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# taz.de -- Forschungsreaktor in Garching: Strahlendes Bayern
> Bei München steht ein Reaktor, der mit waffenfähigem Uran arbeitet. Nun
> streitet ein Gericht über seine Stilllegung.
Bild: In dieser Heißen Zelle im Forschungsreaktor in Garching werden hoch radi…
Deutschland im Jahr 2024: Die Atomkraftwerke sind abgeschaltet, der
[1][Atomausstieg ist in den Augen vieler vollendet]. Vor den Toren Münchens
– in Garching – steht aber ein Reaktor, der trotz des Atomausstiegs
weiterlaufen darf. Oder jedenfalls dürfte.
Der Forschungsreaktor München II (FRM II) auf dem Campus der Technischen
Universität erzeugt durch Kernspaltung Neutronen, aber keinen Strom. Die
atomaren Teilchen werden in der Wissenschaft für Untersuchungen
vielfältiger Art genutzt. Der FRM II hat nur einen Bruchteil der Leistung
eines AKWs.
Noch etwas unterscheidet ihn von einem Atomkraftwerk, einem AKW: Anstatt
auf 4 Prozent ist das spaltbare Uran-235 beim Garchinger Reaktor auf 93
Prozent – und damit auf eine atomwaffenfähige Konzentration – angereichert.
Dieses hochangereicherte Uran, highly enriched uranium (HEU), löste auch
in Wissenschaftskreisen weltweit Kritik aus.
Schon lange sollte der Reaktor, der vor 20 Jahren startete, auf niedriger
angereichertes Uran umgerüstet sein, doch bis heute hat sich nichts
geändert. Nun wird am kommenden Montag vor dem Bayerischen
Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) in München über eine Klage gegen den
Freistaat Bayern verhandelt. „Der BUND Naturschutz in Bayern klagt gegen
den Weiterbetrieb des Forschungsreaktors München II, weil dessen Betrieb
mit hochangereichertem, waffenfähigem Uran-235 seit 1. 1. 2011 illegal
ist“, sagt sein Landesvorsitzender Richard Mergner.
## Von Anfang an umstritten
Schon in der Planungsphase in den 1990er Jahren sorgte der Brennstoff für
internationale Verwerfungen, sogar mit den USA. Die hatten in den 1970er
Jahren die weltweite Umstellung des Betriebs von Forschungsreaktoren von
hochangereichertem auf niedriger angereichertes Uran angestoßen, um die
Gefahr der Verbreitung (Proliferation) von atomwaffenfähigem Material
einzudämmen.
Ein ziemlich erfolgreiches Programm, mit dem es gelang, durch hochdichte
Materialien anstelle von hoher Anreicherung die gewünschten hohen
Neutronenflüsse in Reaktoren zu erzielen. Die Münchener Forscher wollten
entgegen der Absicht des Programms mit der Kombination aus neuartigen
Materialien und einer hohen Anreicherung sehr hohe Neutronenflüsse
erzeugen. Die USA – traditionell Lieferant von Uran für die deutschen
Forschungsreaktoren – weigerten sich daraufhin, den FRM II zu beliefern.
Doch die Garchinger Physiker, unterstützt von der CSU-Regierung, ließen
sich durch weltweiten Widerstand nicht von ihren Plänen abbringen.
Obwohl die USA ab 1992 kein HEU mehr exportierten, erweckte die TU München
lange den Eindruck, als gäbe es bei der Versorgung mit HEU kein Problem.
Man greife auf „mitteleuropäische Quellen“ zurück. In Wirklichkeit fanden
geheime Gespräche in Moskau statt, was die TU leugnete. Doch die Lüge flog
auf. Es wurde ein Rahmenabkommen mit der Russischen Föderation über die
Lieferung von 1.200 Kilogramm HEU unterzeichnet. Bis heute schweigt sich
die TU über die tatsächlich gelieferte Menge aus.
Mit dem Antritt der rot-grünen Bundesregierung 1998 ging das jahrelange
Ringen um den Einsatz des HEU in eine entscheidende Phase. Die
Auseinandersetzung endete vorläufig damit, dass der damalige grüne
Umweltminister Jürgen Trittin die vom bayerischen Umweltministerium
geplante Genehmigung für den Betrieb des FRM II nur unter der Bedingung
akzeptierte, dass der Reaktor bis Ende 2010 auf den Betrieb mit weniger als
50 Prozent angereichertem Uran umgestellt sein musste. Doch das ist bis
heute nicht geschehen, obwohl es ohne nennenswerte Einbußen für die
wissenschaftlichen Experimenten möglich wäre, den Reaktor mit low-enriched
uranium (LEU) zu betreiben.
Die Umrüstung des Reaktors war zunächst von 2010 auf 2018 verschoben und
dann in einer geheimen Vereinbarung – diesmal ohne Fristsetzung – erneut
verschoben worden. Da riss den Kritiker:innen des HEU-Einsatzes der
Geduldsfaden. Ausgerüstet mit einem Gutachten der Berliner Anwältin
Cornelia Ziehm forderten der BUND Naturschutz in Bayern, das
Umweltinstitut München, die grüne Landtagsfraktion und die örtliche
Bürgerinitiative 2019 die Einstellung des Betriebs.
## Seit 2019 ist der FRM II gar nicht in Betrieb
Ziehm hatte nachgewiesen, dass der Reaktor wegen der nicht erfolgten
Umrüstung seit 1. Januar 2011 keine Genehmigung mehr habe und sein Betrieb
somit illegal sei. Das bayerische Umweltministerium lehnte den Antrag auf
Stilllegung des Reaktors jedoch ab. Nun muss der Verwaltungsgerichtshof in
München entscheiden. Und auch er wird vermutlich noch nicht das letzte Wort
sprechen.
Möglicherweise durch die Klage unter Druck geraten, präsentierte die TU
überraschend Pläne, wonach es jetzt sogar möglich sei, in einem Schritt von
93 Prozent auf weniger als 20 Prozent Anreicherung umzustellen. Ein
wissenschaftlicher Durchbruch? Oder wieder ein Spiel auf Zeit?
In der Vereinbarung zwischen dem Bundesforschungs- und dem bayerischen
Wissenschaftsministerium heißt es: „Die Parteien sind sich einig, dass der
FRM 2 bis zur Umrüstung weiterhin mit HEU betrieben werden muss.“ Vieles
spricht dafür, dass die Umrüstung weiterhin verschleppt wird. So müssen zum
Beispiel bei dem gewählten monolithischen Uran-Molybdän-Brennstoff
umfangreiche Bestrahlungstests einem jahrelangen Genehmigungsverfahren
vorausgehen.
Seit 2019 ist der FRM II – mit Ausnahme weniger Monate Anfang 2020 – aber
gar nicht in Betrieb. Mit einer „Verkettung unglücklicher Umstände“ erkl�…
sein technischer Direktor Axel Pichlmaier den nun schon fast fünfjährigen
Stillstand. Zunächst stockte der Antransport frischer HEU-Brennelemente aus
einer südfranzösischen Fabrik. Wegen weltweit steigender Terrorgefahr gab
es seit 2019 neue Sicherheitsbestimmungen für den Transport des
waffenfähigen Brennstoffs. 2020 kam es zu einem [2][Austritt radioaktiver
Stoffe] mit Überschreitung des Grenzwerts. Das meldepflichtige Ereignis
wurde erst sieben Wochen später bekannt gegeben.
## Die Frage der Entsorgung der Brennelemente ist ungelöst
Dann folgte 2021 neben Corona auch noch ein Problem mit einer komplizierten
Apparatur in der Nähe des Reaktorkerns. 2022 wurde schließlich ein Leck im
Zentralkanal entdeckt, in dem sich das Herz des Reaktors befindet. Der
Schaden erwies sich als irreparabel, ein neuer Kanal musste her, doch die
alte Herstellerfirma hatte dafür nicht mehr das Know-how. Nun hieß es im
April dieses Jahres, dass eine Inbetriebnahme noch nicht einmal mehr 2024
möglich sei.
Ungeachtet all dieser Schwierigkeiten überschlug sich das Lob beim
20-jährigen Jubiläum im März 2024. Der „wissenschaftliche Leuchtturm
Europas“ (TU-Präsident Thomas Hofmann) wurde von den bayerischen
Staatsministern Markus Blume und Florian Herrmann als „unverzichtbare
Quelle der Innovationskraft“ und „Herz der Kerntechnikforschung“ gepriese…
Statt veranschlagter 80 Betriebszyklen hat der FRM II in seinen 20 Jahren
lediglich 47 erreicht. Und nach ihrem Einsatz im Reaktor büßen die
abgebrannten Brennelemente nichts von ihrer Brisanz ein: Mit 87 statt 93
Prozent Uran-235-Anteil sind sie immer noch extrem hoch angereichert und
damit waffenfähig. Ihre Entsorgung ist ungelöst.
Mit dem Russlanddeal der TU München stellt sich aber nun die Frage der
Entsorgung, nachdem die USA die europäischen Forschungsreaktoren früher
nicht nur mit Brennstoff beliefert, sondern diesen nach Gebrauch auch
zurückgenommen hatten, um den Bombenrohstoff unter Kontrolle zu halten.
## Strahlendes Material muss abgereichert werden
Die abgebrannten Brennelemente aus dem Betrieb des FRM II lagern derweil in
einem Abklingbecken in Garching. Dabei handelt es sich inzwischen um
mehrere Hundert Kilogramm Uran-235 – für den Bau einer Atombombe reichen
circa acht Kilogramm. 47 der 50 Plätze sind bereits belegt. Da es in
Deutschland kein Endlager gibt, sollen die ausgedienten Brennelemente ins
Zwischenlager Ahaus.
Die Stadt Ahaus wehrt sich allerdings gegen die Einlagerung. Und die
notwendigen Genehmigungen durch das zuständige Bundesamt für die Sicherheit
der nuklearen Entsorgung stehen nach wie vor aus. Verschärfte
Sicherungsvorschriften erforderten zudem den Bau [3][eines eigenen
Transportfahrzeugs]. Ob es aber 2024 noch zu einem Transport kommt, ist
offen.
Kritiker*innen des Umgangs der TU mit ihren radioaktiven
Hinterlassenschaften, etwa die Physikerin Karin Wurzbacher, fordern,
stattdessen in Garching ein gesichertes Zwischenlager zu errichten.
Vor allem aber solle das strahlende Material umgehend abgereichert werden,
womit sowohl das Problem der Proliferationsgefahr als auch einer möglichen
unbeabsichtigten Kettenreaktion gelöst würde: eine Forderung, die auch von
der Reaktorsicherheitskommission (RSK) des Bundesumweltministeriums schon
erhoben wurde.
Doch bislang stellen sich die Münchner Neutronenforscher auch in dieser
Frage so stur, wie sie es beim Einsatz von HEU getan haben.
18 Jun 2024
## LINKS
[1] /Ein-Jahr-nach-dem-Atomausstieg/!6001621
[2] /Radioaktives-C-14-aus-Reaktor-entwichen/!5686061
[3] /Protest-gegen-Castor-Transporte/!5968470
## AUTOREN
Karl Amannsberger
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