Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- US-Saxofonist James Chance gestorben: Zigarettenstummel des Jazz
> Begnadeter Tänzer, wütender Sänger, hupender Saxofonist: Der New Yorker
> No-Wave-Musiker James Chance ist gestorben. Ein Nachruf.
Bild: James Chance beim Moers Festival 1997
„Das reinste Chaos, aber doppelt so schnell“, hat US-Musikkritiker Frank
Kogan den Sound von James Chance & The Contortions beschrieben, als er das
Quartett 1978 im New Yorker Club „CBGB’s“ sah. Bandleader James Chance
spielte seit Teenagertagen Klavier und Saxofon.
Sein großes Vorbild war Albert Ayler, aber Chance imitierte ihn nicht, er
nahm das Freigeistige von Aylers Stil und warf es auf Punk, Disco und Funk.
So klangen die Contortions einerseits abgerockter, wie Zigarettenstummel,
die Jazz spielen; andererseits war da bei allem Nihilismus eine ätzende
Vitalität, die dem Verfall durch Fuck-you-Haltung trotzte. „Der rothaarige
Saxofonist ist der Troublemaker aus einem Tex-Avery-Cartoon.“ (Frank Kogan)
James Chance war ein begnadeter Tänzer, auf der Bühne, wo er gerne den
Shimmy tanzte und vor der Bühne, wo er das Publikum auch mit körperlicher
Gewalt dazu brachte, sich – gefälligst – zu seiner Musik zu verhalten.
„It’s better than pleasure / It hurts more than pain / But I’ve got what …
takes / To drive you insane“, sang er im Signatursong „Contort yourself“,
auf dem Debütalbum „Buy“. Seine Stimme war cholerisch, ein Seufzen und
Keuchen gegen das große ganze Unheil.
Man vergisst heute, wie quer James Chance damit zu allen Diskursen lag.
Weder Jazz noch Punk. Mitte der 1970er war er von Milwaukee, wo er als
James Siegfried geboren wurde, nach New York gegangen, hing zunächst in der
Loftjazzszene ab, aber hielt sich nicht lange in akademischen
Mucker-Zirkeln auf, sondern traf auf Gleichgesinnte zwischen Musik,
Undergroundfilm und Kunst.
## Dreh- und Angelpunkt von „No New York“
Zusammen mit der früh an Krebs verstorbenen Schauspielerin Anya Phillips
und [1][der Sängerin Lydia Lunch] wurde James Chance zum Dreh- und
Angelpunkt einer Offszene, die dem bankrotten New York den ultimativen
Soundtrack gab: „No New York“, wie die von Brian Eno produzierte
Compilation jener Szene betitelt war.
Man traf sich [2][bei Glenn O’Brien in seiner Talk-Show „TV Party“ im
Offenen Kanal,] ging zu Vernissagen, machte Musik für Filme wie „Grützi
Elvis“, bei dem Regisseur Diego Cortez Elvis Presley mit Ulrike Meinhof
kurzschloss, zwischen Graceland und Stammheim changierte. Die Musik
(darunter der Song „Schleyer’s Tires“) von James Chance war nicht nett und
schon gar nicht liebevoll, sie unterzog Monotonie und Morbidität einer
Groove-Hypnose. „He punked the Funk“ hat Glenn O’Brien dazu gesagt.
## Niederschmetternde Coverversionen
Für das 1979 veröffentlichte Album „Off White“ benannte sich James Chance
als Spiegelbild von James Brown in James White um. Auf dem Livealbum „Aux
Beins Douches“, die Aufnahme eines Konzerts in Paris, gibt es zwei
umwerfend niederschmetternde Coverversionen von James Brown, „I Got You (I
Feel Good)“ sowie „King Heroin“.
Der irren Energie musste James Chance Tribut zollen. Kollegen starben an
Überdosen, er selbst wurde nach einer Heroinabhängigkeit wieder clean. Aber
die Euphorie der Sturm- und Drangzeit war passé. Zu kometenhaft war sein
Aufstieg gewesen und so blieben Gastauftritte und Tourneen die sporadischen
Lebenszeichen. Wie nun bekannt wurde, ist James Chance am 18. Juni im Alter
von 71 Jahren in New York gestorben.
20 Jun 2024
## LINKS
[1] /Nachruf-auf-Westberliner-Plattenhaendler/!5931471
[2] /!327869/
## AUTOREN
Julian Weber
## TAGS
Free Jazz
Post-Punk
Saxofon
Nachruf
Nachruf
Neues Album
Ausstellung
New York
## ARTIKEL ZUM THEMA
US-Produzent Quincy Jones gestorben: Soul und Ehrlichkeit
Mit unermüdlichem Tatendrang konterte er Diskriminierung. Nun ist der
Komponist und Produzent Quincy Jones im Alter von 91 Jahren gestorben.
Avantgarderock-Duo Gastr del Sol: Alles könnte passieren
Mit der Erweiterung des musikalisch Denk- und Spielbaren begeistert das
Album „We Have Dozens of Titles“ des US-Avantgarderock-Duos Gastr del Sol.
Ausstellung im Stadtmuseum München: Midnight in Munich
Münchens Nachtleben bei Tageslicht: Wie es der US-Jazz 1947 wieder aufleben
ließ und wo heute die feiern, die mit der Wiesn nichts anfangen können.
Gitarrist Arto Lindsay: Lärm ist allumfassend
Arto Lindsay ist Grenzgänger zwischen Pop und No Wave, Rio de Janeiro und
New York. Die Werkschau „Encyclopedia of Arto“ zeigt seine vielen Seiten.
Ausstellung zum Cinema of Transgression: Sex, Blasphemie und offene Wunden
Im Berliner KW Institute for Contemporary Art läuft eine Retrospektive
blutrünstiger Undergroundfilme aus dem New York der achtziger Jahre.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.