# taz.de -- Pilgerfahrt und Klimawandel: Offenbar 800 Tote in Mekka | |
> In Saudi-Arabien haben hohe Temperaturen zu einer Tragödie bei der Hadsch | |
> geführt. Grund ist aber auch das Zweiklassen-System unter den Pilgern. | |
Bild: Bringt eher wenig Abkühlung bei 50 Grad: kaltes Wasser und Sonnenschirm … | |
Tunis taz | Bei der islamischen Pilgerfahrt nach Mekka sind offenbar | |
mindestens 800 Menschen ums Leben gekommen. Schon die Unklarheit über die | |
Opferzahlen zeigt, wie schwer sich die saudischen Behörden mit der | |
Organisation der jährlich stattfindenden Pilgerfahrt tun. | |
Bei den Toten handelt es sich um Pilger aus verschiedenen Ländern. Ein | |
ägyptischer Diplomat sprach am Dienstagnachmittag von mindestens 600 toten | |
Ägyptern, während Jordanien zunächst den Tod von 41 Jordaniern bestätigte, | |
die bei Temperaturen von über 50 Grad an Herzversagen oder Erschöpfung | |
gestorben seien. Das tunesische Onlinemagazin Business News berichtete von | |
35 Tunesiern. Auch andere Länder meldeten Tote. | |
Die Kritik an der Durchführung der mehrtägigen Veranstaltung mit mehr als 2 | |
Millionen Besuchern wächst. Obwohl es [1][bereits 2015 bei einer | |
Massenpanik während der Hadsch über 2.000 Opfer gegeben hatte], führt in | |
diesem Jahr die Kombination von steigenden Temperaturen mit hohen | |
Reisekosten zumindest auf sozialen Medien zu Forderungen nach der Reform | |
der Wallfahrtbedingungen. Für jedes Land vergibt Saudi-Arabien jährlich | |
neue Pilgerkontingente. Die von lokalen Reisebüros im Paket verkauften | |
Übernachtungen, Flüge und Visa müssen vom saudischen Hadsch-Ministerium | |
genehmigt werden. | |
Viele der Hitzeopfer waren offenbar ältere Pilger, die ohne offizielle | |
Papiere eingereist waren und aus Ländern kamen, die sich in einer | |
Wirtschaftskrise befinden. Nur fünf der tunesischen Toten waren mit | |
Hadschvisum angereist. Insgesamt sollen mehrere Hunderttausend Gläubige | |
versucht haben, ohne lizensierte Reiseagenturen an der Hadsch teilzunehmen. | |
Die Pilgerfahrt gehört zu den religiösen Pflichten im Islam. Von den | |
Ritualen ist im Westen meist nur die Umrundung der Kaaba bekannt, des | |
Gebäudes in der Großen Moschee in Mekka. Das ist jedoch nur eins von vielen | |
Ritualen, die zum größten Teil unter freiem Himmel stattfinden. „Die | |
gemeinsamen Gebete mit Gläubigen aus der ganzen Welt auf dem Arafat, dem 60 | |
Meter hohen Berg der Barmherzigkeit, nutzen viele für eine Art Rückschau | |
auf ihr bisheriges Leben“, sagt Mohammed Toumi aus der libyschen Hauptstadt | |
Tripolis. „Dieses Gefühl, neu geboren zu werden, ist es, was gläubige | |
Muslime motiviert, jahrelang für die Pilgerreise zu sparen.“ | |
## Temperaturen über 50 Grad | |
Die Pfade hinauf auf den Arafat wurden in diesem Jahr wie andere Orte | |
ununterbrochen von Nebelspendern gekühlt. Doch am Montag herrschten rund um | |
die Große Moschee dennoch 51,4 Grad. Das für die Hadsch zuständige Komitee | |
des indonesischen Parlaments beklagte, dass in zahlreichen Unterkünften für | |
die 240.000 Pilger aus dem bevölkerungsreichsten muslimischen Land der Welt | |
die Klimaanlagen nicht funktionierten. | |
Eigentlich sind nur diejenigen Muslime angehalten, nach Mekka zu pilgern, | |
die sich die Wallfahrt leisten können. Doch schon das Bevölkerungswachstum | |
in der muslimischen Welt sorgt dafür, dass die Zahl der Anträge jedes Jahr | |
größer wird. Dabei ist die Reise für viele unerschwinglich geworden, sogar | |
für Familien aus der immer kleiner werdenden Mittelschicht in der | |
arabischen Welt. | |
## Kosten bis zu 15.000 Euro | |
Tunesier zahlen für die Hadsch mittlerweile bis zu umgerechnet 15.000 | |
Euro. Der Wertverlust vieler regionaler Währungen hat die angesparte | |
Reisekasse für die Hadsch oftmals schmelzen lassen. Obwohl es religiös und | |
gesellschaftlich verpönt ist, illegal auf Pilgerfahrt zu gehen, sieht eine | |
wachsende Zahl älterer Gläubiger dies daher als einzige Chance, jemals nach | |
Mekka zu gelangen. Wer ohne Hadschvisum anreist, wohnt meist in überfüllten | |
Sammelunterkünften. | |
Saudische Behörden versuchen, dieser Entwicklung mit Strafgeldern etwas | |
entgegenzusetzen. 300.000 Menschen wurde letzte Woche untersagt, Mekka zu | |
betreten. Davon sollen 154.000 als einfache Touristen eingereist sein. An | |
den Landesgrenzen wurden zudem 97.660 Fahrzeuge abgewiesen. | |
19 Jun 2024 | |
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## AUTOREN | |
Mirco Keilberth | |
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