# taz.de -- Hungerstreik für bessere Klimapolitik: Das letzte Mittel? | |
> Seit Wochen sind in Berlin vier Männer im Hungerstreik, um auf die | |
> Klimakatastrophe aufmerksam zu machen. Einer von ihnen könnte bald | |
> sterben. | |
Bild: Wolfgang Metzeler-Kick ist seit über 84 Tagen im Hungerstreik | |
Berlin taz | Ein Dutzend Zelte stehen vor dem Brunnen im Invalidenpark in | |
Berlin. Die kleine Grünfläche sollte einst an die gefallenen Soldaten der | |
Revolution von 1848 und des deutsch-dänischen Krieges von 1848-1851 | |
erinnern. Sie liegt zwischen dem Wirtschafts- und Klimaministerium sowie | |
dem Verkehrsministerium. In dem einen ist Robert Habeck (Grüne) der Chef, | |
im anderen Volker Wissing (FDP). | |
Beide geht an, was auf dem Platz geschieht. Denn dort sind vier Menschen im | |
Hungerstreik. Sie werfen ihr Leben in die Waagschale, um Politik und | |
Gesellschaft zu bewegen, mehr gegen den Klimakollaps zu tun. Es ist das | |
letzte Mittel, das sie sehen. Titus Felsmann, 41 Jahre, hungert seit 16 | |
Tagen. Adrian Lack, 34 Jahre, hungert seit 26 Tagen; er spricht auch nicht | |
mehr. Der 56-jährige Richard Cluse hungert seit 68 Tagen. | |
Der Vierte, Wolfgang Metzeler-Kick, hungert inzwischen seit 86 Tagen. Seit | |
acht Tagen hat der große, abgemagerte Mann, dessen Gesicht eingefallen ist | |
und doch ausdrucksstark wirkt, den Streik radikalisiert. Er trinkt keine | |
Säfte mehr, die seinen Blutzuckerspiegel noch etwas stabilisierten, sondern | |
nimmt nur noch Wasser, Salz und ein paar Vitamine zu sich. „Jetzt wird die | |
Situation schnell kritisch“, sagt ein Unterstützer von [1][Scientist | |
Rebellion] vor einem der Zelte. „Wolli darf nicht sterben“, steht auf | |
Transparenten, die im Camp hängen. | |
Die Forderung der Hungerstreikenden ist simpel. Sie wollen, dass der | |
Bundeskanzler in einer Regierungserklärung die wissenschaftlichen Fakten | |
zum Klimawandel ausspricht, und dass die Existenz des Lebens auf dem | |
Planeten bedroht ist. Sie wollen, dass der Kanzler den Menschen sagt, dass | |
zu viel CO2 in der Luft ist und dass der [2][Weltklimarat] zeigt, wie das | |
Klimagift reduziert werden kann. Sie wollen, dass Scholz sagt, dass jetzt | |
radikal umgesteuert werden muss; es sei schon fast zu spät. „[3][Hungern | |
bis ihr ehrlich seid]“, heißt entsprechend die Kampagne. | |
## Das Wort „Erpressung“ steht im Raum | |
Es wäre ein Leichtes für Olaf Scholz, der doch als „Klimakanzler“ | |
angetreten ist, das Leben der Hungerstreikenden zu retten, indem er diese | |
von der Wissenschaft belegten Wahrheiten öffentlich ausspricht, um damit | |
der Bevölkerung die Tragweite des Problems klarzumachen. | |
Allein, Scholz tut es nicht. Das Wort „Erpressung“ steht im Raum. Auf dem | |
Demokratietag am vergangenen Wochenende wurde der Kanzler bei einem offenen | |
Dialog mit ihm von [4][Claudia Heinrich, der Partnerin] von Metzeler-Kick, | |
gefragt, warum er die Dramatik der Klimakrise nicht aussprechen wolle. | |
Scholz wich aus: „Zu sagen, ich löse die Situation mit einem Bekenntnis zu | |
irgendetwas, ist kein Ausweg, denn es ist keine religiöse Veranstaltung“, | |
sagte er. Dann führte er aus, dass viele Leute daran arbeiteten, die | |
Klimaprobleme technisch zu lösen. Bald. | |
„Nur“, fragt Marlen Stolze, die Pressesprecherin der Hungerstreikenden im | |
Camp, „wie oft soll man es wiederholen: Wer, wenn nicht er, muss den | |
Menschen die Wahrheit sagen?“ Dann zitiert sie die Schriftstellerin | |
Ingeborg Bachmann „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.“ | |
Eine Unterstützerin geht noch weiter: „Scholz will nicht sehen, wie er mit | |
seiner Weigerung, die Klimakatastrophe zu benennen, den Klimaleugnern und | |
den Rechten erst die Plattform gibt für deren Lügen.“ Das Argument mit der | |
Erpressung sei falsch. Vielmehr täusche die Politik die Bevölkerung, indem | |
sie sie in falscher Sicherheit wiege. | |
## Wer ist verantwortlich? | |
Im Raum steht aber noch eine ganz andere Frage: Wenn Metzeler-Kick oder ein | |
anderer der vier stirbt, wer ist dann verantwortlich? Er selbst oder der | |
Kanzler? | |
Alle vier sind entschlossen, ihren Hungerstreik fortzusetzen – auch | |
Metzeler-Kick. An diesem Donnerstag liegt er gerade im Zelt auf einer | |
Liege, ihm sei schwindlig. Tags zuvor am Mittwoch auf der Pressekonferenz | |
ging es im besser, da machte er auf der Tafel beim Pressezelt noch einen | |
weiteren Strich hinter seinem Namen, da war es der 84. Tag. | |
Vor dem Hungerstreik hat der Umweltingenieur viel versucht, um auf die | |
Dramatik der Erderwärmung aufmerksam zu machen. Als Techniker, aber auch | |
als Aktivist. | |
Er war bei „[5][Parents for Future]“ und bei „Scientist Rebellion“, war… | |
Aktionen von „[6][Extinction Rebellion]“ dabei, und bei denen der | |
[7][Letzten Generation]. In München saß er zusammen mit Marlen Stolze, der | |
Pressesprecherin, deswegen in Präventivhaft. | |
## „Mit allem, was mir zur Verfügung stand“ | |
Ob er und die anderen Hungerstreikenden ihre Wut und Verzweiflung gegen | |
sich selbst richten? Metzeler-Kick sieht es nicht so. „Ich sehe kein | |
anderes Mittel des Protestes mehr“, sagt er. Er wird oft mit dem Satz | |
zitiert: „Wenn ich sterbe, hat Scholz ein Problem.“ Aber welches ist das? | |
Scholz sei dann als Klimakanzler demaskiert, antwortet er. „Der | |
Klimakanzler lässt lieber Leute sterben, als die Wahrheit auszusprechen.“ | |
Auf die Frage, ob nicht vielmehr der Kampfesmut von ihm und den anderen | |
Hungerstreikenden gebraucht werde und nicht deren selbstgewählte | |
Vernichtung, meint Metzeler-Kick: „Wer auf die Barrikaden geht, bringt sich | |
in Gefahr.“ Und was hat sein Sohn von seinem Tod? „Er weiß, dass ich für | |
seine Zukunft gekämpft habe – mit allem, was mir zur Verfügung stand“, | |
antwortet er. | |
„Leute in der Politik, die die Dramatik des Klimawandels nicht aussprechen, | |
leugnen ihn“, sagt die Pressesprecherin. Einige PolitikerInnen und | |
Bundestagsabgeordnete scheinen diesen Zusammenhang zu sehen, sie kamen ins | |
Camp. Die meisten sagten, das Anliegen trügen sie mit, Hungerstreik als | |
Protestmittel allerdings lehnten sie ab. | |
Verkehrsminister Wissing hat sich bisher nicht blicken lassen. Robert | |
Habeck aber war da – wenngleich das lange geheim gehalten werden sollte. | |
Das Gespräch mit ihm sei „ein menschliches Treffen gewesen“, sagt | |
Metzeler-Kick auf seiner Liege im Zelt. | |
Vor dem Wirtschaftsministerium hat sich nach der Pressekonferenz eine | |
Gruppe AktivistInnen aufgestellt. Darunter zwei von der Umweltorganisation | |
BUND. „Wer, wenn nicht der BUND muss hier stehen“, fragen sie, aber die | |
Organisation hat sich nicht offiziell hinter die Hungerstreikaktion | |
gestellt. Eine Filmemacherin fragt Leute, die aus Habecks Ministerium | |
kommen, ob sie sich zum Protest verhalten können. Alle gehen wortlos | |
vorüber. | |
Jeden Tag um 17 Uhr machen sich die Hungerstreikenden zum „Slow Walk“ durch | |
das Regierungsviertel auf. Auch bei strömendem Regen. Metzeler-Kick trägt | |
einen Overall, auf dem ein Skelett aufgezeichnet ist. „Ich versuche, so | |
viel wie möglich noch selbst zu gehen“, sagt er. Aber als der Weg leicht | |
abschüssig wird, setzt er sich in einen Rollstuhl und rollt den Hang | |
hinunter. | |
31 May 2024 | |
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[1] https://scientistrebellion.org/ | |
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[7] https://letztegeneration.org/ | |
## AUTOREN | |
Waltraud Schwab | |
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