| # taz.de -- taz-Serie: Die Reichsbürger (Teil 1): Willkommen im Deutschen Reich | |
| > Spinner, Rechte oder Abgehängte? Wieso Menschen die Bundesrepublik | |
| > anzweifeln. Erkundungen in Milieus, in denen Demokratie erodiert. | |
| Bild: Ein bisschen preußischer Glamour zur rassistische Haltung – das Brande… | |
| BERLIN/POTSDAM/WITTENBURG taz | Die Dämmerung hat den Marktplatz, von dem | |
| der Wandel ausgehen soll, schon halb verschluckt. Rüdiger Hoffmann hat | |
| seinen Kombi direkt vor dem Rathaus geparkt und die mitgebrachten Banner | |
| ausgeladen. „Es reicht!“, steht darauf. „Raus aus der Diktatur.“ | |
| Wittenburg, ein Ort in Mecklenburg-Vorpommern. Ein kalter Wind hechelt um | |
| die Fachwerkhäuser. Hoffmann, ein unauffälliger Typ mit Brille und kurzen | |
| grauen Haaren, zieht seine Jacke um sich. Hinter ihm im Halblicht zeichnen | |
| sich die Silhouetten von einem Dutzend Leuten ab. „Hier stimmt etwas nicht. | |
| Immer mehr Menschen stellen Fragen“, sagt er. „Wieso ändert sich nichts? | |
| Wieso haben wir immer weniger Geld? Und immer mehr Probleme?“ | |
| Wie er es sieht, kommt langsam eine Wahrheit ans Licht, die lange | |
| unterdrückt worden ist: Dass es die Bundesrepublik nicht gibt, sondern nur | |
| ein dubioses Firmengeflecht, das sich als Staat tarnt. Und weil er so | |
| denkt, soll er ein Reichsbürger sein? Er fährt hoch, seine Stimme wird | |
| laut: „Bei den Leuten, die wirklich Fragen stellen, da wird gesagt: Das | |
| sind Reichsbürger. So etwas nennt man nationalsozialistisches Vorgehen. | |
| Weil man im Dritten Reich genauso die Juden angegangen ist.“ | |
| ## Schießereien in Bayern | |
| Die kleine Kundgebung in Wittenburg ist ein Anzeichen dafür, dass etwas aus | |
| dem Gleichgewicht geraten ist. Denn es geht in dieser Geschichte nicht nur | |
| um ein paar Eigenbrötler mit absurden Thesen, sondern um die Frage, warum | |
| die Ideologie der Reichsbürger verfängt. Der Begriff bündelt eine Vielzahl | |
| von Gruppen, die nur eins gemeinsam haben: die Überzeugung, dass das | |
| Deutsche Reich bis heute existiert, weil die Bundesrepublik kein legitimer | |
| Staat ist. | |
| Gerade erst machte die bisher gravierendste Konfrontation zwischen ihnen | |
| und dem Staat Schlagzeilen: Ein Sportschütze, der auf seinem Grundstück in | |
| Bayern seinen eigenen Staat ausgerufen hatte, eröffnete das Feuer, als die | |
| Polizei seine Waffen beschlagnahmen wollte. Ein Polizist starb, drei wurden | |
| verletzt. Erst im August kam es in Sachsen-Anhalt zu einer Schießerei, weil | |
| sich ein Reichsbürger bei einer Zwangsräumung gegen die Polizei Wehr | |
| setzte. | |
| Michael Hüllen, Mitarbeiter des Verfassungsschutzes in Brandenburg, läuft | |
| durch die Flure des Innenministeriums in Potsdam, tippt einen Code in das | |
| Zahlenfeld einer Tür, das Schloss öffnet sich mit leisem Klick. Dann lässt | |
| er sich in einem engen Besprechungsraum nieder. „Reichsbürger alleine sind | |
| lästig“, sagt er, „aber wenn sie als Gruppe auftreten, werden sie oft | |
| hochaggressiv.“ | |
| ## Die Radikalität nimmt zu | |
| Rund 300 von ihnen soll es in Brandenburg geben, hat der Verfassungsschutz | |
| ermittelt. Aber längst nicht jeder ist den Behörden bekannt. „Das Spektrum | |
| geht relativ weit“, sagt Hüllen, „und am Rand gibt es Leute, wo wir denken: | |
| Da kann was passieren.“ Die Radikalität der Szene nehme seit Jahren zu. Was | |
| ihm Sorgen macht, ist, dass die Ideologie in die Mitte der Gesellschaft | |
| einsickert: Er nennt die Reichsbürger ein „Zwischenspektrum“, das auf der | |
| einen Seite Normalbürger zu sich zieht, die das Vertrauen in den Staat | |
| verloren haben, und auf der anderen Anknüpfungspunkte für Neonazis bietet. | |
| Seit Längerem schon versucht Hüllen, die diffusen Strukturen des Milieus zu | |
| erfassen; er schaltet sein Laptop ein, ein Diagramm erscheint: Da sind die | |
| revisionistischen Gruppen, die im Rechtsextremismus wurzeln. Da sind | |
| regionale, unstrukturierte Milieus, Querulanten, gescheiterte Existenzen. | |
| Und da sind Milieumanager, die aktiv versuchen, den Staat zu | |
| destabilisieren. Unter dem Begriff erscheint auf dem Display ein Bild von | |
| Rüdiger Hoffmann. | |
| Auf dem Marktplatz von Wittenburg wird es allmählich spät; Hoffmann spricht | |
| schnell, seine Gedanken springen wie Pingpongbälle von Thema zu Thema, von | |
| der Freimaurersymbolik auf den Euro-Scheinen zum Krieg in Syrien und der | |
| Ukraine. „Wir wollen in Frieden leben“, sagt er, „wir wollen unsere Heimat | |
| wiederhaben.“ Hoffmann war in den 90ern als Kreisvorsitzender in der NPD | |
| aktiv. Er wurde verführt, sagt er heute. In seinem Koordinatensystem ist es | |
| umgekehrt: Nicht er ist der Nazi. Deutschland setze die faschistischen | |
| Gesetze Hitlers fort. | |
| Seine Anhänger vergraben die Hände tief in den Taschen; ab und an glimmt | |
| eine Zigarette. Im Internet gibt es eine Fülle von Videoclips, die zeigen, | |
| wie Reichsbürger Mitarbeiter in Finanz- oder Bürgerämtern massiv bedrängen. | |
| Wenn man Hoffmann danach fragt, schüttelt er den Kopf. „Das geht nicht“, | |
| sagt er. „Das verletzt die Menschen.“ | |
| ## „Das ist destruktiv“ | |
| Hoffmann sagt, weder er noch einer seiner Leute sei den Mitarbeitern der | |
| Stadt gegenüber je laut geworden. Bürgermeisterin Margret Seemann erzählt | |
| etwas anderes: „Die sind an Tagen in die Stadtverwaltung gekommen, an denen | |
| es keine Sprechzeiten gibt, gingen von Büro zu Büro. Einige wurden | |
| ausfällig.“ Sie hat Hausverbote erteilt, ihre Mitarbeiter fühlten sich | |
| bedroht. Sie selbst wurde von Hoffmann angezeigt, wegen Hochverrats und des | |
| Einschleusens von Flüchtlingen. „Wir kümmern uns um die Anliegen der | |
| Bürger“, sagt sie, „aber das sind keine normalen Anliegen, das ist | |
| destruktiv.“ | |
| Mit Reichsbürgern sprechen heißt, ihnen in ein Labyrinth zu folgen, in dem | |
| hinter jeder Biegung immer neue, bizarre Wendungen liegen. Historische | |
| Versatzstücke, politische Mythen und antisemitischen Theorien greifen | |
| ineinander. Wenn es den Staat nicht gibt, muss jemand anders die Fäden | |
| ziehen, und das sind meist das US-Finanzkapital oder Geheimlogen – Chiffren | |
| für das „Weltjudentum“. | |
| Durch die Säulen des Brandenburger Tors in Potsdam treten zwei Männer in | |
| Anzügen, sie steuern im Touristenstrom auf ein Café zu. Thomas Mann und | |
| Bernd Weber sind Mitglieder der administrativen Regierung des „Freistaats | |
| Preußen“ – einer bundesweiten Gruppierung, die vom Verfassungsschutz als | |
| rechtsextrem eingestuft wird. | |
| ## In den Grenzen von 1914 | |
| Seit der Schießerei in Bayern stehen sie unter Druck: „Jetzt macht man eine | |
| generelle Hexenjagd auf unterschiedliche Gruppen, zusammengefasst und | |
| bezeichnet als Reichsbürger“, sagt Thomas Mann. „Dieser Vorgang ähnelt | |
| einer Zeit, da hat man Menschen stigmatisiert, indem man ihnen Sterne | |
| anheftete.“ Die zwei suchen sich einen abgelegenen Tisch. Das Reden | |
| übernimmt Mann, Weber sitzt still daneben. Es ist ihm wichtig, einige Dinge | |
| zurechtzurücken. Er lehne die Bundesrepublik nicht ab – aber man müsse | |
| sehen, was sie sei: „Eine Nichtregierungsorganisation. Eine auf Basis des | |
| Grundgesetzes von den Alliierten eingesetzte Verwaltung.“ | |
| Mann war früher bei der Bundeswehr, heute arbeitet er als Heilpraktiker. Er | |
| trägt Sakko und Krawattennadel, spricht in ruhigen, sortierten Sätzen. Aber | |
| wenn man seine Thesen anzweifelt, wird seine Stimme plötzlich kalt: „Wir | |
| machen das nicht, weil wir einen Kegelclub gründen wollten. Wir reden hier | |
| von völkerrechtlichen Fakten.“ | |
| Mann sieht sich und seine Mitstreiter als Verwalter eines neuen, besseren | |
| Deutschland. Seinen Personalausweis hat er abgegeben, er führt die Papiere | |
| mit sich, die der „Freistaat Preußen“ verkauft. „Das Deutsche Reich ist, | |
| wie vom Bundesverfassungsgericht bestätigt, nicht untergegangen, sondern | |
| durch die Alliierten handlungsunfähig gestellt worden.“ Das Deutsche Reich | |
| in den Grenzen von 1914, inklusive der einstigen Ostgebiete. Über | |
| Revisionismus wolle er nicht reden, „weil die Geschichte wird immer von den | |
| Siegermächten geschrieben“. | |
| ## Der Selbstverwalter | |
| Er lehnt sich zurück, sein Kaffee auf dem Tisch ist kalt geworden. „Wir | |
| haben ein Rechtssystem, das Willkür übt und ein politisches System, das | |
| Lobbyinteressen durchsetzt“, sagt er. „Deswegen kommen die Leute zu uns und | |
| fragen: Habt ihr etwas Besseres anzubieten?“ | |
| Viele, bei denen die Ideologie der Reichsbürger Gehör findet, sind in | |
| finanziellen Nöten. Oft fängt es damit an, dass sie die Zahlung von Steuern | |
| und Bußgeldern verweigern. In einer ruhigen Straße in Berlin-Wedding öffnet | |
| ein hochgewachsener Mann mit zerfurchtem Gesicht die Tür, auf seinem | |
| Briefkasten kleben Aufkleber: „Selbstverwaltung Thomas Patzlaff.“ | |
| Patzlaff, ein Langzeitarbeitsloser, 59 Jahre, hat vor ein paar Jahren den | |
| „Runden Tisch“ organisiert, ein Treffen Gleichgesinnter. „Wir wurden | |
| infiltriert und sabotiert“, sagt er. Heute betreibt er ihn nur noch als | |
| Internetplattform. Er sitzt auf seiner verblichenen Polstergarnitur, trinkt | |
| Filterkaffee wie Sprudelwasser. „Der Staat ist offenkundig eine | |
| Fremdverwaltung, die uns verarscht. Weiter nichts.“ | |
| Zu DDR-Zeiten arbeitete er als Elektriker, aber in dem Betrieb eckte er | |
| ständig an. Später versuchte er sich als Selbstständiger in der | |
| Gastronomie, auch das klappte nicht. Patzlaff zündet sich eine Zigarette | |
| an, starrt in den Rauch. Vor über zehn Jahren zeigte ihm ein Bekannter | |
| einen selbstgebastelten Reichs-Ausweis, da dachte er sich: „Das ist ja | |
| spannend.“ Er suchte Kontakte in dem Milieu, durchforstete Archive, | |
| stöberte im Internet. „Ich habe mir die Gesetze angeguckt und festgestellt, | |
| dass ein großer Teil davon nichtig ist“, sagt er. „Ich bin dann in den | |
| Widerstand gegangen.“ | |
| Patzlaff sieht müde aus, der ständige Ärger zehrt an ihm, die | |
| Gerichtsvollzieher, die Inkasso-Verfahren. Immer wenn es an seiner Tür | |
| klingelt, fährt ihm der Schrecken in die Knochen. „Die kommen immer | |
| wieder“, sagt er, „Ich belehre die, aber das wird ignoriert.“ Letztlich | |
| hält ihn nur noch der Glaube aufrecht, dass er den politischen Umbruch in | |
| Deutschland noch mitkriegen wird: „Ich hoffe, dass das noch zu meinen | |
| Lebzeiten passiert. Dass ein echter Rechtsstaat entsteht.“ Dann erst könne | |
| es endlich wieder aufwärtsgehen. Mit ihm und mit allem anderen. | |
| 27 Oct 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Gabriela Keller | |
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