| # taz.de -- Ruandas Oppositionskandidat Habineza: „Wahlen, nicht Waffen“ | |
| > Der Grüne Frank Habineza erklärt, warum er trotz Chancenlosigkeit zu | |
| > Ruandas Präsidentschaftswahlen antritt – und was sich dort verändern | |
| > muss. | |
| Bild: Beim letzten Mal 0,5 Prozent: Frank Habineza im Wahlkampf in Gihara, Ruan… | |
| taz: Herr Habineza, Sie treten bei den Präsidentschaftswahlen in Ruanda am | |
| 15. Juli für die Grünen an, als einer von zwei Gegenkandidaten gegen | |
| Amtsinhaber Paul Kagame. Ist Ruanda bereit für einen neuen Präsidenten? | |
| Frank Habineza: Ja, ich denke schon. Die Mehrheit unserer Bevölkerung ist | |
| unter 30 Jahre alt und hat seit dem [1][Völkermord 1994] nur Kagame als | |
| einzigen Präsidenten erlebt. Die Ruander brauchen jetzt einen Politiker, | |
| der das Erreichte bewahrt, sie aber auf die nächste Ebene bringt: | |
| nachhaltiger Frieden, nachhaltige Sicherheit, nachhaltige Entwicklung. Das | |
| Land kann in Frieden mit uns selbst und unseren Nachbarn leben, die keine | |
| Angst haben müssen, dass jemand sie angreift. Dann können wir Geschäfte | |
| machen und ohne Angst nach Burundi, Kongo, Sudan und Somalia reisen. Das | |
| ist mein Schwerpunkt. | |
| Bei den [2][letzten Wahlen 2017] wurde Kagame mit 99 Prozent wiedergewählt, | |
| dieselben Ergebnisse werden auch diesmal erwartet. Warum kandidieren Sie | |
| trotzdem? | |
| Wir sind als [3][Grüne Partei] nicht darauf ausgerichtet, nur Zuschauer zu | |
| sein. Also haben wir entschieden, dass wir uns um das höchste Amt bemühen | |
| müssen, mit demokratischen Mitteln, denn wir glauben an Gewaltlosigkeit. | |
| Andere Leute sind überzeugt, dass sie lieber in den Krieg ziehen, um an die | |
| Macht zu gelangen. Wir aber glauben an den demokratischen Kampf durch | |
| Wahlen und nicht an den Einsatz von Waffen. | |
| 2017 erhielten Sie aber bloß 0,5 Prozent… | |
| Es gab 2018 Parlamentswahlen, bei denen wir 5 Prozent erhielten und mit | |
| zwei Abgeordneten ins Parlament einzogen, dann ein Jahr später einen Sitz | |
| im Senat. Wir haben also drei Parlamentarier. In Ruanda ist es ein Erfolg, | |
| als Oppositionspartei überhaupt Parlamentssitze zu gewinnen. Und wir sind | |
| stolz darauf, dass über 70 Prozent unseres Wahlprogramms seitdem umgesetzt | |
| wurden. | |
| Was haben Sie denn erreicht? | |
| Die Regierung erhöhte die Lehrergehälter um 10 Prozent. Wir sagten, das | |
| reicht nicht. Ein paar Jahre später gab es 66 Prozent mehr für | |
| Grundschullehrer und 44 Prozent mehr für Oberschullehrer. Jetzt stehen noch | |
| die Hochschullehrer aus, aber der Rest ist geschafft. Das ist ein großer | |
| Erfolg. Wir forderten auch Schulspeisung für die Kinder. Denn die gab es | |
| vorher nicht. Am Ende richtete die Regierung ein gesetzliches | |
| Schulspeisungsprogramm ein, für öffentliche und private Schulen. Wir | |
| forderten auch höhere Gehälter für Soldaten und Polizisten, und sie wurden | |
| erhöht. Soldaten verdienen weniger als 100 US-Dollar im Monat. Ein weiterer | |
| Punkt: Eigentumstitel auf gepachtetes Land. Ich sagte, 20 Jahre genügt | |
| nicht, wenn man ein Haus gebaut hat. Am Ende wurden daraus 99 Jahre, | |
| verlängerbar, mit der Möglichkeit des vollen Eigentums am Ende. | |
| Gab es auch Misserfolge? | |
| Es gibt Dinge, die wir noch nicht erreicht haben, etwa die Senkung der | |
| Mehrwertsteuer von jetzt 18 Prozent. Das ist eine schwere Last für viele | |
| Menschen. In Kenia haben sie sie gesenkt, dann kann Ruanda das auch. Im | |
| Rückblick würde ich aber sagen, dass wir insgesamt großen Einfluss auf die | |
| Politik und auf Gesetze hatten. Als ich 2017 über Schulspeisung sprach und | |
| versprach, dass die Kinder warmes Essen und etwas Obst bekommen, haben mich | |
| die Leute für verrückt erklärt. Heute ist es eine Tatsache in allen | |
| Schulen, die jeder sehen kann. | |
| Sie glauben also, Sie könnten diesmal ein bisschen besser abschneiden? | |
| Das hoffen wir. | |
| Was sind Ihre Prioritäten für die Zukunft? | |
| Nummer eins ist ein stärkerer Fokus auf Demokratie. In Ruanda gibt es noch | |
| Probleme mit der Meinungsfreiheit. Die Leute fühlen sich nicht frei, über | |
| Politik zu reden. Sie reden mehr [4][über Fußball]. Von Politik schrecken | |
| sie zurück. Wir haben nichts gegen die Gesetze, aber wenn man über den | |
| Präsidenten redet, machen die Leute nicht den Mund auf. Wir möchten mehr | |
| Meinungsfreiheit. Die meisten lokalen Medien haben kein Geld. So viele | |
| Radiosender haben dichtgemacht, weil die meiste Werbung an die öffentlichen | |
| Sender geht. Wir fordern deswegen einen Medienfonds. Die öffentlichen | |
| Sender sollten öffentlich finanziert sein, private Werbung in privaten | |
| Medien laufen. | |
| Welche großen Probleme sehen Sie auf Ruanda zukommen? | |
| Unsere größte Herausforderung ist derzeit der Klimawandel. Wir hatten | |
| letztes Jahr eine Flutkatastrophe, bei der im Westen und Norden des Landes | |
| über 100 Menschen starben. In den Provinzen im Osten haben wir hingegen | |
| anhaltende Dürren, Kühe sterben und die Ernte verdorrt. Manchmal muss die | |
| Regierung zwei, drei, vier Monate lang Lebensmittel verteilen, während die | |
| Bauern auf die nächste Ernte warten. Ohne Ernährungssicherheit gibt es | |
| keine Wirtschaft. Wir verlassen uns auf Importe aus Bangladesch, aus | |
| Taiwan, sogar Reis und Mais aus Sambia und Uganda. Daher haben wir nicht | |
| genug zu essen. Wir müssen Handel treiben, aber genug für uns selber haben. | |
| Ruanda hat auch genmanipulierte Nahrung zugelassen. Ich habe im Parlament | |
| dagegen gestimmt. Wir brauchen mehr natürlichen Dünger und weniger | |
| Pestizide. Wir brauchen Nahrung, die uns nicht krank macht. Genmanipulierte | |
| Nahrung hingegen zerstört die Menschen, sogar die Böden und das Saatgut. | |
| In Ihrem letzten Parteiprogramm war ein wichtiger Aspekt die Reform der | |
| Justiz. Seit dem Völkermord 1994 sind die Gefängnisse immer noch heillos | |
| überfüllt. Wie werden Sie das weiterverfolgen? | |
| Da gibt es immer noch viel zu tun. Wir haben vor Kurzem im Parlament die | |
| sogenannte ‚vorläufige Inhaftierung‘ angesprochen: Eigentlich dürfen | |
| Menschen nur 30 Tage lang vorläufig inhaftiert werden. Aber in vielen | |
| Fällen sitzen sie über zwei Jahre im Gefängnis ohne Anklage. Sie haben oft | |
| keine Chance, die Regierung zu verklagen, sie illegal eingesperrt zu haben. | |
| Wenn sie dies tun würden, dann wäre ihr Ruf zerstört, ihre Familie, ihr | |
| Einkommen. Also sagen wir jetzt, wir müssen das ändern und einen Fonds für | |
| diese Menschen einrichten, der die Sicherheitsorgane zwingt, mit diesen | |
| illegalen Haftaufenthalten aufzuhören. | |
| Ruanda hat wegen des [5][Flüchtlingsdeals mit Großbritannien] Schlagzeilen | |
| gemacht. Der ist mit dem Regierungswechsel in London zwar tot, aber wie | |
| stehen Sie dazu? | |
| Wir unterstützen das nicht. Wir stimmten im Parlament dagegen. Wenn Leute | |
| nach Großbritannien fliehen, sollte Großbritannien sich um sie kümmern. Die | |
| britische Wirtschaft ist größer als die ruandische. Wenn Großbritannien die | |
| Flüchtlinge zurückschicken will, müsste Frankreich sie aufnehmen, von wo | |
| sie gekommen sind, nicht Ruanda. Sie wollten nach Europa und haben viel | |
| gelitten, um dort hinzukommen, durch die Sahara, über das Mittelmeer, durch | |
| Deutschland. Der Deal ist nicht nachhaltig, er ist völkerrechtswidrig. Und | |
| das Geld, das Großbritannien Ruanda dafür zahlen will, wird nur fünf Jahre | |
| lang fließen. Man könnte damit in Großbritannien diesen Menschen helfen. | |
| Wir nehmen Migranten auf, die zu uns kommen wollen, aber diese wollen nicht | |
| nach Ruanda. Es sind nicht unsere Flüchtlinge. | |
| Ruanda steht auch wegen des Krieges in der Demokratischen Republik Kongo in | |
| der Kritik. Machen Sie sich Sorgen, dass Ruanda isoliert werden könnte? | |
| Es gibt viele internationale Appelle, [6][das Problem in der DR Kongo] zu | |
| lösen, aber das geht nicht nur Ruanda etwas an. Kongo und die Nachbarn | |
| haben sich immer wieder getroffen und Vereinbarungen getroffen, aber die | |
| werden nicht umgesetzt. Es ist nicht hilfreich, über Frieden zu sprechen | |
| und dann die Ergebnisse nicht umzusetzen. Es geht um Kongo, nicht um | |
| Ruanda. | |
| Aber Ruandas Präsident [7][warnt immer] vor der Völkermordideologie im | |
| Kongo, die Ruanda bedroht. Ist das wirklich eine echte Bedrohung? | |
| Ja. Die Völkermörder, die nach 1994 in den Kongo geflohen sind, | |
| [8][bedrohen Ruanda bis heute]. Auch wenn es nur fünf Leute sind – wenn sie | |
| bewaffnet sind, können sie dich angreifen. Ich höre, es sind über 1.000. | |
| Viele sind sehr erfahren und gut ausgebildet, sie haben finanzielle Mittel | |
| und Unterstützung von Jugendlichen. Man kann das also nicht ignorieren. Es | |
| ist keine Ausrede für Ruanda, sondern eine Bedrohung. Dies verstärkt auch | |
| die Probleme für uns in Ruanda, denn sobald man einen Dialog mit diesen | |
| Tätern fordert, wird einem vorgeworfen, für den Feind zu sprechen. | |
| Wenn die Bedrohung von außen verschwinden würde, gäbe es dann auch | |
| innerhalb des Landes mehr Meinungsfreiheit? | |
| Ja, denn oft dient das Bedrohungsszenario als Vorwand, um Freiheiten zu | |
| verringern. Wenn wir also die Chance bekommen, diese Bedrohungen von außen | |
| definitiv zu reduzieren, wären wir innerhalb Ruandas glücklicher, glaube | |
| ich. | |
| 11 Jul 2024 | |
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