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# taz.de -- Wind und Solar vs. Naturschutz: Kampf gegen märkische Windmühlen
> Manches, was dem Klima nutzt, kann der Natur vor Ort schaden. In
> Brandenburg setzt sich der Nabu aktuell gegen zwei
> Erneuerbare-Energie-Projekte ein.
Bild: Eher unauffällig, trotzdem problematisch: Photovoltaikanlage Großwolter…
Berlin taz | Am Rand des Feldwegs, der die Geländekuppe hinaufführt,
springt eine Hirschkuh aus dem Weizenfeld auf und sucht das Weite. Sonst
ist es an diesem warmen Tag Ende Mai ziemlich still rund um Altgaul, einen
Ortsteil der Gemeinde Wriezen im Landkreis Märkisch-Oderland. „Das ist der
Vorführeffekt“, sagt Eberhard Axel Grote, „die halten jetzt alle
Mittagsschlaf.“
Grote meint die Vögel, von denen es hier eigentlich jede Menge gibt.
Besonders zahlreich sind sie in den beiden angrenzenden
Naturschutzgebieten: der nördlich gelegenen „Hutelandschaft
Altranft-Sonneburg“ und dem südlich an Altgaul anschließenden „Trockenras…
Wriezen und Biesdorfer Kehlen“. Den in Deutschland extrem selten gewordenen
Wiedehopf gibt es hier, den Wendehals und den Uhu, über den offenen Feldern
stehen Feldlerchen hoch in der Luft. Auf dem Rückweg zu Grotes Haus auf
einem früheren LPG-Gelände ist dann immerhin auch ihr Gesang zu hören.
Grote liebt den Ort, an den es ihn in den 90er Jahren aus dem Westen
Deutschlands verschlagen hat – die Ruhe und die Natur, rund eine Autostunde
von Berlin entfernt und kurz vor dem Oderbruch. Aber Ruhe hat er selbst im
Moment nicht mehr so viel, seit er aus einer Zeitungsmeldung erfuhr, dass
auf der Kuppe hinter seinem Haus neun Windkraftanlagen errichtet werden
sollen. Gemessen bis zur Rotorenspitze sollen sie rund 270 Meter in den
Himmel reichen. Bauen will sie der in Meißen ansässige
Energieparkentwickler UKA.
Die Regionale Planungsgemeinschaft Oderland-Spree hat die Fläche als
Windvorranggebiet eingestuft, die Wriezener Stadtverordnetenversammlung
hat bereits eine Änderung des Flächennutzungsplans beschlossen. Grote
wiederum hat mit anderen [1][die Bürgerinitiative „Gegenwind Altgaul“
gegründet]. „Ich liebe diese Landschaft und wollte nicht mit gesenktem Kopf
alles hinnehmen“, sagt er. „Damit ich sagen kann, ich hab’s probiert.“ …
Initiative hat gegen den projektierten „Windpark Sonnenburg“ Einspruch bei
der Planungsgemeinschaft eingereicht. In ihrer Begründung nimmt sie vor
allem Bezug auf die Gefährdung von Greifvogelarten, für die die Kollision
mit Windrotoren eine nachgewiesene Todesursache ist.
Aus Sicht der Bürgerinitiative wäre der Standort zwischen den beiden
artenreichen Naturschutzgebieten besonders fatal, weil die Vögel natürlich
auch hier unterwegs sind und jagen. Sie beruft sich auf Paragraf 23
Bundesnaturschutzgesetz, der Störungen, Beschädigungen und Veränderungen
eines Naturschutzgebiets verbietet. Und sie beruft sich auf den
Brandenburger Landesverband des Naturschutzbundes Nabu, dem zufolge diese
Norm auch auf direkte Einflüsse von außerhalb eines Schutzgebiets
anzuwenden ist.
[2][Der Nabu unterstützt die Bürgerinitiative] beim Kampf gegen die
Windräder mit einer Spendenaktion. Sie soll die rund 17.000 Euro erbringen,
mit denen eine Kartierung der Brutplätze und Wanderungskorridore von
Bussarden, Milanen oder Falken finanziert wird. Grote selbst ist als
Vorsitzender der Bürgerinitiative in Vorlage getreten und hat tief in die
Tasche gegriffen – ein finanzielles Risiko, das ihm nicht leicht fiel, wie
er berichtet. Aber viel Zeit gab es nicht, denn die Ornithologen müssen
während der Brutsaison tätig werden. Im Juli soll die Kartierung
abgeschlossen sein.
Er gehe davon aus, dass die nötige Summe zusammenkomme, sagt
Nabu-Landesvorsitzender Björn Ellner der taz. Der Artenschutz sei beim
Ausbau der Windkraft allgemein aufgeweicht worden, aber gerade an dieser
kritischen Stelle müsse der Windpark verhindert werden.
## Schotter oder Leben
Es ist nicht der einzige Fall, in dem der Nabu aktuell gegen den Ausbau von
erneuerbaren Energien in Brandenburg aktiv wird. Bei Großwoltersdorf nahe
Gransee, Landkreis Oberhavel, hat der Landesverband [3][Widerspruch gegen
eine Freiflächen-Photovoltaikanlage eingereicht]. Die fünf Hektar große
Anlage befindet sich in einer ehemaligen Kiesgrube, die heute zum
Landschaftsschutzgebiet „Fürstenberger Wald- und Seengebiet“ gehört. Unter
anderem durch das Einbringen von Recyclingschotter würden hier Lebensräume
vieler bodenbewohnender Lebewesen zerstört, teilt der Nabu zur Begründung
mit.
Beim Ortstermin in Großwoltersdorf Anfang Juni erläutert Tilmann
Disselhoff, warum er den Solarpark vor allem problematisch findet: Er sei
an geltenden Vorschriften vorbei errichtet worden, sagt der
Landschaftsplaner, der im Nabu-Bundesverband arbeitet und ehrenamtlich den
Regionalverband Gransee leitet. „Vor einiger Zeit bin ich hier
vorbeigeradelt und habe entdeckt, dass die Anlage existiert und in Betrieb
ist“, erzählt er
Dabei war ein früheres, größeres Solarprojekt am selben Standort vom
Landesumweltamt abgelehnt worden. Dann aber hatte der Betreiber es so weit
herunterskaliert, dass er den Bauantrag nur noch auf Kreisebene stellen
musste. „Der Landkreis hat dann die Anlage genehmigt – aber die
Naturschutzverbände nicht beteiligt“, so Disselhoff. Das sei „aus
rechtsstaatlicher Sicht ein großes Problem“, findet er. Denn diese
Beteiligung ist ein vorgeschriebenes Element des Genehmigungsverfahrens.
Auf dem Sandboden im noch zugänglichen Randbereich der Grube zeigt der
Nabu-Mann Büschel von Silbergräsern und andere Pflanzenarten, die in der
sonst stark überdüngten Brandenburger Agrarlandschaft nicht gedeihen
könnten. Natürliche Landschaften seien sehr dynamisch, erläutert Disselhoff
– durch Ereignisse wie Kantenabbrüche im Gelände entstünden
Pionierstandorte, auf die bestimmte Arten angewiesen seien: „Manche
Landschaften, die durch industrielle Nutzung entstehen, können denselben
Zweck erfüllen. Zum Beispiel sind Kiesgruben in Brandenburg die wichtigsten
Standorte für Uferschwalben.“
In der alten Großwoltersdorfer Grube erzeugen die Photovoltaik-Panele zwar
keine besondere visuelle Beeinträchtigung der Landschaft, findet
Disselhoff, aber vieles hätte man aus Naturschutzsicht besser machen
können. Etwa den Zaun, der die Reihen schwarzsilberner Panele umgibt: für
Wildtiere wie Hasen oder Rebhühner sei er nicht passierbar. Um solche
Beeinträchtigungen zu vermeiden, hätte man den Maschendraht einfach 20
Zentimeter über dem Boden enden lassen können. „Aber wir wurden ja nicht
gefragt.“
Nabu-Landeschef Ellner will bei einer Abweisung des Widerspruchs vor
Gericht ziehen. Gewinnt der Nabu, würde der Landkreis für die entstehenden
Kosten haften. Es geht Ellner aber um weit mehr. Bedurfte es in
Großwoltersdorf bisher noch einer Befreiung vom allgemeinen Bauverbot in
Landschaftsschutzgebieten, soll das demnächst nicht mehr notwendig sein:
Die Brandenburger Landesregierung aus CDU, SPD und Grünen hat beschlossen,
dass große Photovoltaikanlagen in Landschaftsschutzgebieten grundsätzlich
erlaubt sein sollen.
## „Passt wie die Faust aufs Auge“
„Wir finden die Entscheidung des Landtags falsch, das Verbot baulicher
Anlagen auszuhöhlen“, sagt Ellner der taz. Er erinnert an das auf der
UN-Biodiversitätskonferenz in Montreal beschlossene Ziel, weltweit 30
Prozent der Landfläche langfristig unter Schutz zu stellen. Rund ein
Drittel von Brandenburg sei Landschaftsschutzgebiet, „das passt doch wie
die Faust aufs Auge“. Es gebe bereits verschiedene solcher Vorhaben, und
dies sei erst der Anfang. „Wir rechnen definitiv mit einer massiven
Verschärfung der Konflikte.“ Der Nabu wolle da nicht mitspielen: „Die
Schutzgebiete sind unser Heiligtum“, sagt Ellner.
Auch für Windkraftanlagen waren Landschaftsschutzgebiete lange tabu – bis
zum [4][Inkrafttreten des Windenergieflächenbedarfsgesetzes im Juli 2022]
und der Anpassung des Bundesnaturschutzgesetzes. Seitdem ist der Bau von
Windrädern hier [5][nicht mehr generell verboten]. Allerdings wird sich die
Situation noch einmal verändern, wenn die zuständigen Landesbehörden
ausreichend „Windenergiegebiete“ ausgewiesen haben, um das vom Bund
vorgegebene Flächenziel von 1,4 Prozent (bis 2027) und 2 Prozent (bis 2032)
zu erreichen. Das erste Teilziel sollen die fünf Regionalen
Planungsgemeinschaften Brandenburgs noch im Juni vorlegen.
Sobald 2 Prozent von Brandenburg als Windenergiegebiet definiert sind,
werden alle übrigen Flächen „entprivilegiert“. Das bedeutet, dass
Windkraftanlagen dort nur noch errichtet werden, wenn die zuständige
Gemeinde einen Bebauungsplan aufstellt. In Landschaftsschutzgebieten
dürften dem dann schon die optischen Beeinträchtigungen entgegenstehen.
Allerdings können die Planungsgemeinschaften auch Teile von
Landschaftsschutzgebieten als Windenergiegebiet ausweisen. Das birgt
einiges an Konfliktpotenzial.
Und noch ein Problem zieht sich durch die Debatte: Berechtigte Anliegen wie
Natur- und Artenschutz werden von politischen Gruppierungen
instrumentalisiert, denen es generell um die Verhinderung von
Klimaschutzmaßnahmen geht. Nabu-Chef Björn Ellner ist sich des Risikos
bewusst: „Das wird gerne gemacht, da müssen wir sehr aufpassen.“ Der Nabu
grenze sich auch öffentlichkeitswirksam von rechts ab. Nur: „Letztendlich
sind uns die Inhalte wichtig. Wir wollen Themen, die uns wichtig sind,
nicht verspielen, nur weil rechte Strömungen draufsatteln.“
Inzwischen ist Grote guter Hoffnung, dass der „Windpark Sonnenburg“ nur ein
Plan bleiben wird. In der neuen Stadtverordnetenversammlung sei eine
Mehrheit gegen den Bau. Und bei einer Fernsehdebatte des RBB auf dem
Wriezener Marktplatz sagte der Leiter der Regionalen Planungsstelle
Oder-Spree unlängst, die für 2030 vorgegebenen Flächenzahlen seien in der
Region bald erreicht. Grote glaubt, das Aufstellungsverfahren könne
zurückgesetzt und die Fläche bei Altgaul vielleicht gänzlich aus der
Regionalplanung genommen werden. Auch mit der Kartierung gehe es gut voran.
Die Vogelwelt am Rande des Oderbruchs würde es danken.
26 Jun 2024
## LINKS
[1] https://www.gegenwind-altgaul.de/Startseite/
[2] https://brandenburg.nabu.de/spenden-und-mitmachen/spenden/34496.html
[3] https://brandenburg.nabu.de/umwelt-und-ressourcen/energie/34614.html
[4] /Ausbau-erneuerbarer-Energien-beschlossen/!5862681
[5] /Windkraft-in-Schleswig-Holstein/!5977857
## AUTOREN
Claudius Prößer
## TAGS
Nabu
Photovoltaik
Windkraft
Naturschutz
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Windkraft
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