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# taz.de -- Verfassungsreform in Italien: Der autoritäre Traum der Rechten
> Italiens Senat beschließt eine Verfassungsreform, mit der die Position
> der postfaschistischen Regierungschefin Giorgia Meloni massiv gestärkt
> würde.
Bild: Protestzug gegen die rechte Verfassungsreform am Dienstag in Rom
Rom taz | Mit einer Verfassungsreform zur Direktwahl des/der
Regierungschefin macht Italiens postfaschistische Ministerpräsidentin
[1][Giorgia Meloni] sich an den von ihr immer schon erträumten Umbau des
italienischen Staats. Am Dienstagabend verabschiedete der Senat – die
zweite Kammer des italienischen Parlaments – mit der Mehrheit der
Regierungsparteien in erster Lesung die Verfassungsänderung.
Sie sieht vor, dass die Bürger*innen nicht nur ihre Abgeordneten,
sondern auch den oder die Ministerpräsidenten/in direkt wählen. Zwar müssen
beide Häuser des Parlaments ihm oder ihr auch in Zukunft das Vertrauen
aussprechen, doch weder verbleibt dem Staatspräsidenten ein Vorschlagsrecht
noch können die Volksvertreter*innen bei der Auswahl mitreden – das
haben ja schon die Wähler*innen erledigt.
Die plebiszitäre Legitimation durchs Volk würde dem oder der
Regierungschefin eine äußerst starke Stellung verschaffen, bei einem
Rücktritt zum Beispiel wegen eines Koalitionskrachs könnte er/sie
unmittelbar das Parlament auflösen. Geschaffen wäre so die Figur eines
Regierungschefs, der die eigene Parlamentsmehrheit kontrolliert – nicht
umgekehrt.
Damit das Ganze funktioniert, ist auch noch eine Wahlrechtsreform geplant.
Sie soll dafür sorgen, dass die Parteien der Allianz, deren
Spitzenkandidat*in in der Wahl erfolgreich ist, automatisch im
Parlament einen Mehrheitsbonus eingeräumt bekommen, der ihnen die absolute
Mehrheit der Sitze zuspricht, auch wenn sie bei der Wahl zum Beispiel nur
40 Prozent der Stimmen erhalten haben.
## 2027 könnte Meloni niemand mehr reinreden
Damit wären in Zukunft Koalitionswechsel ebenso ausgeschlossen wie der
Sturz des/der Regierungschefin aus den eigenen Reihen – und der Mann oder
die Frau an der Spitze könnte tatsächlich fünf Jahre durchregieren. Damit
auch ginge der autoritäre Traum in Erfüllung, den Italiens Rechte nach
1945, erst in neofaschistischen und dann in postfaschistischen Zeiten,
immer schon geträumt hat.
Und damit könnte eine bei den turnusgemäß im Jahr 2027 anstehenden Wahlen
im Amt bestätigte Giorgia Meloni endlich zur starken Frau werden, der weder
das Parlament noch der [2][Staatspräsident] groß reinreden können.
Eine zweite Reform der Rechtskoalition allerdings könnte dafür sorgen, dass
sie zur starken Frau in einem schwachen Zentralstaat wird. Denn am Mittwoch
verabschiedete das Abgeordnetenhaus, ebenfalls in erster Lesung, einen
grundlegenden Umbau des Staats hin zur „[3][differenzierten Autonomie]“ der
Regionen. Dieses Vorhaben wird vor allem von Matteo Salvinis Lega
vorangetrieben, die ihrer traditionellen Wählerschaft im Norden ein Bonbon
verabreichen will.
Wird die differenzierte Autonomie Wirklichkeit, dann könnten die Regionen
auf so gut wie allen Politikfeldern, vom Schul- bis zum Gesundheitswesen,
von der Wirtschaftsförderung bis zur Energiepolitik, von der Landschafts-
bis zur Verkehrswegeplanung die exklusive Zuständigkeit auf Kosten des
Zentralstaats beanspruchen – und müssten die dafür nötigen Steuergelder
auch nicht mehr nach Rom abführen.
## Ein breites Oppositionsbündnis versucht sich zu formieren
Dies wäre eine Steilvorlage für die reichen Nordregionen – und ein
Horrorszenario für die armen Regionen Süditaliens. Schon jetzt sind ihre
Schulen, ihre Krankenhäuser, ihre Eisenbahnstrecken in schlechterem Zustand
als die des Nordens, und das Gefälle könnte sich weiter verstärken, wenn
die Nordregionen in Zukunft das Gros ihrer Steuereinnahmen für sich
behalten. Kompensationen für die ärmeren Regionen jedenfalls sieht die
Reform bisher nicht vor.
Gegen beide Reformen macht jetzt schon ein breites Oppositionsbündnis
mobil, das zu ungewohnter Einigkeit gefunden hat. Am Dienstagabend kamen
einige tausend Menschen in Rom zu einer Kundgebung zusammen, zu der sowohl
die gemäßigt linke Partito Democratico (PD) als auch die 5-Sterne-Bewegung
und die radikal linke Liste Alleanza Verdi e Sinistra (AVS – Grün-linke
Allianz) aufgerufen hatten.
Mit lauten „Unità, Unità!“-Sprechchören machten die Demonstrant*innen
klar, was sie von den Spitzen der Oppositionsparteien erwarten: Einheit im
Kampf gegen die beiden Reformen. Sowohl die Vorsitzende der PD, Elly
Schlein, als auch Fünf-Sterne-Chef Giuseppe Conte sagten auf der Kundgebung
zu, gemeinsam Referenden gegen die Reformen anzustrengen, wenn sie denn
definitiv verabschiedet werden sollten.
19 Jun 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Michael Braun
## TAGS
Italien
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