# taz.de -- Javier Milei in Berlin: Scholz trifft „Anarchokapitalisten“ | |
> Zwei ganz unterschiedliche Politikertypen kommen in Berlin zusammen: Hier | |
> der leise sozialdemokratische Pragmatiker, da der laute rechte | |
> Exzentriker. | |
Bild: Protest gegen Argentiniens rechtspopulistischen Staatspräsidenten Javier… | |
BERLIN dpa/taz | Javier Milei ist kein Freund der leisen Töne: Im Wahlkampf | |
trat er mit laufender Kettensäge auf, unliebsame Parlamentarier tituliert | |
er gerne als „Ratten“ und der Staat ist für ihn die Wurzel allen Übels. Am | |
Sonntagmittag wird der argentinische Präsident, der sich selbst als | |
„Anarchokapitalisten“ bezeichnet, von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im | |
Berliner Kanzleramt empfangen. | |
Eines ist sicher: Da werden zwei völlig gegensätzliche Politikertypen | |
aufeinandertreffen: Hier der leise Pragmatiker, da der laute Exzentriker. | |
Viel wird die Öffentlichkeit davon allerdings nicht mitbekommen: Die | |
ursprünglich angekündigte Begrüßung mit militärischen Ehren wurde ebenso | |
kurzfristig abgesagt wie eine gemeinsame Pressekonferenz. | |
Geblieben ist ein kurzer Fototermin zum Auftakt des Gesprächs, das | |
lediglich eine Stunde dauern soll – auf Wunsch Mileis, wie es von deutscher | |
Seite heißt. Die direkte Konfrontation mit Journalisten liegt dem | |
argentinischen Staatschef nicht: Auch in seiner Heimat gibt er praktisch | |
nie Pressekonferenzen. | |
Bei dem Treffen im Kanzleramt dürfte es vor allem um Wirtschaftsthemen | |
gehen. Argentinien verfügt über viele Rohstoffe wie beispielsweise Lithium, | |
das in Deutschland dringend gebraucht wird. Ein weiteres Thema dürfte das | |
von beiden Seiten [1][angestrebte Freihandelsabkommen Mercosur] sein. | |
## Kritik an Mercosur-Verhandlungen mit Milei | |
Die Gespräche über das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union | |
und dem südamerikanischen Wirtschaftsbund Mercosur sind weiterhin | |
festgefahren. Milei ist als Wirtschaftsliberaler zwar ein großer Freund des | |
Freihandels, liegt aus ideologischen Gründen allerdings mit Brasiliens | |
Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva – dem Staatschef der größten | |
Wirtschaftsmacht der Region und Argentiniens wichtigstem Handelspartner – | |
über Kreuz. | |
Allerdings gibt es auch in der deutschen Politik laute Zweifel, ob das | |
Mercosur-Abkommen unter den gegebenen Umständen zustande kommen sollte. | |
„Die rechtsextreme Milei-Regierung ist kein stabiler Wertepartner für die | |
deutsche Wirtschaft“, sagte der grüne Bundestagsabgeordnete Max Lucks der | |
taz. „Wie wir mit einem Präsidenten, der den menschengemachten Klimawandel | |
leugnet und sämtliche Menschenrechte innenpolitisch abschaffen möchte, | |
verbindliche Standards in ein Mercosur-Abkommen verhandeln wollen, ist mir | |
ein Rätsel“, so Lucks, der grüner Obmann im Ausschuss für Menschenrechte | |
und humanitäre Hilfe ist. | |
„Mileis Verachtung für den Staat und seine Institutionen, gepaart mit einem | |
einzigartigen Sparprogramm und seiner Absicht, das Land per Dekret zu | |
regieren, offenbaren ein zynisches, antidemokratisches Weltbild“, sagte | |
Gregor Gysi, Sprecher für Außenpolitik der Gruppe Die Linke im Bundestag. | |
Mit so einem Präsidenten dürfe es keine enge Zusammenarbeit Deutschlands | |
geben. „Milei muss die Bürgerrechte und die Demokratie in Argentinien | |
achten, andernfalls kann es kein Mercosur-Abkommen geben“, forderte Gysi. | |
## Besuch bei rechtsliberaler Hayek-Gesellschaft | |
Milei war bereits am Samstag in Deutschland eingetroffen und hatte in | |
Hamburg die Medaille der [2][rechtsliberalen Friedrich August von | |
Hayek-Gesellschaft] erhalten – in Anwesenheit der AfD-Politikerin Beatrix | |
von Storch und des Vorsitzenden der rechtskonservativen Werteunion | |
Hans-Georg Maaßen. | |
„Sie bringen den Kapitalismus aus der Defensive“, sagte der Vorsitzende des | |
Ökonomen-Verbandes, Stefan Kooths, in seiner Laudatio in einem Hamburger | |
Hotel. Er verglich Mileis Politik mit einer Chemotherapie. „Die | |
Nebenwirkungen sind heftig“, sagte der Kieler Wirtschaftswissenschaftler. | |
Aber ohne eine solche Therapie wäre Argentinien am Ende. | |
Unter dem Motto: „Kein Preis für extreme Rechte, keine Medaille für Javier | |
Milei“ [3][protestierten vor dem Veranstaltungsort mehrere hundert | |
Demonstranten]. Sie waren einem Aufruf eines Bündnisses argentinischer und | |
deutschen zivilgesellschaftlichen Organisationen sowie der Linkspartei | |
gefolgt. | |
## Argentinien in der Krise | |
Die zweitgrößte Volkswirtschaft Südamerikas steckt seit Jahrzehnten in | |
einer schweren Wirtschaftskrise. Argentinien leidet unter einem | |
aufgeblähten Staatsapparat, geringer Produktivität der Industrie und einer | |
großen Schattenwirtschaft, die dem Staat viele Steuereinnahmen entzieht. | |
Milei hat dem Land nun eine echte Rosskur verordnet: Die Regierung strich | |
Tausende Stellen im öffentlichen Dienst, kürzte Subventionen und | |
[4][wickelte Sozialprogramme ab]. Nach Angaben der Katholischen Universität | |
Argentiniens leben knapp 56 Prozent der Menschen in Argentinien unter der | |
Armutsgrenze und rund 18 Prozent in extremer Armut. | |
„Es war immer klar, dass das nicht ohne Härten über die Bühne gehen wird, | |
aber das haben wir den Leuten immer klar kommuniziert“, sagte Milei bei | |
seinem recht langatmigen Vortrag vor der Hayek-Gesellschaft. „Wir haben | |
gesagt, dass es kein Geld gibt, dass es hart werden wird, dass der Anfang | |
schwer werden wird, aber dass wir schließlich gute Ergebnisse erzielen | |
werden.“ | |
## Bislang nur wenige Treffen mit Staats- und Regierungschefs | |
Vor Scholz haben bisher nur wenige Staats- und Regierungschefs Milei seit | |
dessen Amtsantritt vor einem halben Jahr empfangen: Italiens | |
postfaschistische Regierungschefin Giorgia Meloni, Israels | |
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, El Salvadors Präsident Nayib Bukele | |
und Papst Franziskus als Staatsoberhaupt des Vatikans. | |
Die für argentinische Präsidenten üblichen Reisen in die wichtigen | |
Nachbarländer wie Brasilien und Chile ließ Milei wegen ideologischer | |
Differenzen ausfallen. Bei seinem Besuch in Spanien traf Milei sich nicht | |
mit Regierungsvertretern, sondern trat stattdessen bei einer | |
Wahlkampfveranstaltung der rechtsextremen Vox-Partei auf. Dort | |
[5][beschimpfte er die Ehefrau von Ministerpräsident Pedro Sanchez] als | |
korrupt. Seitdem gilt das Verhältnis zwischen Spanien und Argentinien als | |
gestört. | |
In den USA war er zwar bereits mehrfach – aber ohne Termin im Weißen Haus. | |
Stattdessen traf er sich mit Tesla-Boss Elon Musk und Ex-Präsident Donald | |
Trump, mit dem er häufig verglichen wird. | |
23 Jun 2024 | |
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