| # taz.de -- Klima-Hungerstreik in Berlin: Schonunglose Wahrheit | |
| > Hungerstreikende wollen aufhören zu trinken. Es ist ein Drama, dass es | |
| > den verzweifelten Mut Einzelner braucht, um Selbstverständliches | |
| > einzufordern. | |
| Bild: Solidaritätsaktion für Wolfgang Metzeler-Kick am Dienstag vor dem Willy… | |
| Zunächst ein paar einfache Wahrheiten: Der Fortbestand der menschlichen | |
| Zivilisation ist durch die Klimakatastrophe extrem gefährdet. Der | |
| CO2-Gehalt in der Luft ist viel zu hoch, ein Restbudget existiert nicht | |
| mehr. Notwendig ist daher ein radikales Umsteuern in der Klimapolitik. | |
| Das Anerkennen dieser Fakten und ein daraus abgeleitetes politischen | |
| Handeln würde in Zukunft dazu beitragen, sehr viele Menschenleben zu | |
| retten. Ganz konkret könnte es aber jetzt ein Leben retten: Das des | |
| Klimaaktivisten Wolfgang Metzeler-Kick. Seit 91 Tagen befindet sich der | |
| Umweltingenieur im Hungerstreik; die Ärzte geben ihm kaum mehr als 48 | |
| Stunden, wenn er nun, wie angekündigt, ab Donnerstag auch aufhört zu | |
| trinken. Schon Montagabend war Metzeler-Kick, der bereits 30 Kilogramm | |
| verloren hat, kollabiert. | |
| Retten kann ihn Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), indem er sich jene Fakten | |
| zu eigen macht. Scholz muss dafür nicht einmal auf die Kampagne „Hungern | |
| bis ihr ehrlich seid“ eingehen, er braucht nur auf die Wissenschaft und | |
| seine eigenen Beratungsgremien zurückgreifen: auf den | |
| [1][Sachverständigenrat für Umweltfragen], der im März festgestellt hatte, | |
| dass Deutschland seinen gerechten Anteil am globalen CO2-Budget für das | |
| Erreichen des 1,5-Grad-Ziels bereits aufgebraucht hat. Oder [2][auf den | |
| Expertenrat für Klimafragen], der diese Woche feststellte, dass Deutschland | |
| seine Klimaziele für 2030 verfehlen wird. | |
| Wann, wenn nicht jetzt, wo in Süddeutschland ganze Regionen absaufen, | |
| sollte der passende Moment für den selbst ernannten „Klimakanzler“ sein, | |
| die Dramatik in all ihrer Schärfe anzuerkennen? | |
| ## Für Debatten über die Aktionsform ist es zu spät | |
| Für Donnerstag hat Scholz eine Regierungserklärung zur aktuellen | |
| Sicherheitslage angekündigt. Die bedrohte Sicherheit durch die Folgen des | |
| Klimawandels und die Einsicht, dass die bisherigen politischen Maßnahmen | |
| nicht ausreichen, um diese abzumildern, sollten dringend dazu gehören. | |
| Trotzdem tun große Teil der Öffentlichkeit derzeit so, als würde sich | |
| Scholz erpressbar zeigen, wenn er den Forderungen der Hungerstreikenden | |
| nachkommt. Als müsste Scholz davor beschützt werden, die Wahrheit zu sagen, | |
| weil wir sie selbst nicht hören wollen. Der Bundeskanzler wird nicht | |
| erpresst – nicht wie der fiktive britische Premierminister in der Serie | |
| „Black Mirror“, der zum Geschlechtsverkehr mit einem Schwein genötigt wird, | |
| um das Leben einer Entführten zu retten. Verlangt wird von Scholz eine | |
| Selbstverständlichkeit: die schonungslose Wahrheit zum alles entscheidenden | |
| Zukunftsthema der Menschheit. Es ist ein Drama, dass es den verzweifelten | |
| Mut Einzelner braucht, um diese einzufordern. | |
| Mutig sein müsste auch Scholz für diesen Schritt. Echte Klimapolitik hat | |
| drastische Folgen und daher verbissene Gegner:innen. Die Rechte will mit | |
| der Schleifung der bisherigen Klimapolitik Wahlen gewinnen und lauert nur | |
| darauf, Scholz als Marionette der „Klima-Radikalen“ abzustempeln. | |
| Vermutlich hat die Bild-Zeitung den verächtlichen Titel schon im Köcher, | |
| dabei könnte auch sie das Leben der Hungerstreikenden retten, wie es | |
| Metzler-Kick zuletzt [3][als möglichen Ausweg] selbst benannt hat. Dafür | |
| müsste sie nur den ersten Teil dieses Textes abdrucken, sich also den | |
| eigenen Werbeslogan zu eigen machen: „Jede Wahrheit braucht einen Mutigen, | |
| der sie ausspricht.“ | |
| Aber Hungerstreik ist doch der falsche Weg, sagen auch viele derjenigen, | |
| die die Bewertung der Klimakatastrophe und die Forderungen teilen. Und ja, | |
| die Radikalität eines Hungerstreiks verstört; man möchte sich damit lieber | |
| nicht auseinandersetzen. Doch es hilft nichts: Sowohl vor den Folgen des | |
| Klimawandels als auch vor dem drohenden Tod des Aktivisten kann man die | |
| Augen nicht verschließen. Für [4][Debatten über die richtigen | |
| Aktionsformen] ist es nicht nur zu spät, sie führen auch zu nichts. | |
| Stattdessen müssen wir über den Klimawandel reden und darüber, wie wir ihn | |
| stoppen können. Wir alle. Und Olaf Scholz. | |
| 5 Jun 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Erik Peter | |
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