# taz.de -- Ruandische Hutu-Miliz in der DR Kongo: Auf zum letzten Gefecht | |
> Die verbleibenden ruandischen Völkermordtäter haben sich mit Kongos Armee | |
> zusammengetan. „Die Moral ist so gut wie lange nicht“, sagt ein | |
> Deserteur. | |
Bild: Ein Soldat in der Frontstadt Sake im Osten der DR Kongo. Das neue FDLR-Ha… | |
MUTOBO taz | Die Grenze zwischen Ruanda und der Demokratischen Republik | |
Kongo verläuft hoch oben in den Bergen, entlang einer Kette erloschener | |
Vulkane. Meist hängen – sehr symbolisch – schwere dunkle Regenwolken über | |
den Gipfeln. | |
Entlang der Grenze kam es in den vergangenen Wochen immer wieder zu | |
heftigen Feuergefechten zwischen Kongos Armee, den kongolesischen | |
Tutsi-Rebellen der M23 (Bewegung des 23. März) und ruandischen Truppen, die | |
in den Kongo eingedrungen sind. | |
Pünktlich zum 30. Gedenktag des Völkermordes in Ruanda, der Anfang April | |
1994 begann, erhöht sich nun die politische Spannung in der Grenzregion | |
enorm. Kongos Präsident Félix Tshisekedi drohte seinem ruandischen | |
Amtskollegen Paul Kagame in einem [1][Interview mit der französischen | |
Tageszeitung Le Monde] erneut mit Krieg, wie bereits im Wahlkampf | |
vergangenes Jahr, und warf ihm „teuflische Absichten“ vor. Umgekehrt | |
[2][wirft Kagame Kongos Armeeführung vor,] mit ruandischen Völkermordtätern | |
zusammenzuarbeiten, die einen Genozid an den Tutsi im Kongo anzetteln und | |
Ruanda angreifen wollten. | |
Hintergrund dieser Vorwürfe ist die umstrittene [3][ruandische Hutu-Miliz | |
FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas)], die sich im Osten der | |
Demokratischen Republik Kongo in den dichten Wäldern verschanzt. In ihrer | |
Führungsriege tummeln sich mutmaßliche Völkermörder und Offiziere der | |
ehemaligen Hutu-Armee Ruandas, die 1994 in ihrer Heimat eines der | |
grausamsten Menschenrechtsverbrechen der jüngeren Geschichte begingen und | |
dann nach Kongo flohen, als in Ruanda die Tutsi-geführte RPF (Ruandische | |
Patriotische Front) unter dem bis heute regierenden Präsidenten Paul Kagame | |
das Land eroberte. Die flüchtigen Hutu-Offiziere formierten dann die FDLR | |
wie einen ruandischen Exilstaat – mit dem erklärten Ziel, Ruanda | |
zurückzuerobern. Und sie sehen dieses Ziel jetzt offenbar wieder näher | |
rücken. | |
„Die Moral unserer Kommandanten und Truppen im Kongo ist so gut wie schon | |
lange nicht mehr“, erklärt der ehemalige FDLR-Kämpfer Innocent Tuyibahe. | |
„Sie bekommen Nahrungsmittelrationen, Munition und Waffen von Kongos | |
Armee.“ | |
## Demobilisierung unter dem Vulkan | |
Seit seinem 15. Lebensjahr war der mittlerweile 28-jährige Tuyibahe | |
Leibwächter der höchsten Militärführer der FDLR. Ende 2023 desertierte er | |
und floh nach Ruanda, wo ein staatliches Demobilisierungsprogramm | |
zurückkehrende ruandische Hutu-Soldaten aus Kongos Wäldern aufnimmt, damit | |
sie ein normales ziviles Leben lernen. | |
Auf den ersten Blick wirkt [4][das Demobilisierungslager in Mutobo] im | |
Nordwesten Ruandas wie eine ganz normale Berufsschule. Der 28-Jährige | |
Tuyibahe sitzt in der Mittagspause hinter den Klassenzimmern am Rande des | |
Fußballplatzes im Gras. Er wirkt noch etwas angespannt und verunsichert | |
über die neu erlangte Freiheit in einer Heimat, die er nicht kennt, denn | |
er ist im Kongo geboren und im Dschungel bei der FDLR aufgewachsen. | |
Die ruandische Hutu-Miliz gilt als eine der brutalsten und erfahrensten | |
bewaffneten Gruppen der DR Kongo. Sie zählt heute nur noch einige hundert | |
Kämpfer, aber die gehören zu den bestausgebildeten und erfahrensten | |
Soldaten der Region und spielen in der DR Kongo heute eine Schlüsselrolle. | |
Über 13.000 FDLR-Kämpfer durchliefen seit 2007, als das Lager Mutobo in | |
Ruanda gegründet wurde, das Demobilisierungsprogramm, so die offiziellen | |
Angaben. Meist waren fast alle 400 Betten in den Schlafsälen belegt. Doch | |
seit drei Jahren kommen nur noch wenige an. Derzeit sind gerade einmal 68 | |
Betten belegt. | |
Als Grund gibt Tuyibahe an, dass die FDLR-Führung neue Möglichkeiten sieht, | |
mit Unterstützung von Kongos Armee Ruanda anzugreifen. „Kongos Armeeführung | |
hat mit unseren Führern 2021 ein Abkommen unterzeichnet, um ihnen im Kampf | |
gegen die Tutsi zu helfen“, erklärt Tuyibahe. | |
Als Bodyguard von FDLR-Militärführer General Omega war er bei der | |
Unterzeichnung dabei, sagt Tuyibahe. Der 60-jährige General Omega, der | |
eigentlich [5][Pacifique Ntawunguka] heißt, ist ein Veteran der für den | |
Völkermord verantwortlichen ruandischen Armee. In Ägypten ausgebildet, | |
wurde er Pilot in der ruandischen Luftwaffe, und im kongolesischen Exil ab | |
Sommer 1994 gehörte er zu den ersten, die den Krieg zurück nach Ruanda | |
trugen. | |
Als einer der Kommandanten der FDLR-Vorläuferorganisation ALIR (Ruandische | |
Befreiungsarmee) kämpfte Omega 1997–98 in der Region um Ruhengeri am Fuße | |
der Vulkane, wo das Demobilisierungslager Mutobo liegt. Später wurde er | |
FDLR-Kommandant für die ostkongolesische Provinz Nord-Kivu, seit 2019 ist | |
er der Militärchef der Organisation. | |
Omega, erzählt sein ehemaliger Leibwächter, traf sich 2021 im Ort Tongo mit | |
General Hassan Mugabo, ein kongolesischer Hutu-Mililzenkommandant, der im | |
Auftrag von Kongos Armeeführung das Abkommen mit der FDLR schloss. Ziel des | |
Abkommens, so Tuyibahe: „Gemeinsam gegen die M23 und Ruanda kämpfen, die | |
ruandischen Truppen schlagen und letztlich Ruanda einnehmen.“ | |
2022 stieg Mugabo zum Chef der neugegründeten kongolesischen Reservearmee | |
auf, in welcher zahlreiche paramilitärische Milizen – [6][Wazalendo | |
(Patrioten)] genannt – als Teil der Streitkräfte integriert worden sind, um | |
die M23-Rebellen zu bekämpfen. In ihrer Propaganda nehmen sie regelmäßig | |
Ruanda als Feind ins Visier. | |
Seitdem habe sich für die FDLR vieles verändert, erklärt der | |
Ex-Leibwächter. Dies bestätigen auch andere desertierte Ex-Kämpfer im | |
Mutobo gegenüber der taz. „Unser Leben in der FDLR war seitdem besser als | |
je zuvor“, sagen sie. | |
## FDLR-Militärführung residiert jetzt am Kivu-See | |
Grund dafür ist auch, dass FDLR-Militärführer Omega vergangenes Jahr ein | |
neues Hauptquartier aufschlagen konnte, unmittelbar vor den Toren der | |
ostkongolesischen Provinzhauptstadt Goma: in Bambiro direkt am Kivusee, | |
neben der Kleinstadt Sake, hinter der die Front zwischen Armee und | |
M23-Rebellen verläuft. Von Bambiro aus können FDLR-Kämpfer nun ganz einfach | |
nach Goma zum Einkaufen fahren, medizinisch versorgt werden – all dies war | |
im Dschungel, wo die FDLR bislang hauste, nicht möglich. | |
In Bambiro lebt Omega in einem Steinhaus direkt am Ufer des Sees. Er hat | |
Fahrzeuge und Boote, um seine Truppen zu transportieren. „Am 15. Tag jedes | |
Monats liefert die Armee Lebensmittel, Munition und Waffen bei Omega ab“, | |
erklärt Tuyibahe. Er verfüge in Bambiro über eine Einheit von 75 Mann. | |
Weitere 75 FDLR-Kämpfer würden Kongos Armee in den Masisi-Bergen | |
nordwestlich von Sake im Kampf gegen die M23 helfen. Auch Omegas | |
Vizegeneral [7][Ezéchiel Gakwerere, genannt Stany], in Ruanda als aktiver | |
Täter des Völkermordes gesucht, ist in Bambiro stationiert. | |
Die FDLR-Kommandanten seien inzwischen auch dafür zuständig, die | |
kongolesischen Wazalendo-Milizen zu trainieren – an schweren Waffen und in | |
Taktik. Die FDLR verfügt seit jeher über eine interne Militärschule, in | |
welcher sie ihren eigenen Nachwuchs ausbildet. Im Juli und August 2023 habe | |
General Mugabo mehrere Treffen der Wazalendo in Goma abgehalten, die | |
FDLR-Führung schickte Vertreter. Seitdem soll Omega für die Koordination | |
der Wazalendo zuständig sein. Milizionäre bestätigen dies telefonisch auf | |
taz-Nachfrage. | |
Doch die neue Rolle der FDLR im Krieg zwischen den beiden Nachbarländern | |
hat ihre Schattenseiten. Innerhalb der FDLR-Führung kam es jüngst offenbar | |
zu Konflikten. Unter den 68 Ex-Kämpfern in Mutobo sind erstaunlich viele | |
Deserteure der [8][Spähtruppe CRAP], einer Eliteeinheit, deren Aufgabe es | |
stets war, verdeckt in ihr Heimatland Ruanda vorzudringen und hinter | |
feindlichen Linien zu operieren. Dass CRAP-Kämpfer desertieren, war bisher | |
sehr selten. Das hat sich geändert. | |
Vier der desertierten CRAP-Kämpfer in Mutobo sind unter 18 Jahre alt und | |
damit Ex-Kindersoldaten, die taz soll deswegen ihre Namen nicht nennen. | |
Kommandant der CRAP-Einheiten war bislang Protogène Ruvugayimikore, bekannt | |
unter seinem Kriegsnamen Ruhinda. Der 54-jährige Oberst, der innerhalb der | |
FDLR für seine Angriffe auf Ruanda als Held galt, starb Anfang Dezember | |
2023 unter bislang unbekannten Umständen. | |
Seine Ex-Kämpfer in Mutobo bestätigen jetzt gegenüber der taz: Die | |
CRAP-Truppe – insgesamt keine hundert Mann – sei fast vollständig in | |
Kongos Armee integriert. Ruhinda selbst habe einen Großteil seiner Zeit | |
nicht im FDLR-Hauptquartier in Bambiro verbracht, sondern in der nahe | |
gelegenen Armeekaserne, dort gegessen und oft sogar dort geschlafen. | |
„Doch Omega hatte Angst, die Kontrolle über seine CRAP an die Armee zu | |
verlieren“, erklärt Tuyibahe. „Eines Nachts, als Ruhinda nach langem | |
Aufenthalt bei der Armee wieder bei uns geschlafen hat, explodierte eine | |
Granate unter seinem Bett.“ Er wurde in Bambiro beerdigt. Die | |
Ex-FDLR-Kämpfer in Mutobo mutmaßen, Omega selbst habe den Mord in Auftrag | |
gegeben. | |
## Entspannungsversuche aus Angola | |
Mittlerweile gibt es erste Anzeichen, dass die Partnerschaft zwischen | |
Kongos Armee und der FDLR nicht für immer halten kann. In den vergangenen | |
Wochen trafen sich Regierungsdelegationen aus der DR Kongo und Ruanda in | |
Luanda, der Hauptstadt Angolas. Der dortige Präsident João Lourenço wurde | |
von der Afrikanischen Union (AU) beauftragt, Friedensverhandlungen zwischen | |
Kongo und Ruanda einzuleiten. | |
Als Voraussetzung fordert die ruandische Seite die „Neutralisierung der | |
FDLR“, so geht es aus einer Erklärung des letzten Treffens Ende März | |
hervor. Laut verschiedenen Quellen sucht die kongolesische Regierung in | |
Kinshasa nun nach Vermittlern, die eine „Scheidung“ zwischen der Armee und | |
der FDLR aushandeln könnten. | |
In Ruanda hegt man Hoffnung, dass bald wieder viel mehr FDLR-Kämpfer | |
desertieren. „Wir haben Kapazitäten und sind bereit, jederzeit auch ganze | |
Einheiten von mehreren hundert Mann zu empfangen und zu beherbergen“, so | |
Valerie Nyirahabineza, Vorsitzende der Demobilisierungskommission. Aber | |
wenn nicht, steht Ruanda auch militärisch Gewehr bei Fuß. | |
4 Apr 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.lemonde.fr/afrique/article/2024/03/30/felix-tshisekedi-presiden… | |
[2] https://www.newtimes.co.rw/article/15654/news/rwanda/rwanda-cannot-carry-dr… | |
[3] /Kongo-Kriegsverbrecherprozess/!t5020386 | |
[4] /Ruandische-Milizen-im-Kongo/!5166976 | |
[5] https://www.un.org/securitycouncil/sanctions/1533/materials/summaries/indiv… | |
[6] /Milizen-in-der-DR-Kongo/!5977887 | |
[7] /Absurder-Krieg-im-Kongo/!5080846 | |
[8] /7-Tag-Kongo-Kriegsverbrecherprozess/!5119562 | |
## AUTOREN | |
Simone Schlindwein | |
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