# taz.de -- Ausstellung „Nie wieder Krieg“: Das Grauen schauen | |
> Das Osnabrücker Museumsquartier will mit seiner Kollwitz- und | |
> Barlach-Ausstellung die Opfer der Kriege in Erinnerung rufen. Das gelingt | |
> eindrucksvoll. | |
Bild: Käthe Kollwitz' Arbeit „Das Volk“ ist das Blatt sieben der zwischen … | |
Der Hype um Verteidigungsminister Boris Pistorius ist ungebrochen. Kein | |
deutscher Politiker ist derzeit beliebter als der oft demonstrativ | |
tarngefleckte Sozialdemokrat, der gern in Panzern und Jets posiert. | |
Pistorius kann der Bundeswehr die „Kriegstüchtigkeit“ verordnen, einen | |
„Neuen Wehrdienst“ nahelegen, einen „Nationalen Veteranentag“ bescheren: | |
Zustimmung ist ihm sicher. Deutschlands Militär gewinnt neue Sichtbarkeit | |
und Stärke, wird in eine neue Gesellschaftsrolle gepusht, die droht neuem | |
Nationalismus und Chauvinismus Vorschub zu leisten. Da ist Vorsicht | |
geboten. | |
Im niedersächsischen Osnabrück, dessen Oberbürgermeister Pistorius einst | |
war, gibt es ein Beispiel für diese Vorsicht: Kämpferisch stellt das | |
Museumsquartier Osnabrück (MQ4) seiner Ausstellung „Barlach | Kollwitz | |
– Nie wieder Krieg“ ein unbequemes, mahnendes Wort von [1][Käthe Kollwitz] | |
voran: „Nicht nur bei uns geht die Jugend freiwillig und freudig in den | |
Krieg, sondern bei allen Nationen“, schrieb sie 1916, zwei Jahre nachdem | |
ihr ältester Sohn an der Front gestorben war. | |
Mit ihm hatte Kollwitz, [2][zuvor noch recht vaterlandsfrohe | |
Sozialdemokratin], ihre eigene Kriegsbegeisterung verloren. „Menschen, die | |
unter anderen Umständen verstehende Freunde wären, gehen als Feinde | |
aufeinander los. Ist wirklich die Jugend ohne Urteil? Geht sie immer los, | |
sobald man sie aufruft?“, fragt die Künstlerin nun. | |
„Nie wieder Krieg“ ist dunkel. Ausstellungsräumlich, werkstofflich und | |
gedanklich. Eine schonungslose, abgründige Welt aus Schwarz, Fahlheit und | |
Grau. In alptraumhaftem Ernst zeigt sie unerträgliches Leid, echt und tief. | |
Brutal treten uns Not und Tod entgegen, Schmerz und Hunger, Verlorenheit | |
und Verzweiflung. Der Krieg, rammt sie uns schockhaft ins Bewusstsein, | |
frisst seine Kinder. Er ist die Hölle. Immer. | |
Die Schau, rund 140 Grafiken und Skulpturen groß, trifft wie ein | |
Gewehrkolben, wie ein Bajonett. Sie erprobt unsere Nerven. Sie berührt, | |
bewegt, klagt an. Ihre Intensität ist immens, ihre Intimität, ihre | |
Drastik. Ihr Titel ist ein sendungsbewusstes Statement: Er verweist auf das | |
ikonische Plakat, das Kollwitz 1924 für die Sozialistische Arbeiterjugend | |
in Leipzig gestaltet hatte. Ein junger Mann hebt auf ihm den rechten Arm | |
zum Schwur: Nie wieder Krieg! | |
Das Plakat ist das erste Exponat, das uns entgegentritt, riesig groß. Es | |
nimmt nicht nur auf die Schrecken des Ersten Weltkriegs Bezug, die für | |
Kollwitz ebenso prägend sind wie die sozialen Ungleichheiten ihrer Zeit, | |
ein Ausfluss des [3][Kapitalismus]. Es ist ein Verweis auf die | |
[4][Friedensbewegung] der 1970er und 1980er, aus der es nicht wegzudenken | |
ist – eine Bewegung, der sich auch das Rahmenprogramm widmet. | |
Die Ausstellung zeigt Menschen, die einander umklammern, die erkaltet vor | |
uns liegen, zweifelnd Betende, Menschen unter Folter. Blicke gehen ins | |
Nichts, Hände verdecken Gesichter. Universalverständlich ist das, zeitlos. | |
„Wir sehen das auch als politische Schau“, sagt MQ4-Direktor [5][Nils-Arne | |
Kässens] der taz. „Als Aufruf, sich ganz persönlich zu engagieren, für den | |
Frieden, für die Demokratie.“ | |
Den Titel der Schau verstehe er als „utopischen Imperativ“, der leider sehr | |
aktuell sei. „Das hier geht schon sehr unter die Haut.“ Ernst Barlach und | |
Käthe Kollwitz gemeinsam zu zeigen, liegt nahe. | |
Die beiden Vertreter der Klassischen Moderne waren miteinander befreundet, | |
haben sich thematisch und motivisch ergänzt. Im kulturellen Gedächtnis | |
stehen sie für die Sehnsucht nach einer friedvolleren, gerechteren Welt. | |
Während Kollwitz schon vor der Machtübernahme die Nazis künstlerisch | |
bekämpft – und 1933 prompt aus der Akademie fliegt, [6][diente sich Barlach | |
dem Regime zunächst an]. Verfemt wurden beide. | |
## Kollwitz wirkt intensiver | |
Klug sind ihre Holzschnitte, Lithografien, Bronzen, Strichätzungen und | |
Radierungen im MQ4 so gruppiert, dass sie miteinander korrespondieren. | |
[7][Kollwitz brennt sich dabei weit wirkmächtiger ein als Barlach]. Ihre | |
Arbeiten wirken persönlicher, lebendiger, agitativer, kühner, intuitiver, | |
politischer. Kollwitz erzeugt extreme Nähe, oft sehr körperlich, sehr | |
expressiv. Sie inszeniert Pathos, Dramatik. Stark ist das. Es greift uns | |
an, in unseren Sicherheiten. Doch [8][auch Barlach, dem Mystischeren, | |
Distanzierteren, Helleren,] gelingen Botschaften, die haften bleiben: | |
Stahlhelme zeigt er, als Teil eines Ehrenmals, das keines ist. Heroismus | |
erscheint als Illusion. | |
Werke von Barlach und Kollwitz hat man schon oft gesehen. Aber die Mahnung | |
der hier versammelten Exponate, die Opfer der Kriege dieser Welt nicht zu | |
vergessen, ist wichtig. Es sind Kriege, die uns nicht nur geografisch nahe | |
sind. | |
Kuratorin Maren Koormann beschreibt ihre Arbeit als einen Appell: „Es geht | |
hier auch um den Schrecken, ob sich all das wiederholt, ob wir nichts | |
gelernt haben.“ Kollwitz sei eine unglaublich starke Künstlerin, eine | |
mutige Frau gewesen, eine Vorreiterin auf vielen Gebieten. „Es war immer | |
ein Traum von mir, sie zu zeigen.“ | |
29 Jun 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Kaethe-Kollwitz-im-MoMA/!6014638 | |
[2] https://www.emma.de/artikel/sie-schickte-ihren-sohn-den-tod-317331 | |
[3] /Kapitalismus/!t5010783 | |
[4] /Friedensbewegung/!t5013814 | |
[5] /Museumsdirektor-ueber-das-Moeglich-Machen/!5638642 | |
[6] http://www.beramus.de/2020/03/ernst-barlach-ein-kuenstler-im-dritten-reich/ | |
[7] /Kaethe-Kollwitz-Museum-in-Berlin/!5879900 | |
[8] /Archiv-Suche/!1146717&s=Ernst+barlach+krieg&SuchRahmen=Print/ | |
## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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