| # taz.de -- Wahlen in GB und Frankreich: Auch die Linke kann siegen | |
| > Erst London, dann Paris: Was für eine Woche! Wenn die Linke Botschaften | |
| > von „Hoffnung“ und „Wandel“ hat, dann werden die Rechten nicht | |
| > durchkommen. | |
| Bild: Jubel bei den Linken: Place de la Republique in Paris nach der Verkündun… | |
| Was für eine Woche: Am Donnerstag feierte die Labour Party einen | |
| Erdrutschsieg und beendete damit 14 besonders fürchterliche Tory-Jahre, die | |
| Großbritannien ökonomische Niedergang, den Brexit und unfähige Filous von | |
| David Cameron, Boris Johnson bis Liz Truss bescherten. Sonntag dann der | |
| Wahlsieg des linken Wahlbündnisses Nouvelle Front Populaire in Frankreich | |
| und das Aus der Machtträume der Rechtsextremen. Noch vor wenigen Tagen galt | |
| verbreitet düstere Stimmung – und jetzt das! | |
| Die Wahlergebnisse zeigen: Die Linke kann, wenn sie es klug anstellt, | |
| gewinnen. Natürlich findet man immer ein Haar in der Suppe, wenn man lange | |
| genug danach sucht. Besonders gut darin sind selbstverständlich Linke, die | |
| so verliebt ins Verlieren sind, dass sie sich bei Niederlagen in ihrem | |
| Elend suhlen und bei Siegen sicher etwas finden, um sich doch wieder als | |
| Verlierer zu fühlen. Labour sei nicht links genug und das Ergebnis gar kein | |
| solcher Triumph, wird genörgelt. | |
| In Frankreich gibt es bei den Linken Akteure, die den jeweils anderen nicht | |
| gefallen. Die einen sind zu moderat für die Radikalen, die anderen zu | |
| altbacken-linkspopulistisch für die Moderaten oder zu simpel gestrickt für | |
| die Postmodernen. Manchmal hat man das Gefühl, das Hauptproblem für die | |
| Linken sind die Linken und deren Hang zum Geflenne. Schon George Orwell | |
| stellte fest, dass beim Sozialismus wie beim Christentum „seine Anhänger | |
| die schlechteste Reklame“ seien. | |
| Labour reüssierte mit einem sehr im Ungefähren gehaltenen Programm, aber | |
| mit dem Versprechen auf Wandel. Quasi: „Change“ und „Hope“, Details fol… | |
| später. Keir Starmer, solide, spröde, dafür vertrauenswürdig, war in den | |
| achtziger Jahren Redakteur beim Magazin der [1][International Revolutionary | |
| Marxist Tendency], jetzt ist er Premierminister seiner Majestät. Ich mag | |
| solche lebensgeschichtlichen Kapriolen. | |
| ## Keine reine Notallianz | |
| Schon Frankreichs Lionel Jospin hat als Trotzkist die Sozialdemokraten so | |
| perfekt unterwandert, dass irgendwann das Sozialdemokratische in ihn | |
| eingewandert und er Ministerpräsident war. Worauf Labour setzte, war die | |
| Botschaft von Wandel, Reform, die Aussicht auf Verbesserungen, quasi ein | |
| bisschen Utopie in Trippelschritten. Auch in Frankreich wurde nicht nur | |
| durch eine Notallianz die Machtübernahme der Rechten verhindert. | |
| Es gab einen Schwung darüber hinaus. Innerhalb weniger Tage ist es | |
| gelungen, eine Allianz, die Neue Volksfront, auf die Beine zu stellen aus | |
| Sozialisten, Jean-Luc Melénchons Unbeugsamem Frankreich, den Grünen und | |
| anderen. Wer die Rivalitäten im linken Parteienwesen im Allgemeinen und den | |
| Hader im französischen Linksmilieu im Besonderen auch nur oberflächlich | |
| kennt, der ahnt, was für ein Titanenakt diese sensationelle Allianz gewesen | |
| sein muss. | |
| „Eine kleine Gruppe von linken Funktionären ergriff die Initiative und | |
| drängte gleichzeitig diejenigen an den Rand, die aus der Konkurrenz um | |
| Wählerstimmen ein ideologisches und persönliches Zerwürfnis gemacht haben“, | |
| berichtet der weltberühmte linke [2][Philosoph Étienne Balibar]. Ein | |
| provisorisches Programm hat man auch noch schnell punktiert: Koppelung der | |
| Löhne an die Inflation, Erhöhung der Mindestlöhne auf 1.600 Euro, | |
| Vermögenssteuer, Preisbremse für Grundbedürfnisse, sozialer Wohnungsbau, | |
| Rücknahme der [3][Rentenreform] und der Verschärfungen beim | |
| Arbeitslosengeld … | |
| Das war dann für die Wählerinnen und Wähler eben nicht nur ein Angebot, | |
| „die Rechten zu verhindern“, sondern ein Versprechen auf Wandel, Sicherheit | |
| und Respektabilität für die einfachen Leute. Die Linke wurde stärkste | |
| Kraft. Und was auch noch bemerkenswert ist: Die zuletzt völlig | |
| zertrümmerten Sozialisten sind mit Melénchons populistischer Linkspartei | |
| faktisch gleichauf. Die vernünftige Linke hat mehr gewonnen als die | |
| spalterische Linke. Und auch in Melénchons Partei haben die geerdeten, | |
| guten Leute gewonnen. | |
| ## Zuversichtliche Botschaften | |
| Die sind das Rückgrat des „unbeugsamen Frankreichs“, die Leute, die in | |
| ihren Vierteln, in den Banlieues, bei der Arbeiterklasse der Kleinstädte | |
| Vertrauen haben, weil sie die Einzigen sind, die sich kümmern. Diese | |
| Einheit und natürlich auch der Name „Volksfront“, der sofort Anklänge an | |
| die heroische Episode von [4][Leon Blum]s Volksfrontregierung von 1936 | |
| herstellt – all das funktionierte auch als Versprechen auf „Wandel“ und | |
| „Hoffnung“. | |
| Der Aufschwung der radikalen Rechten ist eine große Falle für die Linke: | |
| Dass man sich nur mehr darauf konzentriert, das „Schlimmste zu verhindern“ | |
| und die „Rechten zu stoppen“. So ehrenwert das ist, so schafft es doch eine | |
| Situation, in der sich die Linke vornehmlich negativ über die Rechte | |
| definiert und keinen Ausweg aus der Verbitterung und der depressiven | |
| Verstockung anbietet. | |
| Bei allen Unterschieden verbindet das die beiden Wahlergebnisse: Die Linken | |
| verkörperten die Sehnsucht nach Wandel und Hoffnung und gewannen. Die | |
| Rechte hat keine Mehrheit, wenn die Progressiven eine echte Alternative | |
| darstellen. Man hat das da und dort auch bei den Europawahlen gesehen: In | |
| Finnland, in Schweden, in Spanien, in Portugal. In Dänemark überholte die | |
| grün-linke [5][Socialistisk Folkeparti] sogar die Sozialdemokratie, die | |
| abstürzte. | |
| Die Sozialdemokratie, die mit ihrem harten Migrationskurs eigentlich als | |
| Role Model für eine „rechtere“ Sozialdemokratie galt, landete bei 15,6 | |
| Prozent. Die Socialistisk Folkeparti verband die ökologische Frage klug und | |
| schlau mit dem Lebenshaltungskosten-Thema. Botschaft: Erneuerbare Energien | |
| ausbauen, das ist gut für das Klima und senkt die Energiepreise. | |
| Die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger sehnen sich nach sozialem | |
| Fortschritt, Modernisierung, ökonomischer Sicherheit, sie wünschen | |
| praktisch taugliche und leistbare Maßnahmen gegen den Klimawandel und sind | |
| bereit, die multikulturellen Realitäten unserer Gegenwart gegen den | |
| Ethnonationalismus zu verteidigen. Sie wollen kein „Weiter so“, sondern | |
| Wandel. | |
| 10 Jul 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.youtube.com/watch?v=XYZ3RSN6Phw | |
| [2] https://www.pressreader.com/germany/nd-diewoche/20240706/282123526717381 | |
| [3] /Macrons-Rentenreform-in-Frankreich/!5941347 | |
| [4] https://www.buchenwald.de/geschichte/biografien/ltg-ausstellung/leon-blum | |
| [5] https://politpro.eu/de/daenemark/parteien/socialistisk-folkeparti | |
| ## AUTOREN | |
| Robert Misik | |
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