| # taz.de -- Umgang mit Syriens Machthaber: Europas Mauer gegen Assad bröckelt | |
| > Bisher fuhr die EU einen strikten Kurs gegen Syriens Machthaber. Doch die | |
| > Linie wird stetig aufgeweicht. Das liegt auch am Rechtsruck in der EU. | |
| Bild: Wiederaufbau in Raqqa: Eine NGO verteilt Wasser an Menschen, die immer no… | |
| Berlin taz | Einsatz von Chemiewaffen gegen die eigene Bevölkerung, | |
| erzwungenes Verschwindenlassen von Dissident*innen, Folter oder | |
| außergerichtliche Tötung – [1][die Liste an Kriegs- und | |
| Menschenrechtsverbrechen in Syrien unter Baschar al-Assad ist lang]. | |
| Deshalb bezog die EU bisher eine klare politische Haltung gegen das Regime | |
| in Syrien. Solange es keinen politischen Wandel in den von Assad | |
| kontrollierten Gebieten gibt, galten drei Neins: Keine diplomatischen | |
| Beziehungen, keine Normalisierung und kein Wiederaufbau. | |
| Gelder, die aus europäischen Ländern nach Syrien gehen, [2][sollen nur der | |
| Bevölkerung], aber nicht dem Machthaber und seinen Verbündeten zugute | |
| kommen. Ende Mai hat der Europäische Rat die Sanktionen gegen Assad und | |
| seine Unterstützer*innen um ein Jahr verlängert und das Land als | |
| weiterhin unsicher erklärt. „Das lässt hoffen“, sagt Svenja Borgschulte v… | |
| der NGO Adopt a Revolution. „Gleichzeitig sind die rechten Kräfte gestärkt | |
| aus der Europawahl hervorgegangen, was die Frage aufwirft, wie lange die | |
| europäische Mauer gegen Assad noch hält. Fakt ist: Sie bröckelt gewaltig.“ | |
| Bisher unterstützte die [3][EU Syrer*innen durch humanitäre Hilfe.] Doch | |
| ein Schlupfloch bietet die sogenannte Early Recovery, die Geberländer | |
| mittlerweile diskutieren. Die humanitären Maßnahmen sollen zur nachhaltigen | |
| Erholung nach einer Krise dienen. Dabei werden quasi humanitäre Hilfe und | |
| Entwicklungszusammenarbeit für wirtschaftlichen Aufschwung und Erholung | |
| nach einer Krise vermischt. Early Recovery (ER) gilt nicht als | |
| Wiederaufbau, weil Gebäude nicht von null hochgezogen, sondern stattdessen | |
| zum Beispiel Kriegsschäden repariert werden. | |
| Die ersten im Kurswechsel waren die Vereinten Arabischen Emirate und | |
| Saudi-Arabien. Sie hatten jahrelang extremistische Gruppen gegen Assad | |
| finanziert, doch kürzlich die Beziehungen wiederhergestellt. Nun versuchen | |
| sie, die Unterstützung auszuweiten. | |
| ## Treuhandfonds für Wiederaufbau geplant | |
| Die Vereinten Nationen setzen gerade ein Programm auf, um die Hilfsgelder | |
| aus den Golfländern nach Syrien zu schicken: Eine Art Treuhandfonds für den | |
| frühen Wiederaufbau. Hauptgeberländer sind die Golfstaaten. Bisher können | |
| sie wegen der westlichen Sanktionen und des ausgesetzten Swift-Systems für | |
| Überweisungen kein Geld direkt nach Syrien senden. Die Gelder sollen in | |
| „Schlüsselbereiche des frühen Wiederaufbaus“ fließen: Gesundheit, Bildun… | |
| Sanitärversorgung, Elektrizität und Lebensunterhalt. | |
| Der Fonds könnte es auch Organisationen wie der Weltbank ermöglichen, Hilfe | |
| für die Erdbebenopfer in Assad-Gebieten bereitzustellen, die bisher | |
| aufgrund der Sanktionen nicht geleistet werden konnte. Wenn es | |
| wirtschaftlich aufwärts geht für Syrien, könnten Millionen syrischer | |
| Geflüchteter zurückkehren, argumentieren die Vertreter der Golfstaaten. Das | |
| würde den Druck auf die Aufnahmeländer verringern, allem voran Libanon, | |
| Jordanien und die Türkei. | |
| „Ein Wiederaufbau würde die demografische Veränderung ehemaliger | |
| Oppositionsgebiete zementieren und Geflüchteten keine Rückkehrperspektive | |
| eröffnen“, hält Borgschulte dagegen. „Wiederaufbauhilfen würden einzig d… | |
| Assad-Regime zugutekommen, das durch eine Reihe maßgeschneiderter Gesetze | |
| bereits vor Jahren Grund- und Eigentumsrechte eingeschränkt und | |
| insbesondere Vertriebene und Geflüchtete enteignet hat.“ | |
| Im Mai 2022 belegte eine Studie, an der auch die UN selbst beteiligt war, | |
| dass Millionenbeträge der humanitären Hilfe der UN tatsächlich bei | |
| sanktionierten Personen in Syrien landen. Das Geld ging über | |
| Vertragspartner*innen der UN in Nahrungsmittel, Büroausstattung oder | |
| Elektronik. „Statt Wiederaufbauhilfen braucht es einen politischen Übergang | |
| gemäß der UN-Resolution 2254, das Ende der Diktatur und Verfolgung sowie | |
| die konsequente Strafverfolgung der Täter zahlreicher | |
| Menschenrechtsverbrechen.“ | |
| ## EU will freiwillige Rückkehr nach Syrien | |
| „Die syrische Gemeinschaft braucht alle notwendige Unterstützung, | |
| unabhängig vom Standort“, sagt Sama Kiki, Geschäftsführerin des in London | |
| ansässigen Syrian Legal Development Program (SLDP). Die Zivilgesellschaft | |
| müsse aber in die Planung mit einbezogen werden. Bisher sei das nicht der | |
| Fall. „Wenn wir uns die derzeitige Umsetzung von Early Recovery ansehen, | |
| sehen wir viele Warnsignale und sind besorgt darüber, wie sich das | |
| langfristig negativ auf das Leben der Syrer*innen auswirken wird. Die | |
| Abzweigung von Hilfsgeldern in Syrien ist ein großes Problem, und die | |
| ER-Projekte könnten auch dazu verwendet werden, die Taschen des Regimes und | |
| anderer kompromittierter Akteure zu füllen.“ | |
| Mit Sorge schaut Kiki auf das Treffen des italienischen mit dem syrischen | |
| Geheimdienst, das anscheinend im Mai in Damaskus stattgefunden hat, um eine | |
| Art sichere Zone für zurückkehrende Syrer*innen in einem Vorort von Homs | |
| zu planen. „Wir sind sehr besorgt darüber, dass ein demokratisches und auf | |
| Rechtsstaatlichkeit basierendes Land wie Italien, das Teil der EU ist, | |
| Personen trifft, die für Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich | |
| sind.“ | |
| EU-Kommissionspräsidentin [4][Ursula von der Leyen sprach sich im Mai in | |
| Beirut] nicht nur für frühzeitige Wiederaufbauprogramme aus, sondern sagte | |
| auch, die EU werde ein „Konzept für die freiwillige Rückkehr nach Syrien“ | |
| ausgestalten. | |
| Es sei die übliche Falle der Politik, kommentiert Borgschulte von Adopt a | |
| Revolution. „Lang anhaltende Probleme, die politisch und medial maximal | |
| aufgeladen wurden, geraten irgendwann an ihren Kipppunkt. Ab da sollen sie | |
| nur noch schnellstmöglich behoben werden, ohne Rücksicht darauf, ob die | |
| Lösung menschlich oder wirklich effektiv ist.“ Für syrische Schutzsuchende | |
| sei das fatal. „Sie müssen fürchten, früher oder später nach Syrien | |
| abgeschoben zu werden. Noch ist das rechtlich nicht möglich, aber der | |
| politische Diskurs ist bereits so weit nach rechts verschoben, dass das nur | |
| noch eine Frage der Zeit ist.“ | |
| 4 Jul 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Grenzuebergang-nach-Syrien-offen/!5949374 | |
| [2] /Hilfe-fuer-Menschen-in-Syrien/!5981953 | |
| [3] /Hilfslieferungen-nach-Syrien/!5943593 | |
| [4] /EU-Gelder-fuer-den-Libanon/!6016583 | |
| ## AUTOREN | |
| Julia Neumann | |
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