# taz.de -- Klimawandelbuch von Soziologe Beckert: Die 2,5 Grad im Rücken | |
> Der Soziologe Jens Beckert dämpft mit „Verkaufte Zukunft“ etwaige | |
> Erwartungen, menschengemachten Klimawandel rechtzeitig in den Griff zu | |
> bekommen. | |
Bild: Hochwasser im Juni im bayerischen Reichertshofen | |
An einer Stelle findet Jens Beckert deutliche Worte: Der Klimawandel sei | |
„das größte Staatsversagen aller Zeiten“, schreibt der Kölner Soziologe. | |
Auch, dass die vollständige Abkehr von fossilen Energieträgern in den | |
nächsten Jahrzehnten mehr als unwahrscheinlich ist, merkt er nüchtern an – | |
700 neuen deutschen Windrädern im Jahr 2023 zum Trotz. | |
Beckert, das wird schnell ersichtlich, ist kein großer Revolutionär, sein | |
Buch kein Aufruf zum Systemsturz. Seine Programmatik erklärt er mit Walter | |
Benjamin: Er will helfen, den Pessimismus zu organisieren. | |
Wir leben in einer eher innovationsarmen Zeit. Wie US-Kulturanthropologe | |
David Graeber einmal festhielt, wird die Visionslosigkeit angesichts des | |
Kampfes gegen den Klimawandel heute besonders offenbar, stellt man ihr | |
Meilensteine wie die Gründung der Vereinten Nationen oder die Mondlandung | |
gegenüber. | |
## Dem Bewährten verschrieben | |
Eine große Anzahl an Menschen, so ist man auch hinsichtlich der Wahlerfolge | |
von Rechtspopulisten weltweit geneigt zu konstatieren, ist ohnehin nicht so | |
fürs Neue, sondern hat sich dem Bewahren verschrieben. Oder möchte am | |
liebsten den Rückwärtsgang einlegen. | |
Die Unfähigkeit, sich die Zukunft als etwas anderes als eine leicht | |
veränderte Gegenwart mit Sci-Fi-Anstrich vorzustellen, kritisiert auch | |
Beckert. Gegen jeden Sachverstand, schreibt er, werde der ökonomische | |
Egoismus – mehr Konsum, mehr Fleisch, mehr Flugreisen – als eine Art | |
anthropologische Konstante gesehen und nicht als historisch betrachtet sehr | |
junges Phänomen. | |
Beckert zielt auf die wohlstandsverwöhnte deutsche Mittelschicht ab und | |
landet so irgendwann beim Grünen Wachstum. An das glaubt er zwar nicht, wie | |
er etwa in seiner Abrechnung mit dem EU-Zertifikatehandel ausführt. An | |
radikale Alternativen jedoch ebenso wenig: Für ein Leben innerhalb der | |
planetarischen Grenzen führe kein Weg an nachhaltigen Beschränkungen von | |
wirtschaftlichem Wachstum und exzessivem Konsum vorbei, schreibt Beckert. | |
„Und dennoch frage ich mich, ob hinter den eingängigen Forderungen nach | |
einem radikalen Systemwechsel mehr steht als eine routinierte Attitüde.“ | |
## Weniger Emission, mehr Erfolg | |
Es komme jetzt darauf an: Wettbewerb unter den Unternehmen politisch in | |
Bahnen zu lenken, in denen die Vermeidung von Emissionen zu (finanziellem) | |
Erfolg führt. Dabei ist er sich auch des Dilemmas bewusst, dass die globale | |
Herausforderung nicht nur jene Länder bewältigen müssen, die jahrelang | |
ungebremst Treibhausgase emittierten. | |
Beckert führt als Beispiel Kongo an, das sich Milliardengewinne davon | |
verspricht, Öl unter einem Regenwald zu fördern, der dafür der Axt zum | |
Opfer fallen würde. Auf Forderungen der USA, dem Land mit dem zweithöchsten | |
Treibhausgasausstoß weltweit, die Förderlizenzen zugunsten des Regenwalds | |
nicht zu vergeben, reagierte man im Kongo verständlicherweise empfindlich. | |
Beckert misst trotzdem auch kleinen Veränderungen Bedeutung bei – wenn auch | |
eher als erzieherische Maßnahme. Die Errichtung von Anlagen zum | |
Hochwasserschutz im eigenen Dorf etwa sei eine konkret erlebte Verbesserung | |
des Schutzes vor den Folgen des Klimawandels und könnte, so hofft der | |
Autor, das Bewusstsein für die Bedeutung der „Klimaproblematik“ erhöhen. | |
## Klimakrise fühlbar gemacht | |
Die Klimakrise, die er als solche in seinem Buch niemals benennt, muss | |
nachvollziehbar, fühlbar gemacht werden. Beckert führt Zahlen, Statistiken | |
und Fakten an, die schaurig wären, hätte man sich an sie nicht schon lange | |
gewöhnt. Das akrasische Problem, wider besseres Wissen das Gegenteil von | |
dem zu tun, was geboten, man könnte auch sagen, „vernünftig“ wäre, tritt | |
hier in seiner ganzen Größe zutage. | |
Auch Beckert weiß, dass der Kampf gegen den Klimawandel spät, [1][womöglich | |
zu spät ernsthaft aufgenommen wird.] Auf eine um mehr als 2 Grad erwärmte | |
Welt müsse sich die Menschheit schlichtweg einstellen, schreibt der | |
Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung in Köln. Doch | |
wenn schon die schwache Hoffnung auf eine Abmilderung des Klimawandels | |
besteht, sei klimapolitisches Engagement weiterhin wichtig und richtig. | |
Beckert bleibt Realist: „Nichts davon ist einfach, nichts davon ist | |
wahrscheinlich.“ | |
21 Jun 2024 | |
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## AUTOREN | |
Julia Hubernagel | |
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