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# taz.de -- 1 Jahr nach Bruch des Kochowka-Staudamms: Ein neues Ökosystem ents…
> Als ein russischer Angriff die ukrainische Talsperre zerstörte,
> befürchteten viele eine ökologische Katastrophe. Was geschah dann?
Bild: Da wächst schon wieder was: Auf dem trockengefallenen Boden des ehemalig…
Kyjiw taz | Toxischer Schlamm, Landwirtschaft und Trinkwasserversorgung
gefährdet, eine unbewohnbare Gegend: Die Befürchtungen waren apokalyptisch,
als am 6. Juni 2023 [1][eine Explosion den Kachowker Staudamm weitgehend
zerstörte] und viele Ortschaften überflutet wurden. Der Angriff auf den
Staudamm sei ein Akt eines Ökozids gewesen, sagen Michaljo Mulenko, Anna
Kuzemko und Olexij Vasyliuk heute. Das Schlimmste sei allerdings nicht
eingetreten.
Alle drei sind nahe dran. Mulenko leitet die Abteilung Umweltschutz im
Naturreservat Chortyzja in Saporischschja, Kuzemko ist führende Forscherin
am Institut für Botanik der Nationalen Akademie der Wissenschaften der
Ukraine in Kyjiw und Vasyliuk Vorstandsvorsitzender der Ukrainian Nature
Conservation Group. Sie beobachten, wie sich Natur und landwirtschaftliche
Nutzflächen seit dem terroristischen Angriff auf die Infrastruktur
entwickelt haben.
Grundsätzlich [2][zerstören großflächige Eingriffe in die Landschaft immer
Ökosysteme]. Auch der Bau des Staudamms vor rund 70 Jahren habe irreparable
Schäden an Tier- und Pflanzenwelt hervorgebracht, sagen die
Expert*innen. Unter Stalin mit Hilfe deutscher Kriegsgefangener
errichtet, sei er damals ebenfalls ein Verbrechen an den Menschen in den
Ortschaften gewesen, die im Stausee verschwanden.
Als der Damm nun gesprengt wurde und das Wasser ein riesiges Gebiet
überschwemmte, seien [3][wieder alle Tiere dort ums Leben gekommen],
berichtet Vasyliuk. Auch Fische, die zunächst überlebt hatten, wurden ins
Meer getrieben und verendeten dort, weil sie nicht im Salzwasser leben
können. Umgekehrt wurde das [4][Ökosystem des Schwarzen Meers] durch das
einströmende Süßwasser mit einer Menge toxischem Schlamm aus dem
Gleichgewicht gebracht. Die gerade brütenden Vogelarten an der Küste seien
empfindlich gestört worden. Auch ohne genaue Daten zu haben, könne man von
einer bis dato für die Tierwelt in der Ukraine in ihren Ausmaßen nicht
bekannten Katastrophe sprechen.
## Das Leben findet einen Weg
Trotz alledem beobachteten die Forscher*innen „eine erstaunliche
Entwicklung“: „Wir wussten im Juni 2023 nicht, wie es mit dem betroffenen
Gebiet weitergehen wird“, sagte Mulenko der taz. „Wir fürchteten eine
Wüstenbildung, [5][diesen Schlamm, die vielen Pestizide].“
Doch offenbar habe die Zerstörung zumindest für die Flora in einem
Zeitfenster stattgefunden, in dem sich die Natur selbst helfen konnte –
kurz nach der Blütezeit und dem Pollenflug von Weiden- und Pappelbäumen.
„Auf dem Stausee hatten wir viel Pappelflaum“, erklärt Mulenko. „Und als
dann das Wasser den Dnipro hinunterfloss, flossen auch die Samenfasern
mit.“ Diese hätten an bestimmten Stellen des früheren Stausees sehr
günstige Wachstumsbedingungen vorgefunden. Inzwischen habe sich dort ein
grüner Bereich mit Weiden und Pappeln gebildet.
Allen Befürchtungen zum Trotz überlebten sie auch den Winter, wachsen immer
noch – und nun sei das Terrain „auch interessant für die Tierwelt“, sagt
Mulenko. Hirsche und Rehe sind gekommen, die sich von den jungen Zweigen
ernähren. Hier habe sich also ein neues Ökosystem mit einer
funktionierenden Tierwelt entwickelt, so Mulenko.
Seine Kyjiwer Kollegin Kuzemko pflichtet ihm bei. Drei Wochen nach der
Explosion habe sie das Gebiet besucht, berichtet sie der taz. Und da sei
schon klar gewesen, dass man keine neue Wüste zu fürchten brauche, weil die
weichen Ablagerungen mit Weidensämlingen übersät waren. Im Oktober seien
die Weiden durchschnittlich zweieinhalb bis drei Meter hoch gewesen.
Ihrer Einschätzung nach ist die neue Grünfläche zwei Faktoren zu verdanken:
Die Samen seien nach der Sprengung auf einen nährstoffreichen Boden
gefallen, wo es schon vor dem Bau des Stausees Auenwälder gegeben hatte.
Die Natur sei eben nicht vergesslich, sei klüger als der Mensch, meint sie.
Zweitens sei der Zeitpunkt günstig gewesen. Wäre der Damm Ende des Sommers
angegriffen worden, hätten sich vielleicht gebietsfremde Arten stärker
ausgebreitet.
## Andere Energiequellen stehen bereit
Vasilyuk beobachtet, wie sich das Mikroklima entwickelt. Mit dem Ende des
Staudamms habe auch die Luftfeuchtigkeit in anliegenden Städten wie
beispielsweise Enerhodar abgenommen, damit seien die [6][Luft- und
Wasserqualität insgesamt sogar besser] geworden. Die Energie, die das
Wasserkraftwerk des zerstörten Staudamms geliefert habe, ließe sich auch
mit Solarenergie ersetzen, sind die drei Umweltschützer überzeugt.
Allerdings, das ist den Wissenschaftler*innen klar: Die Folgen für den
Menschen sind viel schwerer abzuschätzen als die für die Natur, die eben
ihren Weg finde. Welche von der Überschwemmung betroffenen Gebiete bewohnt
und landwirtschaftlich wieder nutzbar gemacht werden können, sei ohne eine
intensive chemische Untersuchung der Böden nicht zu sagen.
Wie soll es weitergehen? Kuzemko und Vasilyuk wollen keinen neuen Staudamm,
Mulenko könnte sich nur mit einem weitaus kleineren Damm abfinden. Kuzemko
verweist auf das [7][von der EU verabschiedete Gesetz zur Erneuerung der
Natur], in dem auch das Ziel verankert ist, 25.000 Kilometer Flüsse wieder
in ihre natürlichen Kanäle und Überschwemmungsgebiete zurückzuführen. Nun
habe die Ukraine eine Möglichkeit, sich in diese Bemühungen einzuklinken,
indem sie den natürlichen Flusslauf des Dnipro wiederherstelle.
Und die wirtschaftlichen Interessen? Der Verlust des Wasserreservoirs
erscheint den Umweltschützer*innen weniger dramatisch, als sie
zunächst angenommen haben. Das hat auch wieder mit Veränderungen zu tun,
die der Krieg gebracht hat: [8][Ehemals landwirtschaftlich genutzte
Nutzflächen sind entweder umkämpft oder vermint], sie zu bewässern, ist
also überflüssig. Auch die Berechnungen zum Bedarf an Trink- und
Industriewasser beruhten noch auf Zahlen aus der Zeit vor der russischen
Invasion, sagt Kuzemko. Aktuell aber finden hier Kampfhandlungen statt, die
meisten Bewohner*innen sind geflohen, die Industriebetriebe von den
Russen vernichtet worden.
Mulenko, Kuzemko und Vasyliuk wissen, dass es schwer ist, die Entscheidung
der Regierung zum Bau eines neuen Stausees zu beeinflussen. Deswegen gelte
es, so Mulenko, die Investoren von einer umweltfreundlichen Lösung zu
überzeugen. Doch [9][solange dieses Gebiet von Russland kontrolliert] wird,
ist an die Umsetzung irgendwelcher Pläne nicht zu denken.
5 Jun 2024
## LINKS
[1] /Kachowka-Staudamm-nach-der-Zerstoerung/!5936399
[2] /Neue-Zugstrecke-in-Mexiko/!5977655
[3] /Tiere-nach-Staudammbruch-in-Ukraine/!5937129
[4] /Umweltschaeden-in-der-Ukraine/!5885819
[5] /Folgen-des-Dammbruchs-in-Brasilien/!5565614
[6] https://www.iqair.com/ch/ukraine/kherson/nova-kakhovka
[7] /EU-Einigung-bei-Land--und-Meeresschutz/!5972166
[8] /Landwirte-in-der-Ukraine/!5960876
[9] /Krieg-gegen-die-Ukraine/!6005094
## AUTOREN
Bernhard Clasen
## TAGS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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