| # taz.de -- Demos für Demokratie: Kampf gegen rechts vor der Haustür | |
| > Seit Anfang des Jahres engagieren sich in vielen Berliner Kiezen | |
| > Nachbarschaftsinitiativen gegen den Rechtsruck. Die große Mobilisierung | |
| > ist aber vorbei. | |
| Neben der Bühne macht sich eine ukrainische Kindertanzgruppe aufgeregt für | |
| ihren Auftritt bereit. Währenddessen spricht Hareth Almukdad zu den rund | |
| 200 Menschen, die zum Demokratie-Fest des Bündnisses „Lichterfelde | |
| Weltoffen“ gekommen sind. Ernst und gelöst zugleich wird hier in | |
| Steglitz-Zehlendorf gegen den Rechtsruck im Land protestiert. | |
| Almukdad erzählt von seiner Fluchtgeschichte. Der 38-Jährige floh 2016 aus | |
| Syrien und schlug sich anderthalb Monate zu Fuß durch Europa, bevor er in | |
| Deutschland ankam. Er integrierte sich schnell und ist seit einigen Jahren | |
| im Bezirksbeirat für Integration und Migration aktiv. Zusätzlich engagiert | |
| er sich bei der Begegnungsstätte „Mosaik“. „Dort versuchen wir, Geflüch… | |
| und Deutsche zusammenzubringen“, sagt er. „Wir wollen miteinander statt | |
| übereinander reden.“ | |
| Seit [1][Anfang des Jahres ein Ruck durch Deutschland] zu gehen schien, | |
| nachdem ein Geheimtreffen rechtsextremer Akteure zur „Remigration“ von | |
| Millionen Migranten öffentlich wurde, sind in Berlin zahlreiche | |
| Nachbarschaftsinitiativen gegen rechts entstanden. Sie alle vereint der | |
| Antrieb, die Energie der Großdemonstrationen gegen die AfD im Januar und | |
| Februar mit Hunderttausenden Menschen nicht einfach wieder verfliegen zu | |
| lassen. | |
| „Die Demokratie zu verteidigen ist ein Marathon, ja eine Lebensaufgabe“, | |
| bringt es Marc Raschke auf den Punkt. Der frühere Kommunikationschef des | |
| Klinikums Dortmund gilt als einer der kreativsten PR-Köpfe in Deutschland. | |
| Seit einiger Zeit nutzt er seine Kompetenzen, um sich durch | |
| Social-Media-Arbeit für den Erhalt der Demokratie und gegen rechts | |
| einzusetzen. Mit beißender Kritik spart er dabei auch die CDU nicht aus. | |
| ## Sonntagsabends Mahnwache | |
| Raschke spricht an einem der vielen Sonntagabende in Niederschönhausen in | |
| Pankow bei einer Mahnwache gegen rechts der Initiative „Unsere Straße | |
| bleibt hell“. [2][„Sylt hat gezeigt, dass Hass und Hetze] längst in der | |
| Mitte der Gesellschaft angekommen sind“, sagt er und zeigt sich beeindruckt | |
| von der unermüdlichen Arbeit von Initiativen wie „Unsere Straße bleibt | |
| hell“ oder „Lichterfelde Weltoffen“. | |
| „Die Idee ist, den Menschen das Engagement für die Demokratie und den | |
| Protest gegen Rechtsextremismus sozusagen direkt vor die Haustür zu | |
| bringen, ihnen ein Angebot zu machen“, sagt die 40-jährige Anne Adam, die | |
| die Aktionen im Norden Berlins organisiert. „Bei unserer ersten Mahnwache | |
| hier in Niederschönhausen Anfang März waren wir 65 Leute“, erzählt sie. �… | |
| dachte ich, jetzt geht es los, nächstes Mal sind wir 120 und so weiter.“ | |
| Stattdessen seien es schnell immer weniger Menschen geworden. | |
| An diesem Sonntag sind es nur zehn – für Anne Adam und ihre Mitstreiter | |
| eine frustrierende Erfahrung. Die Sektion im Winskiez in Prenzlauer Berg | |
| habe aufgrund der geringen Teilnehmerzahl dort ihren Standort erst mal | |
| aufgegeben und sich mit dem Bötzowkiez zusammengetan, erzählt Adam. | |
| Nichtsdestotrotz wollten die Winskiezler wie alle anderen nach einer | |
| Sommerpause vor den Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen | |
| aber neuen Anlauf nehmen. | |
| Auch Susanne, Ute und Silke, die nicht mit vollem Namen in der Zeitung | |
| stehen wollen, organisieren seit Jahresbeginn jeden Sonntag „Unsere | |
| Straße bleibt hell“-Aktionen im Helmholtzkiez in Prenzlauer Berg. An | |
| diesem Sonntag sind etwa 40 Menschen gekommen, auch ein paar Passanten auf | |
| ihrem Sonntagsspaziergang bleiben stehen und mustern das Treiben neugierig. | |
| „Ich bin in einem Umfeld aufgewachsen, in dem es oft ‚Wehret den Anfängen!… | |
| hieß“, erzählt die 50-jährige Silke. Die Frage, wie sich der | |
| Nationalsozialismus in der deutschen Gesellschaft durchsetzen konnte, habe | |
| sie schon immer umgetrieben. „Warum gehen so wenige Menschen auf die | |
| Straße? Wo bleibt der Ruck durch die Gesellschaft?“, fragt sie sich heute. | |
| ## Sorge vor AfD-Minister | |
| Die 52-jährige Lehrerin Ute macht sich Sorgen, dass nach den Landtagswahlen | |
| im Herbst tatsächlich ein AfD-Politiker Minister werden könnte. Damit fühlt | |
| sie sich jedoch ziemlich allein: „Zu den großen Demos konnte ich noch viele | |
| Kolleg*innen motivieren, aber zu den Mahnwachen kommt keiner von ihnen“, | |
| sagt sie enttäuscht. Dabei brauche es beides – große Demos und | |
| Kiez-Netzwerke im kleineren Rahmen: „Man lernt seine Nachbarn kennen, | |
| politisiert sich gemeinsam und entwickelt sich auch persönlich weiter.“ | |
| „Und man trainiert bei diesen Mahnwachen ja auch für politische Gespräche | |
| und Auseinandersetzungen“, ergänzt die 56-jährige Susanne, von Beruf | |
| Kamerafrau. Am Anfang hatten die Aktivistinnen Scheu, sich auf ihren | |
| Flyern klar gegen die AfD zu positionieren, um niemanden zu vergraulen. | |
| „Doch im Laufe der Zeit wurde die Notwendigkeit klar, unsere Position zu | |
| benennen: dass die AfD Menschenrechte missachtet und daher gestoppt werden | |
| muss.“ Dass Menschen rechte Parteien wählen, weil sie mit der aktuellen | |
| Regierung unzufrieden sind, kann sie nicht verstehen. „Das hatten wir schon | |
| mal. Die NSDAP wurde auch demokratisch gewählt.“ | |
| ## Nur wenige Junge | |
| Auffällig ist, wie wenig junge Menschen bei den Mahnwachen mitmachen. Die | |
| 16-jährige Hannah aus dem Helmholtzkiez, die ebenfalls nicht mit vollem | |
| Namen genannt werden stehen will, ist da eher die Ausnahme. Sie gehe | |
| regelmäßig zu den Demos von „Fridays for Future“, erzählt sie. „Bei,Un… | |
| Straße bleibt hell' gefällt mir vor allem, dass es im Kiez stattfindet. Der | |
| Kontakt mit den Menschen ist direkter.“ | |
| Die Bedrohung durch die AfD habe sie lange unterschätzt. „Doch jetzt | |
| bekomme ich immer mehr mit, wie die Rechten die Wahrheit verdrehen und wie | |
| viele das unterstützen.“ Dass das Wahlalter in Berlin auf 16 Jahre | |
| abgesenkt wurde und auch bei der Europa-Wahl 16-Jährige wählen durften, | |
| findet sie gut. Sie sagt aber auch: „Viele Jugendliche sind interessiert an | |
| Politik, sie sind aber auch leicht beeinflussbar.“ Insbesondere in den | |
| sozialen Medien seien sie Hass und Hetze ausgeliefert. | |
| Vor zwei Monaten hat Hannah einen Brief an Bundespräsident Frank-Walter | |
| Steinmeier (SPD) geschrieben, den sie auf der Mahnwache im Helmholtzkiez | |
| vorliest. „So viele Menschen sind im Januar auf die Straßen gegangen, um | |
| gegen Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus zu demonstrieren, doch | |
| nun? Es scheint, als würde keiner sich mehr trauen, Stellung zu beziehen, | |
| oder es nicht mehr als wichtig ansehen.“ Hannah wünscht sich, dass der | |
| Bundespräsident erneut an die Menschen appelliert, ihre Stimme gegen | |
| Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus zu erheben. „Jede Stimme zählt, | |
| vor allem jetzt in dieser heiklen politischen Situation.“ | |
| ## Antwort von Steinmeier | |
| Vor ein paar Tagen kam dann sogar eine Antwort, in der Steinmeier betonte, | |
| wie wichtig es sei, „dass mehr Menschen als bei früheren Wahlen am 9. Juni | |
| ihre Stimme abgeben und mit der Wahl einer demokratischen Partei zugleich | |
| ein Zeichen gegen Rassismus und Nationalismus setzen“. | |
| Der jüdisch-katholischen Sängerin Kim Seligsohn geht es bei ihrem Auftritt | |
| auf der Mahnwache auf dem Helmholtzplatz um mehr als nur die Europawahl | |
| oder die anstehenden Landtagswahlen. „Gemeinschaft ist das Fundament, | |
| Mensch braucht Mensch“, zitiert sie den Religionsphilosophen Martin Buber. | |
| „Wir müssen eine Form finden, nicht gegen etwas zu sein, sondern für etwas. | |
| Für das Leben“, sagt sie. | |
| Als Seligsohn dann „What a wonderful world“ anstimmt, wird es einigen auf | |
| dem Platz dann doch zu viel. Während manche Teilnehmer*innen schüchtern | |
| mitsingen, fühlen sich die heimischen Drogen- und Alkoholabhängigen von so | |
| viel Positivität angesichts der angespannten Gesamtlage provoziert. „What a | |
| wonderful world?!“, wiederholt einer von ihnen und schüttelt bitter lachend | |
| den Kopf. Andere werden sogar aggressiv, grölen und bedrohen zum Teil die | |
| Teilnehmer*innen. | |
| Wenig später trifft die Polizei ein, die eigentlich schon von Anfang an da | |
| sein sollte, und stellt sich schützend vor die Veranstaltung. „Das ist | |
| schon ambivalent“, sagt ein Anwohner, der regelmäßig zu den Mahnwachen | |
| kommt. „Doch Demokratie lebt davon, dass man für sie einsteht. Und es geht | |
| um die Möglichkeit, seine Meinung zu äußern.“ | |
| 10 Jun 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Martin Höfig | |
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