| # taz.de -- Doku über Rapper Lil Nas X: Striptease für Satan | |
| > Die Doku „Long Live Montero“ begleitet den queeren Rapper Lil Nas X auf | |
| > seiner ersten Tour. US-Christen sehen in ihm einen Freund des Teufels. | |
| Bild: Montero Lamar Hill alias Lil Nas X bei einem seiner Konzerte im Oktober 2… | |
| Montero Lamar Hill ist 25 Jahre alt und sieht sogar noch jünger aus, als er | |
| zwischen weißen Bettlaken in die Kamera lächelt und versucht, seine | |
| Karriere in Worte zu fassen. Unter dem Künstlernamen Lil Nas X | |
| veröffentlichte er vor sechs Jahren sein völlig überraschendes | |
| [1][Country-Cross-over]-Debüt „Old Town Road“. | |
| Den Verdacht, nur ein One-Hit-Wonder zu sein, konnte er mit weiteren | |
| Welterfolgen wie „Montero (Call Me by Your Name)“ und „That’s What I Wa… | |
| entgegenwirken. Er ist gekommen, um zu bleiben: „I told you long ago, I got | |
| what they’re waiting for“, singt er im Refrain von „Industry Baby“ und … | |
| damit recht behalten. Die Dokumentation „Long Live Montero“ lässt nun | |
| erahnen, wie sehnsüchtig er [2][als Schwarzer queerer Künstler] wirklich | |
| erwartet wurde. | |
| Am Anfang seiner Karriere habe er ein Sänger sein wollen, der sich [3][zwar | |
| zu seiner Homosexualität bekenne], sie aber niemandem „aufdränge“. Nicht | |
| provozieren, nicht kokettieren, sondern „ansonsten perfekt sein, um diesen | |
| einen Fehler auszugleichen“. Der Cowboy aus „Old Town Road“ eben – lust… | |
| einfach mitzusingen, ein Partyhit für die breite Masse. | |
| ## Flucht nach vorne | |
| Welch großes Glück, dass es dabei nicht geblieben ist. Mit seinen | |
| expliziten Lines in „Montero (Call Me by Your Name)“ über queeren Sex und | |
| seinem Musikvideo, in dem er vor dem Teufel strippt, löste er eine | |
| regelrechte Hysterie des christlich-republikanischen Spektrums aus, das ihn | |
| als satanisches Gift für Amerikas Kinder bezeichnete. Er entblößte damit | |
| einmal mehr zutiefst homophobe Denkstrukturen, eingekleidet in den Mantel | |
| des Religiösen. | |
| Montero entschied sich für die selbstironische Flucht nach vorn: In einem | |
| Aneignungsprozess der Zuschreibung des Satanischen veröffentlichte er eine | |
| längere Version des Songs namens „Satan’s Extended Version“, um wenig | |
| später im Video von „Industry Baby“ nackt im Männergefängnis zu tanzen. | |
| Spätestens seitdem befindet er sich im offenen Kampf gegen die, die seine | |
| Musik für gefährliches Teufelswerk halten – stellvertretend für die, denen | |
| er endlich eine Stimme und Sichtbarkeit geben konnte. | |
| Er stehe auf den Schultern anderer Schwarzer queerer KünstlerInnen, die oft | |
| vergessen worden seien, erzählt Montero in der Dokumentation: „Schwarzen | |
| Künstlern passiert das häufig, queeren Schwarzen Künstlern ganz besonders.“ | |
| Auch in seinem familiären Umfeld erlebe er Unverständnis für seine sexuelle | |
| Orientierung. Die Tourerfahrung beschreibt er als ersten Safe Space seines | |
| Lebens: Unter den Tänzern könne er zum ersten Mal bedingungslos er selbst | |
| sein. | |
| ## Kollektiver Safe Space | |
| Szenen der Konzerte aus „Long Live Montero“ zeigen, wie seine Auftritte | |
| ebenso sehr einen kollektiven Safe Space für das gesamte Publikum | |
| erschaffen: einen Raum, in dem niemand nur geduldet, sondern im Gegenteil | |
| in seiner ganzen Queerness zelebriert wird. So werden die Eingangsworte des | |
| „Montero“-Musikvideos zum Motto seiner Tour, zur Einladung an die | |
| Anwesenden, alles sein zu dürfen: „In life we hide the parts of ourselves | |
| we don’t want the world to see. We lock them away. But here we don’t: | |
| Welcome to Montero“. | |
| Montero, der in der Vergangenheit in Interviews äußerte, er habe als | |
| Jugendlicher verzweifelt versucht, seine Homosexualität wegzubeten, kann | |
| anders in die Zukunft blicken: „Mein neues Album soll Eskapismus sein. Aber | |
| nicht die Art, in die man sich flüchtet, wenn man sterben will. Sondern die | |
| Art, durch die man noch mehr zum Leben steht.“ In seinem kürzlich | |
| veröffentlichten Musikvideo zu „J Christ“ inszeniert sich der Sänger als | |
| Jesus und endet mit der Bibelstelle 2. Korinther 5,17: „Ist jemand in | |
| Christus, so ist er eine neue Kreatur. Das Alte ist vergangen, siehe, Neues | |
| ist geworden.“ Ein Ende seiner religiösen Provokationen ist also nicht in | |
| Sicht. Gott sei Dank. | |
| 13 Jun 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Marie-Sofia Trautmann | |
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