# taz.de -- Nazi-Parolen auf Dorffest in Heinersdorf: Eskalation mit Ansage | |
> Erst wird das „Sylt“-Lied gesungen, dann ziehen Rechte marodierend durch | |
> Heinersdorf. Anwohner sind besorgt, der Ortsbeirat positioniert sich. | |
Bild: Die Ruhe nach dem Dorffest | |
HEINERSDORF taz | Insgesamt dreimal soll „DJ Fabicii“ das Lied „L’Amour | |
toujors“ beim diesjährigen Dorffest in Heinersdorf, einem Ortsteil der | |
Gemeinde Steinhöfel im Osten Brandenburgs, gespielt haben. Der Song ist zu | |
einer Art Hymne für Rechtsextreme geworden, spätestens seit vor etwa zwei | |
Wochen in [1][einer Bar auf Sylt dazu rassistische und volksverhetzende | |
Parolen gegrölt worden waren]. Veranstaltungen wie die Berliner Fanmeile | |
haben deshalb bereits angekündigt, das Lied nicht mehr zu spielen. | |
Auch beim Dorffest in Heinersdorf sollen rechtsextreme Parolen zum Lied | |
gesungen worden sein. Im Anschluss daran sollen einige Partygäste nachts | |
durch das Dorf gezogen sein, sie sollen weiter Neonazi-Parolen gegrölt, an | |
Haustüren geklingelt und Wahlplakate der SPD sowie der Linken abgerissen | |
haben. | |
Rechte Vorfälle wie dieser in Heinersdorf waren im Vorfeld der | |
[2][Kommunal- und Europawahl] keine Ausnahme in der Region. Auch im Ort | |
Erkner im Landkreis Oder-Spree wurden bei einem „Heimatfest“ Ende Mai | |
Nazi-Parolen zu „L’Amour toujours“ gesungen. In Schöneiche im selben | |
Landkreis wurden im April zwei Kandidaten der Linken beim Plakatieren | |
angegriffen. | |
Das Brandenburgische Institut für Gemeinwesenberatung „demos“ schätzt die | |
genannten Vorfälle auf Nachfrage nicht als Einzelfälle ein – sie zeugten | |
nicht nur von einer Verschiebung des Sagbaren, sondern auch im | |
rechtsextremen Verhalten. Früher habe man in der Gemeinde Steinhöfel | |
etablierte Strukturen der NPD aufgefunden, heute läge eine hohe | |
Wahlbereitschaft für die AfD vor. Bei den [3][Kommunalwahlen am vergangenen | |
Sonntag] erhielt die AfD in Steinhöfel 30,3 Prozent der Stimmen. | |
## Neue Qualität | |
In Heinersdorf sei es in den vergangenen Jahren immer wieder zu rechten | |
Vorfällen gekommen, erzählt Pascale Müller, eine Anfang 30-Jährige, die | |
seit knapp vier Jahren in dem Ort lebt. Aber das, was sich am 1. Juni beim | |
Fest abgespielt habe, sei „irgendwie anders“ gewesen. Dass Leute nach dem | |
Fest nachts noch laut sind, sei an sich nichts Ungewöhnliches. „Aber diese | |
Qualität ist etwas anderes, das haben weder wir noch unsere | |
Nachbar*innen so schon einmal gehört“, so Müller. Schlimm fände sie, | |
wenn die rechtsextremen Parolen nun von Dorffest zu Dorffest weitergetragen | |
würden. | |
Müller und ihr Partner Michael Gegg betonen dennoch: Heinersdorf sei kein | |
„braunes Nest“. In der Gemeinde gebe es „ein paar Kandidaten, von denen m… | |
weiß, dass sie rechts sind“, sagt Gegg. „Wir haben hier aber auch viele | |
engagierte Nachbar*innen, die versuchen, dass das hier ein guter Ort ist.“ | |
2021 gründete sich das „Bündnis für ein weltoffenes Steinhöfel“, weil s… | |
in einem örtlichen Gasthof wiederholt AfD-Funktionäre aus dem offiziell | |
aufgelösten rechtsextremen Flügel der Partei trafen. Seitdem hat das | |
Bündnis mehrere Veranstaltungen gegen die AfD und Rechtsextremismus in der | |
Region organisiert. Am Sonntag nach dem Dorffest schrieben Mitglieder des | |
Bündnisses eine Stellungnahme, die sie der Gemeindevertretung vorgelegt | |
hätten, sagt Müller. | |
Dass der DJ „L’Amours toujours“ trotz der aktuellen Debatte auf dem | |
Dorffest gespielt habe, bezeichnet das Bündnis darin als „Eskalation mit | |
Ansage“: Er falle „damit allen in den Rücken, die das Dorffest mit viel | |
Einsatz und Mühe zu einem schönen Erlebnis für alle | |
Heinersdorfer*innen und Gäste machen wollen“, heißt es darin. Bereits | |
in vorangegangenen Jahren hätte man allerdings immer wieder von | |
Anwohner*innen gehört, dass sie sich auf dem abendlichen Teil des | |
Dorffestes nicht sicher fühlten. | |
## Ortsbeirat positioniert sich | |
Auch Janina Messerschmidt wohnt mit ihrem Partner in Steinhöfel. Vom | |
Dorffest selbst hätten sie nichts mitbekommen, allerdings sei ihr Partner | |
nachts wach geworden, weil es bei ihnen geklingelt habe, erzählt sie. | |
Messerschmidt, die bislang auch Gemeindevertreterin war, habe den Vorfall | |
und die Stellungnahme in der folgenden Sitzung des Ortsbeirats | |
angesprochen, sagt sie. Aufgrund der bevorstehenden Wahlen sei aber | |
praktisch keine Zeit gewesen, um darüber zu sprechen. Auf der Sitzung an | |
diesem Montag wurde dann jedoch eine Stellungnahme beschlossen. Diese soll | |
nun im Dorf ausgehängt und in alle Briefkästen verteilt werden. | |
Nicht zur Freude aller: Einige Anwohner*innen seien der Meinung, dass | |
die Dinge besser untereinander geklärt werden sollten und dass die Debatte | |
ausschließlich von neuen, jungen Anwohner*innen im Dorf angestoßen | |
worden sei. „Da steckt schon eine interessante Geschichtsschreibung drin“, | |
sagt Messerschmidt. | |
Auch alteingesessene Anwohner*innen aus der Region seien erschrocken | |
über die Ereignisse, „aber das wird so nicht erzählt“. Ihrer Meinung nach | |
gehe es in der Sache nicht nur um ein paar rechte Partygäste. „Ich würde | |
schon sagen, dass man hier einen sehr breiten Alltagsrassismus hat und | |
keine Strukturen, die dagegen anarbeiten.“ Man solle den Vorfall daher zum | |
Anlass nehmen, um strukturell an das Thema heranzugehen: „Ich glaube, es | |
geht da um eine langfristige Kulturänderung.“ | |
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Beitrags wurde der | |
im Text genannte DJ selbst der rechtsextremen Szene der Gemeinde | |
zugeordnet. Diese Information hat sich im Nachgang als falsch | |
herausgestellt. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen. taz berlin | |
12 Jun 2024 | |
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## AUTOREN | |
Clara Zink | |
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