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# taz.de -- Käthe Kollwitz im MoMA: Heilmittel für Zorn und Trauer
> Im Museum of Modern Art wird seit April eine Werkschau von Käthe Kollwitz
> ausgestellt. Warum wirbelt die Ausstellung gerade New York auf?
Bild: Ein Realismus, der plötzlich unsentimental wirkt: Käthe Kollwitz, „Fr…
An den New Yorker Universitäten sind seit ein paar Wochen Semesterferien.
Der Campus der Columbia, wo [1][im Mai landesweite propalästinensische
Proteste] ihren Ausgang nahmen und die Demonstranten heftig mit der Polizei
aneinandergerieten, ist zu seinem idyllischen Normalzustand zurückgekehrt.
Midtown samt Times Square, der Fifth Avenue und dem MoMA – Museum of Modern
Art – gehört erneut ganz den Büroangestellten und den Touristen. New York
hat sich wohl wieder seiner kommerziellen Kernidentität zugewandt.
Ganz ist die Politik allerdings nicht aus dem öffentlichen Raum
verschwunden. Mitte vergangener Woche gingen die New Yorker auf die Straße,
um für die Einführung einer Mautgebühr für die vom Verkehrsinfarkt
geplagten Straßen von Manhattan zu demonstrieren.
Gleichzeitig kam es zu hässlichen antisemitischen Zwischenfällen. Das Haus
von Anne Pasternak, der Direktorin des Brooklyn Museum, wurde mit
Hamas-Symbolen beschmiert, und in der U-Bahn forderten propalästinensische
Aktivisten alle „Zionisten“ dazu auf, den Zug zu verlassen. Es war eine
deutlich erkennbare Variante wohl bekannter „Juden raus“-Parolen.
Diese Vorfälle erinnerten daran, dass sich die zerrissenen USA gerade nur
in der Sommerpause befinden. Die Spaltung, die sich in den vergangenen
Monaten vor allem an der Frage entzündete, wie mit dem Krieg in Gaza
umzugehen sei, aber eigentlich alle gesellschaftlichen Bereiche berührt,
brodelt weiterhin dicht unter der Oberfläche.
Auch die bildende Kunst ringt dabei um eine angemessene Reaktion. Die
[2][Whitney-Biennale wurde gemeinhin als vage und zahm rezipiert.] Die
Werkschau von Jenny Holzer am Guggenheim war zwar gewohnt politisch, doch
ihre 80er-Jahre-Konzeptkunst wirkt im Jahr 2024 wie eine Stimme aus der
Vergangenheit, selbst wenn Holzer mit neuen Werken Donald Trump aufs Korn
nimmt.
## Der Weg des Widerstandes
Viel zeitgemäßer scheint da paradoxerweise eine Ausstellung aus einer
fernen Ära und einem anderen Land zu sein. Wie keine andere Schau trifft
die [3][Werkschau von Käthe Kollwitz] in New York den Nerv der Zeit. So
empfiehlt die New York Times als das beste Heilmittel für den Zorn und die
Trauer, die derzeit viele Menschen von New York bedrücken, einen Besuch im
vierten Stock des MoMA, wo seit April die Drucke von Kollwitz (1867–1945)
gezeigt werden.
Das Frieze Art Magazine sieht in ihren Selbstporträts ein Dokument der
seelischen Kosten eines Widerstands gegen den Faschismus ihrer Zeit, liest
daraus aber auch geradezu eine moralische Verpflichtung, trotz allem den
Weg ebendieses Widerstandes zu wählen.
Die düstere Bildsprache von Kollwitz erfasst nicht nur den jetzigen
Augenblick der USA. Die Unmittelbarkeit, mit der Kollwitz Hilflosigkeit und
Schmerz angesichts des Weltgeschehens persönlich macht und mit der sie sich
gegen die Verzweiflung stemmt, trifft überall einen Nerv. Aber vielleicht
rüttelt sie New York deshalb besonders auf, weil die Konflikte hier einem
gerade so nahe rücken, dass Kollwitz’ Realismus plötzlich nicht mehr als
sentimental erschient.
Die MoMA-Kuratoren betonen den großen Einfluss, den Käthe Kollwitz schon
auf afroamerikanische Künstler aus der Mitte des 20. Jahrhunderts wie
Elizabeth Catlett, Jacob Lawrence und Charles White hatte. Die hatten schon
lange vor der jetzigen MoMA-Schau die aufreibende Kraft von Käthe Kollwitz
entdeckt.
Je mehr das weiße Mittelstandsamerika aus seinen Heile-Welt-Fantasien
herausgerissen wird, desto besser versteht es nun auch die Schwere einer
Käthe Kollwitz. Eine Schwere, die Amerika lange Zeit fremd war.
19 Jun 2024
## LINKS
[1] /Propalaestinensische-Proteste-in-Indiana/!6006997
[2] /Whitney-Biennale-New-York/!5999860
[3] /Kaethe-Kollwitz-Museum-in-Berlin/!5879900
## AUTOREN
Sebastian Moll
## TAGS
Künste
Ausstellung
Käthe Kollwitz
New York
Gefühle
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Spielfilm
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