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# taz.de -- Die Wahrheit: Assekuranz für Deutschland
> In Thüringen sollen verpflichtende Elementarversicherungen künftig nicht
> nur gegen Flutschäden abgeschlossen werden.
Bild: Immerhin die Post wird noch zugestellt: Mindel, Bayern, Anfang Juni 2024
Die Kosten für die durch Unwetter und Überschwemmungen verursachten
Verwüstungen in Oberbayern und Teilen Baden-Württembergs belaufen sich auf
zwei Milliarden Euro. Anfang des Jahres verursachten Hochwasser in
Niedersachsen Schäden von mehr als 161 Millionen Euro. Das haben
unabhängige Experten der Versicherungswirtschaft aus dem angeschwemmten
Treibgut gelesen und über den feuchten Daumen gepeilt. Doch viele der
Flussanrainer in Nord und Süd, die nach Ablaufen der Fluten vor den Ruinen
ihrer abgesoffenen Immobilien stehen, sind gar nicht oder nicht ausreichend
versichert.
Seither wird bundesweit über eine verpflichtende
Elementarschadenversicherung für Hausbesitzer diskutiert, auch wenn immer
noch nicht ganz klar ist, ob ein Wiederaufbau der ästhetisch nicht
durchgängig ansprechenden Gegenden wirklich im nationalen Interesse ist.
Außerdem sind extreme Wetterereignisse längst nicht die einzige elementare
Bedrohung in Polykrisenzeiten. Auch eine unerwartete Kriegseruption
und/oder eine faschistische Springflut stellen heute Alltagsrisiken dar,
denen ein mündiger Verbraucher nicht unvorbereitet gegenübertreten sollte.
In Thüringen soll nun ein Testversuch zeigen, ob Elementarversicherungen
die Bürger auch gegen andere Katastrophenfolgen wappnen können.
„Seit ich eine Rechtsruckversicherung abgeschlossen habe, schaue ich der
Landtagswahl im Herbst gelassener entgegen“, behauptet Daniel Akpan. Der
Thüringer mit nigerianischen Wurzeln mustert seine neue Versicherungspolice
dennoch etwas skeptisch. Sie soll ihn, seine Frau Florence und die beiden
Kinder gegen den Elementarschaden einer AfD-Regierung absichern. So richtig
glauben kann der gelernte Heizungsinstallateur offenbar nicht, dass ein
Stück Papier sie vor rechtsradikalen Rassisten an den Schaltstellen der
Landesmacht schützen kann. Trotzdem hat sich Akpan nun zu diesem Schritt
entschieden. Ihm blieb gar nichts anderes übrig.
## Das geht nicht an
Als besonders gefährdete Bürger seien die Akpans zur Eigenvorsorge
verpflichtet, wurde der vierköpfigen Familie in einem Schreiben der Kommune
mitgeteilt, das kurz nach der Europawahl in ihrem Briefkasten lag. Der
Thüringer Lokalpolitiker Georg Boitzsch verteidigt die Maßnahme: „Es geht
nicht an, dass sich die Bürger bloß auf den Staat und seine öffentlich
finanzierten Brandmauern verlassen und darüber eigene Präventionsmaßnahmen
vernachlässigen. Die Gesellschaft kann nicht für jedes individuelle
Lebensrisiko aufkommen.“
„Billig ist diese Versicherung natürlich nicht“, seufzt Akpan, der sich mit
seiner Frau vor fünfzehn Jahren in dem kleinen Ort Großbeula niedergelassen
hat. „Immerhin wohnen wir an einem Hochrisikostandort.“
Im Kreis Saalfeld-Rudolstadt, in dem auch Akpans Heimatdorf liegt, fuhr die
AfD bei der jüngsten Europawahl 35,1 Prozent ein. Im idyllischen
Altenbeuthen, das am gegenüberliegenden Ufer des Hohenwarte-Stausees liegt,
kam der rechtsextreme Höckehaufen sogar auf 63,1 Prozent.
## Trügerisch
Besorgt schaut Akpan auf die Wasserfläche, die silbern und in trügerischer
Sommerruhe in der Sonne glitzert. „Wenn diese Monsterwelle im Herbst zu uns
herüberschwappt, ist hier aber Land unter.“
„Deswegen müssen Privatleute jetzt vorsorgen“, beharrt Boitzsch, der sich
nicht nur politisch mit der Bewertung von Gefahren beschäftigt. Als
Versicherungsmathematiker im „Asset Liability Management“ hat er gelernt,
Menschen vor allem als Risiko zu sehen. Natürlich sei den Akpans jederzeit
ein Umzug in weniger gefährdete Gebiete freigestellt, wenn sie die
anfallenden Versicherungskosten nicht tragen wollten, betont Goitzsch.
Niemand werde gezwungen, in Thüringen zu wohnen, immerhin lebe man in einer
freiheitlichen Demokratie. „Noch“, setzt Goitzsch vorsichtig hinzu.
Denn auch der Christdemokrat hat privat vorgesorgt. Er hat kürzlich beim
Erfurter Lloyd seine politische Karriere gegen Rechtsruck versichern
lassen. Nach einem Wahlsieg der Weideltruppe kann Goitzsch sein
CDU-Parteibuch beim politischen Gegner jederzeit auf Kulanz umtauschen,
ohne seines Mandats verlustig zu gehen. „Im Grunde ist das meine
Lebensversicherung, nicht nur in politischer Hinsicht“, gibt der
Lokalpolitiker zu.
Doch noch fühlen sich die Akpans sicher in ihrer Heimat. „Die Rechten im
Dorf haben sich an uns gewöhnt“, sagt Vater Daniel. Unter der Woche wird
ihr Wohnhaus nur selten Ziel von Anschlägen, die von den Nazis schließlich
nach Feierabend aufwändig vorbereitet werden müssten. Auch die beiden
Kinder bleiben im Ort meist unbelästigt, wenn sie ihren Blick gesenkt
halten.
## Hohe Abschläge
Dennoch muss die Familie wegen der Thüringer Wahlergebnisse besonders hohe
Abschläge für ihre Rechtsruckversicherung zahlen. Als derzeit günstigsten
Standort hat ihre Versicherung ein innerstädtisches Viertel in Münster
errechnet. In der westfälischen Studentenstadt kam die AfD nur auf 4,8
Prozent, allerdings sind dort die Mieten viel zu hoch für die Akpans.
„Für uns ist eine Versicherung die einzige bezahlbare Option“, glaubt
Daniel Akpan deswegen. Mühe machen dem Nichtmuttersprachler allerdings die
zahlreichen Klauseln, die in der 500-seitigen Police aufgelistet sind. Auch
uns überfordert das extrem Kleingedruckte der bibeldicken
Versicherungsurkunde, die zudem in einem kryptografischen Bürokratencode
abgefasst scheint. Erst einem Expertengremium aus Versicherungsfachleuten,
Schriftgelehrten und Kabbalisten gelingt es, die zu erwartenden
Versicherungsleistungen aus den Paragrafen zu extrahieren:
Im Fall einer AfD-Regierungsübernahme wird die Rückführung der Familie in
das Herkunftsland der Eltern aus der eingezahlten Versicherungssumme
bestritten – die Akpans würden also trotz deutscher Staatsbürgerschaft auf
eigene Kosten nach Nigeria abgeschoben. Das deckt sich verdächtig mit den
„Remigrations“-Fantasien der AfD. Erklären vermag diesen Umstand ein Blick
auf das Logo des Versicherungsanbieters „„Assekuranz für Deutschland“. Es
handelt sich um ein einschlägig bekanntes Akronym in Blockbuchstaben über
einem roten Pfeil.
24 Jun 2024
## AUTOREN
Christian Bartel
## TAGS
Die Wahrheit
Rechtsruck
Versicherung
Hochwasser
Schwerpunkt Klimawandel
Olivenöl
Kolumne Die Wahrheit
Demokratie
Jugend
Sylt
Maximilian Krah
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