# taz.de -- Jesuit über Hungern aus Protest: „Erpressung ist nicht gegeben“ | |
> Der Jesuit und Aktivist Jörg Alt hat dem Klimaschützer Wolfgang | |
> Metzeler-Kick vom Hungerstreik abgeraten. Dennoch unterstützt er ihn. | |
Bild: Klimaaktivist Wolfgang Metzeler-Kick im Protestcamp im Berlin am 29.05.20… | |
taz: Herr Alt, der Klimaaktivist Wolfgang Metzeler-Kick ist seit März | |
[1][im Hungerstreik], um [2][den Kanzler dazu zu bringen, in einer | |
Regierungserklärung die Dramatik der Klimakrise einzugestehen]. Sie kennen | |
Metzeler-Kick seit Langem, waren auch schon in Aktion mit ihm. Können Sie | |
als Priester gutheißen, wenn er sein Leben riskiert? | |
Jörg Alt: Ich habe von Anfang an abgeraten von dem Hungerstreik, weil ich | |
eben nicht überzeugt war, dass der Hungerstreik zur jetzigen Zeit | |
erfolgreich sein kann. Die Situation ist ganz anders als beim | |
[3][Hungerstreik 2021 im Bundestagswahlkampf]. Weil die rechte Seite | |
deutlich stärker geworden ist. Das macht es einem Politiker nochmal | |
schwerer, auf solche Forderungen einzugehen. Aber nachdem Wolfgang sehr | |
reflektiert und intelligent die Dinge bedacht hat und sich dafür | |
entschieden hat, diesen Weg trotzdem zu gehen, respektiere ich das und | |
unterstütze, wo ich nur kann. | |
Viele Kritiker:innen führen die Verantwortung an, die Metzeler-Kick für | |
seinen 14-jährigen Sohn hat. | |
Verantwortung für Kinder kann zwei Dimensionen haben. Das eine ist, ob ich | |
mein Kind in eine absehbar schwierigere Zukunft persönlich begleite oder ob | |
ich versuche, diese absehbar schlimme Zukunft bestmöglich noch in | |
irgendeiner Weise beeinflussen zu können. In Abwägung aller Gründe hat sich | |
Wolfgang Metzler-Kick für die zweite Lösung entschieden. | |
In seiner [4][Regierungserklärung am Donnerstagmorgen] sprach der | |
Bundeskanzler vom menschengemachten Klimawandel als der größten globalen | |
Herausforderung, vor der wir stehen. Das ist nicht gerade | |
Klimawandel-Leugnung. Was würde es darüber hinaus ändern, wenn der Kanzler | |
die drei Forderungen der Hungerstreikenden ausspricht? | |
Der eine Punkt ist ja, [5][dass wir eigentlich gar kein CO2-Budget mehr | |
haben], dass wir schon jetzt auf Kosten des globalen Südens und der | |
kommenden Generation leben, also auf Kosten von Wolfgangs Kind. Die | |
Bundesregierung erweckt aber immer noch den Eindruck, dass es alles gar | |
nicht so schlimm ist, dass wir noch Reserven haben und dass die Technik uns | |
irgendwie retten wird. Wir hören schon seit Angela Merkel, dass der | |
Klimawandel eine große Herausforderung ist, zugleich hat sich im | |
politischen Handeln nichts angemessen schnell verändert, und darum geht es | |
ja. | |
Wir wissen alle, dass der Klimawandel die größte Herausforderung ist. Aber | |
wir verstehen nicht, wie dringlich es ist, und wir verstehen auch nicht, | |
wie dringlich angemessenes Handeln ist, und wir verstehen auch nicht, was | |
das für einschneidende Veränderungen in unserem Wirtschafts- und Lebensstil | |
bedeutet. Und darüber müssen wir halt reden. | |
Es gibt auch aus der Klimabewegung Stimmen, die den Hungerstreik kritisch | |
sehen. Ein solches Zeichen der Hoffnungslosigkeit könne auch dazu führen, | |
dass Menschen sagen: „Dann ist ja eh schon alles egal.“ | |
Jeder Mensch ist für das verantwortlich, was er entscheidet und tut, und | |
ich würde dann eher wie Papst Franziskus sagen: Wer bin ich, über Wolfgang | |
und seine Entscheidung zu richten? Ich bin über seine Entscheidung nicht | |
glücklich, aus vielen Gründen. Aber nochmal: ich respektiere sie und | |
versuche letztlich eben jetzt auch das Beste aus seiner Entscheidung | |
herauszuholen. | |
Manche sprechen von Erpressung, zu Recht? | |
Erpressung ist letzten Endes, dass man von einem anderen etwas erzwingen | |
will zum eigenen Vorteil, und das ist in diesem Fall nicht gegeben. Worum | |
es bei dem Hungerstreik geht, ist eigentlich, dass das der Öffentlichkeit | |
vor Augen gestellt werden soll, wovon die Wissenschaft und | |
Klimagerechtigkeits-Aktivisten seit Jahren und Jahrzehnten warnen. Ohne den | |
Hungerstreik würden wir dieses Interview nicht führen. Also, ein | |
Hungerstreik hat durchaus das Potenzial, in der Gesellschaft auch noch mal | |
eine Debatte anzuschieben, die es ohne ihn nicht gäbe. Und daraus erwächst | |
halt die Hoffnung, dass wir vielleicht doch ein paar Schritte weiterkommen. | |
Beim [6][Demokratiefest vor einer Woche] hat der Kanzler den Hungerstreik | |
so kommentiert: „Zu sagen, ich löse die Situation mit einem Bekenntnis zu | |
irgendetwas, ist kein Ausweg, denn es ist keine religiöse Veranstaltung“. | |
Ist Klimaprotest für Sie als Jesuit doch eine religiöse Veranstaltung? | |
Das ist völliger Blödsinn. Klimagerechtigkeit ist kein Gegenstand der | |
Religion, sondern der Ethik. Religion ist Überzeugtsein von Dingen, die man | |
nicht sieht, wie es im Hebräerbrief heißt. Aber Klimawissenschaft ist nun | |
wirklich eine Wissenschaft, die sich mit Fakten und Vorhersagen | |
beschäftigt. Und wir sehen ja, dass die Vorhersagen der Klimawissenschaft | |
alle eintreffen, nur eben schneller als ursprünglich angenommen. | |
Ich finde also eher die Frage relevant, ob ich eine Bevölkerung wie | |
Erwachsene oder wie quengelnde Kinder behandle: Wenn man, wie etwa beim | |
[7][Bürgerrat] Klima, eine Bevölkerung wie erwachsene Menschen behandelt | |
und ihnen Risiken und Nebenwirkungen klar erklärt und was sich daraus an | |
Handlungen ergibt, dann bekommt man eine andere Resonanz, als wenn man die | |
Bevölkerung wie quengelnde Kinder behandelt, denen man alle Wünsche folgend | |
Meinungsumfragen erfüllt, wie es die FDP will, wenn sie lieber Straßen als | |
Schienen fördert. | |
Verlangt der Klimawandel wirklich nach Märtyrern? | |
Man hat auch [8][2021 beim Hungerstreik der Letzten Generation] befürchtet, | |
dass das Kreise zieht. Das hat es nicht getan. Wolli ist jetzt nicht | |
jemand, der morgens aufgewacht ist und gesagt hat, ich mache einen | |
Hungerstreik, sondern es wäre wichtig, sich ins Gedächtnis zu rufen, was er | |
alles vorher schon gemacht hat, um auf diese Probleme aufmerksam zu machen. | |
Insofern ist für ihn der Hungerstreik eine ultima ratio. Jeder sollte erst | |
mal so viel tun wie Wolfgang Metzeler-Kick, um das Problem zu lösen, bevor | |
er über ihn die Lanze bricht. | |
Sie halten den Hungerstreik also doch für gerechtfertigt. | |
Ich finde immer noch den [9][offenen Brief gut, den der Klimaforscher | |
Hans-Joachim Schellnhuber damals zum Hungerstreik der Letzten Generation | |
geschrieben hat]. Er schrieb: Die Lage ist so ernst, dass euer Hungerstreik | |
gerechtfertigt ist. Und dann hat er gesagt, der Deutsche habe die Tendenz, | |
Hungerstreikende immer dann zu lieben, wenn sie tot sind oder weit weg. Wie | |
Gandhi oder [10][Nawalny]. Ich ergänze: wenn die Hungerstreikenden im | |
eigenen Garten sitzen, dann finden die Deutschen sie peinlich. Es ist immer | |
einfach, von außen über jemanden zu richten, der sich die Entscheidung | |
verdammt schwer gemacht hat. | |
Gandhi, Nawalny oder die Demokratie-Aktivistin [11][Netiporn Sanesangkhom], | |
die kürzlich in thailändischer Haft gestorben ist und von den Streikenden | |
im Invalidenpark angeführt wird – ist es nicht etwas anderes, in einer | |
Diktatur dieses radikale Mittel zu wählen, als in Deutschland, in dem freie | |
Rede und viele Formen der Einflussnahme möglich sind? | |
Ja, und letzten Endes gewinnen immer die Lobbyisten und die FDP. Also: wie | |
viel Freiheit haben wir in unserem Land? Das ist ja schon auch die Anfrage | |
der Klimagerechtigkeits-Aktivisten: Wer hat in unserem Land das Sagen? Und | |
wenn die Mehrheit der Bevölkerung ein Lebensmittel-Retten-Gesetz oder ein | |
[12][Tempolimit] will, aber eine 3-Prozent Partei sagt: 'nö, haben wir | |
keinen Bock drauf’. Was ist dann die Demokratie wert? Die falschen Leute | |
setzen sich immer wieder durch. Auch wenn es vielleicht netter verpackt | |
ist, als in anderen Ländern. Wenn Politik und Gesellschaft weiter | |
berechtigte und wohlbegründete Anliegen ignorieren, muss man natürlich auch | |
damit rechnen, dass verzweifelte Menschen immer extremere Mittel in | |
Stellung bringen. | |
6 Jun 2024 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Hunglinger | |
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