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# taz.de -- FDP-Politikerin über Demo-Aktivismus: „Manchmal gibt es viele Ge…
> Karoline Preisler geht zu Demonstrationen, deren Ziele sie gar nicht
> teilt – um dort zu diskutieren. Das macht die FDP-Politikerin zur
> Zielscheibe.
Bild: Sucht bei Demonstrationen die Kommunikation und den direkten Kontakt: Kar…
wochentaz: Frau Preisler, Sie haben einem Interview nur unter der Bedingung
zugestimmt, dass es keine Informationen enthält, die Rückschluss auf den
Aufenthaltsort Ihrer Kinder zulassen. Was ist da los, wenn ein einfaches
FDP-Mitglied wegen seiner politischen Aktivitäten Angst um die Sicherheit
seiner Familie haben muss?
Karoline Preisler: Politische Arbeit hat immer Konsequenzen, selbst wenn
sie ein Ehrenamt ist. Ich habe zum ersten Mal Bedrohungen und Belästigungen
erlebt, [1][als die Nordkreuz-Gruppe] – ein Verein von Reichsbürgern und
Rechtsextremisten – mich auf ihre Feindesliste gesetzt hat, zusammen mit
ganz vielen anderen Künstlerinnen und Künstlern, Politikerinnen und
Politikern. Das waren Leute, die hatten schon Löschkalk für die
Massengräber ihrer politischen Gegner eingeplant. Das war eine unschöne
Erfahrung. In dieser Zeit sind Leute in das Haus eingestiegen, in dem ich
damals gemeldet war, und haben mit einem Bunsenbrenner Hakenkreuze in die
Decke eingebrannt. Wenn so etwas in dem Haus passiert, in dem man sich
aufhält, dann macht das was mit einem. Damals habe ich mich noch wehrhafter
gefühlt, denn ich war nicht die einzige Erwachsene im Haus. Nun hat sich
meine familiäre Situation verändert, und ich wohne mit meinen
minderjährigen Kindern alleine. Und da kam im letzten Sommer per Post ein
Galgenstrick ins Haus. Das hat meine Kinder sehr geängstigt.
Während der Coronazeit sind Sie in das Fadenkreuz von Querdenkern und
Verschwörungstheoretikern geraten. Was haben Sie gemacht, um deren Zorn auf
sich zu ziehen?
Mein damaliger Partner war einer der ersten Abgeordneten im Bundestag, der
sich mit Corona infizierte. Weil Corona eine große gesellschaftliche und
politische Herausforderung war, entschieden wir uns dafür, über diese
Krankheitserfahrung offen zu kommunizieren. Als er sein positives
Testergebnis hatte, sind unsere Kinder und ich sofort in die freiwillige
Quarantäne gegangen. Weil wir nicht mehr aus dem Haus konnten und trotzdem
sinnvoll politisch arbeiten wollten, haben wir ein „Coronatagebuch“ auf
Twitter veröffentlicht. Als dann ganz viele Leute krank wurden, konnten sie
auf diese Erfahrungen zurückgreifen. Wir haben in Videos Updates über den
Krankheitsverlauf gegeben, beschrieben, was das mit der Familie macht, wie
es funktioniert, in einem Mehrfamilienhaus mit der Krankheit zu sein, mit
gesunden und kranken Menschen, und alle unseren Irrungen und Wirrungen. Als
ich krank wurde, war mein Verlauf schwerer. Ich musste ins Krankenhaus. Wir
wussten nichts. Sehen wir uns wieder? Kann man das überstehen? Was hat das
für Folgen? Es gab damals ja noch keine Impfung. Wir haben mit einigen
Posts Millionen Menschen erreicht. Das war überwältigend.
Man könnte ja sagen: So eine Krankheit ist Privatsache, warum muss man das
in der Öffentlichkeit verhandeln? Da muss man sich nicht wundern, wenn es
Reaktionen gibt, auch solche, die nicht so freundlich sind.
Das sehe ich genauso. Wir ahnten zu Beginn dieses Tagebuchs nicht, worauf
wir uns einlassen. Ganz besonders nicht, als es mich und die
Krankenhauszeit betraf. Wir hatten uns als Familie entschieden. Alle
Entscheidungen wurden einstimmig getroffen. Manchmal muss man
gesellschaftlich Sachen tun, auch wenn sie für einen selbst unbequem sind.
Und das war so eine Sache.
Und wie sah das Feedback konkret aus?
Die meisten Reaktionen waren zunächst einmal positiv. Ich habe mich mit
Menschen auf der ganzen Welt vernetzt. Ich habe mit Menschen in der
Quarantäne in Spanien und in der Türkei Kontakt gehabt, denen es deutlich
schlechter ging, weil bei uns in Deutschland das Gesundheitssystem trotz
aller Verwerfungen funktionierte. Und es gab viel Hilfe: Ich habe zum
Beispiel aus dem Isolationszimmer im Krankenhaus ein Bild getwittert.
Darauf trug ich eine FFP2-Maske, die ich als Brillenträgerin falsch
aufgesetzt hatte. Sobald ich das Bild gepostet hatte, meldete sich jemand
und sagte: Achtung, die Maske sitzt falsch. Die Brille muss oben drauf,
sonst schließt das nicht ab, und wenn jemand ins Zimmer kommt, könnte der
sich anstecken. Das hat mir sehr geholfen und vielen anderen Menschen auch.
Denn die Fragen, die ich hatte, hatten andere ja auch, und die Fehler, die
ich gemacht habe, machten andere auch. Corona war etwas, das die ganze Welt
vereint hat. Wir alle haben eine gemeinsame Erfahrung, ganz unabhängig von
dem Ort, an dem wir wohnen. Aber ich habe natürlich auch viel Negatives
erlebt, Morddrohungen und Ähnliches. Niemand ist unbelastet aus dieser
Krise rausgegangen. In Barth, wo ich damals lebte, rief ein junger Mann bei
Facebook dazu auf, ein Erschießungskommando bei mir vorbeizuschicken. Ich
machte davon einen Screenshot und twitterte das. In dieser Stadt kennen
jeder jeden. Was dieser Mann danach erlebt hat, war vergleichbar mit dem,
was mir passiert ist. So wie es mich erschüttert, dass jemand eine Mutter
mit Kindern erschießen will, so hat es mich erschreckt, was er für einen
digitalen Shitstorm geerntet hat, und zwar aus seinem eigenem
Bekanntenkreis.
Sie hätten ihn auch anzeigen können. Wieso sind Sie so milde gegenüber
jemand, der Ihnen den Tod wünscht?
Er hatte sich später bei mir entschuldigt. Mir reichte das, wir waren
damals alle dünnhäutig. Bei anderen, die mich bedrohen, erstatte ich
Strafanzeige. Zuletzt hat mich bei Youtube, Tiktok und Instagram ein
Hamas-Unterstützer als „Tötungssubjekt“ markiert. Das ist auch wieder ein
junger Mann. Er schickt das in die Runde, erzielt Reichweite, Tausende von
Leuten sehen das, und keine 24 Stunden später erlebte ich einen
körperlichen Übergriff in Berlin. Weil Terrorunterstützer das lesen und
sich berufen fühlen, loszugehen und angebliche Zionisten zu eliminieren.
Das war am 3. Mai, als die Humboldt-Universität besetzt wurde. Ich war als
Beobachterin dabei. Danach war ich noch nicht mal zu Hause, da hatte der
bekannte Islamist mich in den sozialen Medien schon als Feind markiert – so
wie die Hamas, die auch im Netz Videos veröffentlicht, wo Kriegsziele mit
diesem roten Dreieck gekennzeichnet werden, damit man sieht, wo gleich die
Rakete einschlägt.
Hat Tiktok diese Videos nicht gelöscht?
Bei Tiktok hat der Rechtsstaat vollkommen verloren. Ich habe Anwälte, die
sich um so etwas kümmern, und natürlich ist der Staatsschutz eingeschaltet.
Der weiß auch, von wem das ausging. Der junge Islamist ist oft Gegenstand
von Ermittlungen.
Sie haben während der Pandemie angefangen, zu Demos zu gehen und da quasi
Eine-Frau-Gegendemos durchzuführen. Was haben Sie da gemacht und warum?
Das war ein Dialogangebot. „Gegendemo“ ist der falsche Begriff, weil ich ja
gezielt dorthin gehe, wo Leute anderer Auffassung sind, um Gespräche mit
ihnen zu führen. Ich habe das schon in der Zeit der
Flüchtlingsherausforderung erkannt: Jeder geht zur Demonstration seiner
Community. Die brüllen sich dann gegenseitig an. Und dann gehen alle nach
Hause. Das ist doch nicht zielführend! Darum bin ich bei Corona zu den
Leuten gegangen, die gesagt haben, die Krankheit gibt es nicht, und habe
ihnen von meiner Erkrankung erzählt. Und diesen Leuten, die so aufgewühlt
waren, habe ich gesagt: Ich verstehe, was Sie hierher treibt. Aber schauen
Sie doch mal bitte rechts und links, mit was für Leuten Sie da
demonstrieren. Die wollen unserer Gesellschaft schaden. Manchmal bin ich
auch schlauer zurückgekommen.
Solche Gespräche kann man ja in der Regel nur mit ein oder zwei Personen
führen. Das hat doch überhaupt keine Breitenwirkung, damit erreichen Sie
doch nur das ein oder andere Individuum.
Aber das ist total wichtig. Diese Leute waren politikverdrossen. In der
Pandemie hat man ja ganz viel Politik nicht gesehen. Dass man in seinem
Elend allein war, davon konnte auch ich ein Lied singen. Ich sollte ja auch
normal arbeiten, Homeschooling und so weiter bewerkstelligen und war mit
der Organisation dessen ziemlich allein. Viele Menschen litten unter dem
gesellschaftlichen Pandemiemanagement. Querdenken war dann eine reine
Gelddruckmaschine. Da hat man Menschen in Stresssituationen ausgenutzt.
Diese Querdenker haben ihre eigene Community geprellt, betrogen, belogen
und sich privat bereichert. Darum sitzen die Spitzen der Bewegung jetzt
auch vor Gericht oder im Gefängnis. Ich wollte den Leuten, die zum Umsturz
der Gesellschaft aufriefen und mit einem Galgen rumliefen, die Schwungmasse
nehmen. Dabei habe ich aber auch wirklich anständige Menschen getroffen,
die jemanden verloren hatten oder die der Berichterstattung über die
Krankheit nicht vertrauten. Wenn man das ernst nimmt, macht man als
Politiker etwas, das zur Jobbeschreibung gehört. Politik ist oft ein
Ehrenamt, und ich habe versucht, die Ehre der Politik zu retten.
Clips von Ihren Gesprächen wurden auch online gepostet. Wer hat das denn
überhaupt gefilmt? Sie selbst mit dem Selfie-Stick?
Bis ich ins Krankenhaus gekommen bin, war alles selbst gemacht, mit sehr
bescheidener Medienkompetenz. Aber danach bin ich professioneller geworden
und habe Passanten gebeten, mich aufzunehmen. Denen habe ich einfach mein
Smartphone in die Hand gedrückt oder gebeten, dass jemand mir hinterher
Bilder schickt. Ich treffe dabei sehr nette Menschen, und Kommunikation ist
alles.
Ich erinnere mich an einen Auftritt bei einer Demonstration vor dem
Reichstag, wo Sie neben der Rednerbühne standen, mit einem Schild, auf dem
„Bullshit“ stand. Ist das wirklich eine Einladung zum Dialog?
Da war der [2][Redner Rüdiger Hoffmann], ein früherer NPD-Kader, der für
einen Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim verurteilt wurde. Er ist auch
ein übler Antisemit. Hoffmann führt seine Versammlungen oft an einem Datum
durch, das historisch sehr emotional besetzt ist. Der stellt sich dann am
9. November vor den Reichstag und erzählt sinngemäß, dass eine jüdische
Weltherrschaft beseitigt werden müsse. Da ist „Bullshit“ genau die richtige
Ansage. In Einzelfällen bin ich schon sehr plakativ. Aber manche Menschen
brauchen auch einen Impuls, der drastisch ist, damit man sie erreicht.
Manchmal gelingt es Ihnen bei diesen Demonstrationen, Gespräche mit
Teilnehmern zu führen. Aber oft werden Sie auch physisch angegangen,
angerempelt. Können Sie erzählen, was Sie da für Erfahrungen gemacht haben?
An manchem Tagen gibt es sehr viele Gespräche. Und es gibt schlechte Tage,
da sind die Leute, die dorthin kommen, bereits so aufgewühlt, dass es zu
keinem Gespräch kommt. Manchmal fangen die Leute gleich an, einen aufs
Übelste zu beschimpfen, „du blöde Fotze“ und so. Dann sage ich: Mit
Verlaub, wir können über alles reden. Aber wir müssen uns einig sein, dass
wir uns nicht beschimpfen.
Das klingt so, als ob das bei Ihnen bei verbalen Auseinandersetzungen
bleibt. Aber viele missliebige Beobachter oder Berichterstatter wurden bei
Coronademos ja regelmäßig angegriffen, geschubst, ihr Equipment beschädigt.
Das ist zutreffend. So erlebte ich das auch. Wobei man sagen muss, dass das
jetzt bei den Palästina-Demos viel schlimmer ist. Jetzt werde ich
angespuckt und bedrängt. Bei den Coronademos war es auch nicht schön. Aber
was ich jetzt bei den Palästina-Demos sehe, habe ich noch nie erlebt. Ich
wusste nicht, dass diese Art der Brutalität und diese Übergriffigkeit in
ganzen Personengruppen so selbstverständlich geworden ist. Bei jeder
Demonstration gibt es jemanden, der versucht, mir wehzutun, mit der
Fahnenstange nach mir schlägt oder mich anrempelt. Und ich rede hier von
Frauen und Männern. Ich mache schon längst keine eigenen Bilder mehr, damit
die Hände zum Eigenschutz frei sind, weil es eben nicht nur um meine
Plakate geht, sondern um meine Tasche, meine Haare, mein Handy. Es ist
nackte Gewalt.
Sind diese Demos überhaupt der beste Ort, um solche Dialoge zu führen? Oder
gäbe es vielleicht andere Situationen, wo man nicht mit Leuten konfrontiert
wird, die eh schon aufgekratzt und aggressiv sind?
Ich bin ja schon seit den 80er Jahren politisch aktiv, und da gibt es viele
Formate. Aber die Bürgersprechstunde und der Wahlkampfstand sind es halt
nicht. Denn dort trifft man auf Menschen, die bereits ein demokratisches
Grundverständnis haben oder einem eher zustimmen. Im Grundgesetz steht:
Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Deswegen muss man dahin gehen, wo das
Volk ist.
Bei diesen Demos stehen Sie meistens alleine da. Warum benutzen Sie Ihre
politische Bekanntheit nicht dafür, um größere Gruppen oder Gegendemos zu
organisieren? Als Einzelperson kann man schnell als Provokateurin abgetan
werden und hat einen schwächeren physischen Stand gegenüber den Massen.
Es gibt ja Gegenproteste. Allerdings gibt es dann diese Gespräche nicht,
weil die Gegendemos räumlich getrennt werden. Wenn man sich mit mehreren
Leuten zu einer Demo zusammenschließt, muss man das anmelden, und dann gibt
es einen Sicherheitspuffer dazwischen. Und jeder geht nach Hause, ohne dass
es eine Kommunikation und einen direkten Kontakt gab. Und was Sie als
körperliche Unterlegenheit beschrieben haben, ist auch ein enormer Vorteil.
Man sieht eben, dass ich vollkommen harmlos bin. Ich nehme auch immer
Blumen mit, weil ich denke: Das Blumenmädchen schlägt keiner.
Es gibt aber sehr wohl Videos, wo sich die Leute feiern, weil sie Sie
angerempelt oder beleidigt haben.
Ich weiß. Aber ich glaube, dass so etwas nur in deren Kreisen zieht. Wer
darüber lacht, dass eine einzelne Frau fertig gemacht wird, kann einem eher
leidtun.
Haben Sie das Gefühl, dass Sie auch wegen Ihres Geschlechts eine besonders
willkommene Zielscheibe sind?
Menschen, die den politischen Islam unterstützen, sind keine Feministen.
Ich kenne ganz großartige Menschen in jeder Religion. Hier geht es um eine
ganz bestimmte Personengruppe, die ein Problem damit hat, dass ausgerechnet
eine Frau ihnen entgegentritt. Das fällt allerdings auf die Akteure zurück.
Im Islam ist das Verhalten, das sie an den Tag legen, haram, also unrein.
Einer Frau und Mutter gebührt Respekt. Den lassen sie vermissen. Ich
fordere ihn trotzdem ein.
15 Jul 2024
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Tilman Baumgärtel
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