| # taz.de -- Hamburger Verlegerin Halina Simon: „Sie ließen ihre Tochter zur�… | |
| > Ihre deutsche Mutter gab sich als Polin aus, sie selbst wollte im Westen | |
| > wie eine Deutsche wirken: Halina Simon über ihre Familiengeschichte. | |
| Bild: Die Verlegerin Halina Simon in einem Hamburger Café | |
| wochentaz: Frau Simon, wann haben Sie bemerkt, dass Ihre „polnische“ Mutter | |
| Deutsche war? | |
| Halina Simon: Das war ein allmählicher Vorgang. Einer des Erahnens, des | |
| Bewusstwerdens von Ungereimtheiten, die ich als Kind als selbstverständlich | |
| hingenommen hatte. Zum Beispiel, dass wir i[1][m polnischen Wrocław, dem | |
| einstigen Breslau], lebten, meine Großeltern aber in Halle, und wir mit | |
| ihnen ein schlesisches Deutsch sprachen. Oder dass meine Mutter in Wrocław | |
| eine Nachbarin hatte, mit der sie sich einmal pro Woche zum deutschen | |
| Kaffeeklatsch traf. Das fand ich damals ganz normal und fragte meist nicht | |
| nach. Und wenn ich es tat, merkte ich, dass es unerwünscht war. | |
| Wann zum Beispiel? | |
| Ein Nachbar, der Alkoholiker war, brüllte manchmal nachts vor unseren | |
| Fenster auf Polnisch „Nazi-Hure!“ Als ich meinen Vater fragte, was das zu | |
| bedeuten hätte, sagte er: „Der ist betrunken, nimm das nicht ernst.“ | |
| Und was hatte es zu bedeuten? | |
| Das habe ich erst allmählich durch eigene Recherchen herausbekommen. Ende | |
| 1944/Anfang 1945 rückte die sowjetische Rote Armee vor, ihre Soldaten | |
| vergewaltigten deutsche Frauen. Ich vermute, dass das auch meiner Mutter | |
| und Großmutter passierte. Meine Mutter hatte dann irgendwann – genauer habe | |
| ich es nicht herausbekommen – einen „Beschützer“, einen polnischen | |
| Offizier. Er war wohl ihre große Liebe, und mit 17 wurde sie schwanger von | |
| ihm. Da aber deutsche Frauen, die von einem Polen schwanger waren, nicht | |
| aus Polen ausreisen durften, blieb sie. | |
| Ohne ihre Eltern? | |
| Das ist der kritische Punkt. Sie reisten aus und ließen ihre 17-jährige | |
| Tochter zurück. Dabei hätten sie nur die polnische Staatsbürgerschaft | |
| anzunehmen brauchen, um bleiben zu können. Ich glaube, meine Mutter hat | |
| ihnen das nie verziehen. | |
| Wie erging es Ihrer Mutter danach? | |
| Sie zog mit ihrem „Beschützer“ – er war verheiratet und seine Frau im Kr… | |
| verschollen – zusammen und gebar einen Sohn, Jerzy. Als sie mit dem zweiten | |
| Kind, meiner Schwester, schwanger war, kam die Frau des Offiziers aus dem | |
| KZ zurück. Sie hatte viel durchgemacht, und er brachte es nicht fertig, | |
| sich von ihr zu trennen. Er verließ meine hochschwangere Mutter Knall auf | |
| Fall und wollte ihr das Kind nehmen. Meine Mutter hat wahnsinnig gekämpft, | |
| aber trotzdem haben sie ihr den damals zweijährigen Jerzy weggenommen. | |
| Das muss für Ihre Mutter schlimm gewesen sein. | |
| Ja, unvorstellbar! Kurz danach, 1949, wurde meine Schwester geboren. Aus | |
| Sorge, dass man ihr auch dieses Kind nähme, hat meine Mutter im Krankenhaus | |
| ihren Namen gefälscht. Der Kindsvater hat es trotzdem erfahren und mit | |
| allen Mitteln versucht, das Kind zu bekommen. Aber meine Mutter hat es | |
| geschafft. Sie hat sofort angefangen zu arbeiten und verfügte über ein | |
| soziales Netzwerk, sodass für das Kind gesorgt war. | |
| Wie hat sie es geschafft, sich in Polen zu integrieren? | |
| Sie hat sich mannigfach engagiert, damit sie in dieser Gesellschaft | |
| anerkannt wurde. Sie hat im Chor gesungen und ist bei Parteiveranstaltungen | |
| mit aufgetreten. Sie verwaltete das Magazin eines großen Krankenhauses und | |
| führte bei Teamsitzungen Protokoll. Ihr blieb gar nichts anderes übrig, als | |
| schnell so gut Polnisch zu lernen, dass sie nicht als Deutsche erkannt | |
| wurde. Denn Deutschland galt im Kalten Krieg ab 1945 als „Feind“. Meine | |
| Mutter hat sich für die Metamorphose entschieden. Meinen Vater hat sie in | |
| dem Krankenhaus kennengelernt, wo sie arbeitete, und sie haben bald | |
| geheiratet. Meine Mutter hoffte, durch die Heirat endlich als vollwertiges | |
| Mitglied der polnischen Gesellschaft akzeptiert zu werden. Für diese Heirat | |
| haben meine Eltern ihre Dokumente gefälscht. | |
| Inwiefern? | |
| Sie haben die Vor- und Nachnamen polonisiert. Trauzeugen haben dann alles | |
| bestätigt und gesagt: Die Papiere sind nicht da, weil die Archive verbrannt | |
| sind. Ab da hatte meine Mutter auch offiziell eine polnische Identität. | |
| Wann bekam sie Risse? | |
| Als ihre Eltern auftauchten. Über den Suchdienst des Roten Kreuzes haben | |
| sie meine Mutter nach 1945 gesucht. Sie hörte es im Radio, meldete sich und | |
| fuhr mit mir – ich war gerade geboren – zu ihnen nach Halle. Von da an | |
| besuchten wir sie regelmäßig. Politisch war das im damaligen Polen kein | |
| Problem, weil die DDR ja sozialistischer „Bruderstaat“ war. | |
| Und wie flog der Urkundenschwindel auf? | |
| 1999, nach dem Tod meines Vaters. Da lebte und arbeitete ich schon in | |
| Deutschland. Mit meiner Schwester und meiner Mutter bin ich zum Wrocławer | |
| Standesamt gegangen, um die Sterbeurkunde zu bekommen. Da rief man uns in | |
| einen Nebenraum und sagte, man habe, im Zuge der Öffnung der Archive nach | |
| 1989, die alte Geburtsurkunde meiner Mutter gefunden. Und die stimme nicht | |
| mit ihrer Heiratsurkunde und allen darauf basierenden Urkunden – auch | |
| meiner Geburtsurkunde – überein. Die Beamtin sagte zu meiner Mutter: | |
| „Ausnahmsweise bekommen Sie jetzt die Dokumente, damit Ihr Mann beigesetzt | |
| werden kann. Aber Sie haben die Dokumente gefälscht. Alles muss rückgängig | |
| gemacht werden.“ | |
| Was empfanden Sie? | |
| Es war ein Schock. Mir sind alle Gesichtszüge entglitten, weil ich keine | |
| Ahnung von all dem hatte. Als wir aus dem Standesamt kamen, erklärte meine | |
| Schwester: „Es war klar, dass das irgendwann passieren würde.“ Ich sagte: | |
| „Wusstet du das?“ Sie fragte: „Ist dir nie aufgefallen, dass Mutters Name | |
| in meiner Geburtskurkunde deutsch ist und in deiner polnisch?“ Tatsächlich | |
| hatte ich mir die Dokumente nie so genau angesehen. | |
| Was tat Ihre Mutter? | |
| Als wir aus dem Standesamt kamen, sagte sie: „Ich ändere jetzt nichts | |
| mehr.“ In dem Moment war mir klar, das es irgendwann schwierig würde. Mein | |
| jetziger Mann und ich wollten heiraten, und irgendwann wollte ich auch die | |
| deutsche Staatsbürgerschaft beantragen. Es ging dann aber letztlich alles | |
| gut. | |
| Haben Sie Jerzy, den ersten Sohn Ihrer Mutter, mal kennengelernt? | |
| Ja, er ist ganz komisch in mein Leben gekommen. Es war im Polen der späten | |
| 1970erJahre. Ich war 16 oder 17, meine Schwester wohnte nicht mehr bei uns. | |
| Eines Nachmittags, ich war allein zu Hause, klingelte ein Mann und fragte | |
| nach meiner Schwester. Er sei ihr Freund und mit ihr verabredet. Er wollte | |
| unbedingt ins Haus. Ich habe ihn dann reingelassen, weil er so viel | |
| Insiderwissen über meine Schwester hatte. Dann zeigte er mir seinen Ausweis | |
| und sagte: „Sehen wir uns nicht ähnlich, deine Schwester und ich?“ Dann | |
| guckte er mich an und sagte: „Ich bin dein Bruder.“ Das hat gesessen. | |
| Unfassbar, meine Mutter hatte noch ein Kind! Sie hatte ihn nie erwähnt. | |
| Wie hat Ihre Mutter reagiert? | |
| Als sie nach Hause kam, guckte sie kurz zu mir, dann zu ihm. Diesen | |
| Geschichtsausdruck, diese weiche Stimme, mit der sie seinen Namen | |
| aussprach, werde ich nie vergessen. Diese Zärtlichkeit kannte ich von ihr | |
| nicht. Das war eine ganz andere Frau. Ich war total überfordert, bin | |
| rausgegangen und stundenlang irgendwo herumgeirrt. Als ich zurückkam, bot | |
| sich ein skurriles Bild: Meine Eltern, Jerzy, mein anderer, kleiner Bruder | |
| und meine Schwester saßen am Tisch, aßen – und taten, als sei alles normal. | |
| Alle außer mir und meinem kleinen Bruder, der es noch nicht verstand, | |
| wussten Bescheid. Kein Wort der Erklärung, kein Wort der Entschuldigung, | |
| nichts. | |
| Wieso hat Ihre Mutter Jerzy erkannt? Sie hatte ihn doch zuletzt als | |
| Kleinkind gesehen. | |
| Nein. Meine Mutter hatte wohl ihr Leben lang Kontakt zu ihm. Als er | |
| erwachsen war, nach dem Tod seines Vaters, hat er dann Kontakt zu meiner | |
| Mutter gesucht. Auch meine Schwester hatte die ganze Zeit Kontakt zu ihm | |
| und ihrer beider Vater. Als ich davon erfuhr, war ich über diese | |
| Heimlichkeiten sehr enttäuscht. Ich fühlte mich verraten. | |
| Haben Sie das mal angesprochen? | |
| Ich weiß es nicht mehr genau. Vermutlich nicht, denn über manche Dinge | |
| sprach man einfach nicht. Jerzy ist kurz danach – [2][inzwischen herrschte | |
| Kriegszustand in Polen] – verschwunden. Bis heute weiß man nicht, was | |
| passiert ist. Entweder hat ein Verbrechen stattgefunden oder er ist | |
| inhaftiert worden oder untergetaucht … | |
| Und wie kamen Sie selbst nach Deutschland? | |
| 1979 kam mit dem „Vertriebenen“-Heimattourismus eine Kusine meiner Mutter | |
| zu uns. Sie lud mich nach Göttingen ein, wo ich als Studentin jobbte. Kurz | |
| vor Ende des Studiums, 1981, begannen die Solidarność-Streiks in Polen. Es | |
| fuhren keine öffentlichen Verkehrsmittel, wir bereiteten uns auf einen | |
| Angriff der Sowjetunion vor, es herrschte eine riesige Solidarität. Ich | |
| hielt es für einen guten Zeitpunkt, um nochmal kurz in den Westen zu | |
| fahren. Danach wollte ich in Polen ein anderes Fach im Abendstudium | |
| beginnen und parallel in der Schule arbeiten. | |
| War es wirklich ein guter Reisezeitpunkt? | |
| Ich dachte, es würde schon nichts passieren. Aber meine Eltern fanden nicht | |
| gut, dass ich ging. Mein Vater sagte, es seien unruhige Zeiten, wir müssten | |
| zusammenhalten. Er wollte mich im Auto zum Bahnhof bringen, und als ich | |
| beim Wegfahren auf das Garagentor schaute, ahnte ich: Wer weiß, ob ich | |
| zurückkomme. | |
| Aber Sie haben nicht entschieden wegzubleiben. | |
| Nein. Keine Minute habe ich ernsthaft überlegt, in Deutschland zu bleiben. | |
| Denn ich pendelte ja zwischen den drei Welten: Polen, der DDR und dem | |
| Westen. | |
| Dann kam alles anders. | |
| Ja. Ich fuhr nach Westdeutschland, inmitten all der angesichts der Unruhen | |
| ausreisewilligen Polen, und landete in Kassel. Dort in der Nähe fand ich | |
| Arbeit in einem Hotel, und einen Tag vor Ablauf meines Visums, am 13. 12. | |
| 1981, wurde in Polen der Kriegszustand ausgerufen. Ich sah die Bilder im | |
| Fernsehen und traute meinen Augen nicht. Da standen polnische Panzer mit | |
| Wasserwerfern auf den Straßen. Ich wollte meine Eltern anrufen: keine | |
| Verbindung. Auch kein Telegramm. Um 6 Uhr morgens war alles gekappt worden. | |
| Wie fühlten Sie sich? | |
| Ich konnte nicht arbeiten, nicht denken, nichts entscheiden. Und noch bevor | |
| ich richtig wusste, was ich will, hatte mir meine Chefin eine Duldung als | |
| politischer Flüchtling besorgt. Mein damaliger Freund schlug vor, ich solle | |
| zu ihm ziehen, und das tat ich. Dann wurde ich schwanger. Das machte alles | |
| noch komplizierter, denn für mich war klar: Wenn ich das Kind bekomme, | |
| werde ich nie wieder nach Polen zurückgehen. Dieses schwierige Leben dort | |
| wollte ich meinem Kind nicht zumuten, denn schon vor dem Kriegszustand | |
| waren die Lebensmittel rationiert, es fehlte damals an allem. Als ich dann | |
| 1984 das erste Mal wieder nach Polen fuhr, war es komisch, wieder dort zu | |
| sein. | |
| Warum? | |
| Da war zum Beispiel die Wohnung, die ich damals, kurz vor meiner | |
| Deutschlandreise, gemietet hatte. Ich hatte zwar nie darin gewohnt, aber da | |
| standen meine Sachen, und trotzdem fühlte sich alles fremd an. | |
| Wie konnte es dazu kommen? | |
| Das ist mir erst im Nachhinein durch die Gespräche mit Ulrike Draesner | |
| aufgefallen, die meine Geschichte [3][in ihrem Roman „Die Verwandelten“ | |
| verarbeitet hat]. Ich war nämlich – wie meine Mutter – wegen einer | |
| Schwangerschaft ungewollt in einem fremden Land geblieben. Und wie meine | |
| Mutter hatte ich versucht, mich zu assimilieren, weil ich keine Lust hatte, | |
| ständig meine Herkunft zu erklären. | |
| Welches war Ihre Strategie? | |
| Ich habe hart daran gearbeitet, sprachlich nicht aufzufallen. Ich habe mit | |
| meinem eigenen Kind Deutsch gesprochen. Ich hatte zwar das Gefühl, ich | |
| verlöre den Zugang zu meiner Muttersprache. Aber ich hatte mich für einen | |
| Schnitt entschieden, mich auf das Jetzt konzentriert, an der RWTH Aachen | |
| Logopädie studiert und in einem neurologischen Rehazentrum gearbeitet. Ich | |
| habe mein altes Leben komplett amputiert. Im Nachhinein hätte ich das nicht | |
| zulassen dürfen. Ich hätte das Gefühl der Entfremdung von meinen Wurzeln | |
| ernst nehmen und dagegen arbeiten müssen. Wie, weiß ich allerdings nicht | |
| genau. | |
| Und warum haben Sie nach 20 Jahren als Logopädin aufgehört? | |
| Weil mich zu diesem Zeitpunkt die Schicksale der Menschen, die ich | |
| behandelte – von Schlaganfall bis zum Hirntumor junger Mütter – zunehmend | |
| belastet haben. Auch in der Familie gab es damals schwere Krankheitsfälle. | |
| Mir wurde klar, dass ich nicht mehr als Logopädin arbeiten will – aber | |
| vielleicht unterrichten. Ich habe dann in Wrocław ein Abendstudium begonnen | |
| und bin fünf Jahre lang jedes zweite Wochenende von Hamburg nach Wrocław | |
| gefahren. | |
| Wie verlief das Studium? | |
| Es war wunderbar. Wir waren eine Gruppe von im Ausland lebenden Polinnen ab | |
| Mitte 30, die ihre Wurzeln suchten. Mit 55 war ich die Älteste, aber das | |
| war kein Problem. Und wir waren eine ganz schöne Herausforderung für die | |
| Dozenten, weil wir so gut waren. Es war eine tolle Zeit. Es hat für mich | |
| vieles wieder gutgemacht von dem, was ich an Repressalien im | |
| sozialistischen Polen erlebt hatte. Diese Zeit hat mich zurückgebracht. | |
| Wohin? | |
| Zum einen konnte ich mein Wissen über die deutsche Sprache, Literatur, | |
| Kultur und Geschichte vertiefen. Außerdem hat sie mir mein Polnisch | |
| zurückgegeben, meine Muttersprache reaktiviert. Diese Zeit hatte etwas | |
| Heilendes, hat meine zwei Leben, zwischen denen es bis dato keine Brücke | |
| gab, wieder verbunden. In dieser Phase wurde mir auch klar, dass ich nie | |
| bewusst entschieden habe, in Deutschland zu leben. Das Leben und die | |
| Umstände haben mich hier hingeworfen, und dann musste ich funktionieren. | |
| Hat die Studienzeit in Polen Ihr Verhältnis zu Deutschland verändert? | |
| Ja. Während des Studiums musste ich manchmal länger in Polen bleiben und | |
| habe dort den Alltag gelebt. Während dieser Zeit vermisste ich Deutschland | |
| nicht – das hat mich anfangs etwas irritiert. Später wusste ich dann: | |
| Wrocław ist zwar meine Heimat, aber Hamburg mein Zuhause. Beides schließt | |
| sich nicht aus. | |
| Haben Sie auch einen neuen Zugang zu Wrocław gefunden? | |
| Ja. Ich habe, auch im Zuge meines kulturwissenschaftlichen Studiums, | |
| angefangen, das deutsche Vorkriegs-Breslau kennenzulernen. Auch das war ja | |
| im polnischen Kollektivgedächtnis amputiert, verschwiegen. Und jetzt | |
| standen in Antiquariaten und Buchhandlungen Bücher über „Breslau“. Ich sah | |
| erstmals historische Bilder der Stadt und habe um diese versehrte Stadt | |
| getrauert, die im Zuge der „Westverschiebung“ Polens einen fast kompletten | |
| Bevölkerungsaustausch erlebt hatte: Die Deutschen wurden vertrieben, und | |
| die Polen aus dem einstigen Ostpolen, der heutigen Westukraine, nach | |
| Breslau und Schlesien gebracht. Während meiner Studienaufenthalte bekam die | |
| Stadt für mich ihre Vergangenheit wieder – und ich auch. Da liefen zwei | |
| Prozesse parallel in mir ab: Ich entdeckte das Breslau meiner Mutter wieder | |
| und zugleich Wrocław, meine eigene heutige Stadt – so, wie man ein Trauma | |
| verarbeitet, indem man wieder in der Gegenwart ankommt. | |
| Inzwischen sind Sie Verlegerin und Übersetzerin. Warum eigentlich? | |
| Ich habe schon immer gern übersetzt. Die Idee eines Verlages für polnische | |
| Literatur und Kunst hatte mein Sohn, der an der Karlsruher Hochschule für | |
| Gestaltung studiert. Er wollte Bücher gestalten, und ich wusste, dass ich | |
| beide Sprachen fühlen und transformieren kann. Mich interessiert besonders | |
| Literatur der Zwischenkriegszeit, der 1920er, 1930er Jahre. Das war eine | |
| Zeit des Aufbruchs in damaligen Polen. | |
| Was bedeutet Ihnen der Verlag? | |
| Es ist zwar nicht immer leicht, die Suche nach Autorinnen und Autoren, das | |
| Übersetzen, die Verlagsarbeit, der Vertrieb, aber resümierend würde ich | |
| sagen: Mit dem Verlag schließt sich ein Kreis. Die zwei Teile meines | |
| Lebens, beide Kulturen und Sprachen werden so miteinander verbunden, und | |
| ich kann als Vermittlerin polnischer Kultur in Deutschland fungieren und | |
| den zu Unrecht vergessenen polnischen Autorinnen und Autoren eine Stimme | |
| geben. | |
| 7 Jul 2024 | |
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| Petra Schellen | |
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