner Volksbühne hinein in die Lektür… | |
von Sebald, Adorno und Roland Barthes. Die Zitate und Verweise (die alle | |
ordentlich im Anhang aufgelistet sind) häufen sich nun und es entsteht eine | |
Diskursprosa, die sich zu erklären, vielleicht auch Selbstkritik zu | |
betreiben versucht. | |
Da ist von „Penetranzen und Hyperpräsenzen von Biografie und Autofiktion“ | |
die Rede, und es werden Beschlüsse gefasst, die nach literarischem Manifest | |
klingen: „Also auf keinen Fall Realismus, solange es irgendwie schadlos | |
geht, und sicher nie als Ziel und Vorsatz“. Aber sind solche Losungen | |
überhaupt nötig? | |
## Und der Hase sagt „Halleluja“ | |
Vor allem wenn Thesen als halbpersönliche Frage daherkommen und | |
Befindlichkeiten als Erkenntnisse verkauft werden, wirkt der Text seltsam | |
redundant: „Weshalb fühlen sich Zugriffe auf nahezu jede Art von Realität, | |
Biografie, Betrieb und Weltgeschehen jenseits aller hasenhaft verspulten | |
Rahmenhandlung anmaßend, wie ein Übergriff, ein Benutzen mindestens an?“ | |
Irgendwann verläuft das „Driften rückwärts, Driften seitwärts“ doch wie… | |
Richtung Hasen, der schließlich „Halleluja“ sagt. | |
Tatsächlich gibt es in dem Band, der etwas zu offensichtlich auf gezielte | |
Überforderung angelegt ist, noch eine wichtige Erzählschicht zu entdecken, | |
die unter einem Klangteppich aus Billie Eilish, R.E.M. und Prince verborgen | |
liegt. Da geht es um Kriege, und um die Unfähigkeit, mit Sprache auf das | |
Sterben in der nahen Ferne zu reagieren: | |
„Dies ist die Sachlage, hier sind die Vokabeln, Buzzwords, und so sprechen | |
wir jetzt: BETROFFENHEIT!, rufen die immerzu aufstehenden Münder, KRIEG!, | |
schreien sie, VOR DEN TOREN EUROPAS, (crescendo) UNSERER HAUSTÜR!, | |
(fortissimo) IM 21. JAHRHUNDERT. Als hätte sich das durch Frieden bisher | |
irgendwie hervorgetan.“ | |
Maren Kames hat mit „Hasenprosa“ ein literarisches Kippbild geschrieben, | |
das mit voller Absicht überfrachtet ist. Dazu gehören psychedelische Fotos | |
und lustige Aufnahmen von Kakteen, die in dem Band genauso eingestreut sind | |
wie Lyrics vom „Singengel Peter Gabriel“. Pathos und Ironie wechseln sich | |
genauso ab wie Konkretes und Abstraktes, Komisches und Moralisches. | |
Dementsprechend ist auch die Lektüre: nervtötend und beglückend zugleich. | |
Mit ihrem Overkill der literarischen Mittel fängt [3][die 1984 in | |
Überlingen am Bodensee geborene Schriftstellerin] die politische | |
Stimmungslage der Gegenwart allerdings gut ein. | |
11 Jul 2024 | |
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## AUTOREN | |
Carsten Otte | |
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