| # taz.de -- Interview-Autorisierung bei der „Bild“: Gesagt ist gesagt | |
| > „Bild“ hat angekündigt, Interviews mit Politiker:innen nicht mehr | |
| > autorisieren zu lassen. Gilt also in Zukunft tatsächlich das gesprochene | |
| > Wort? | |
| Bild: Wo etwas mehr Autorisierung nicht schaden würde: Von 20 im März 2024 au… | |
| Manchmal hat man sich für ein halbstündiges Gespräch vorbereitet, bei | |
| höchstens einem Kaffee. Und dann sitzt man nach einer Stunde immer noch mit | |
| dem Interviewpartner zusammen und denkt bei jedem Satz: „Danke, dass du mir | |
| das anvertraust.“ | |
| Das sind mit die schönsten Momente als Journalistin. Umso frustrierender | |
| ist es dann, wenn ein intensives Gespräch dem Interviewpartner zur | |
| Autorisierung geschickt wird und der oder die dann [1][die schönsten | |
| Stellen wieder rausstreicht], wenn Flapsiges und Lustiges einfach wegfällt | |
| und nur unpersönliche, geglättete Aussagen zur Veröffentlichung bleiben. | |
| Es gibt in Deutschland immer wieder eine Debatte darüber, ob man es bei | |
| nicht lieber wie etwa US-amerikanische Kolleg*innen handhaben und das | |
| gesprochene Wort gelten lassen sollte. Dann könnten | |
| Interviewpartner*in nicht mehr über einen fertigen Text drüberschauen | |
| und ihn oft willkürlich verändern. | |
| ## Zunehmender Druck auf Journalist*innen | |
| Innerhalb dieser Debatte spielt auch der zunehmende Druck auf | |
| Journalist*innen eine Rolle, [2][die zum Beispiel von einflussreichen | |
| Personen, Firmen oder Institutionen mit Klagen bedroht werden], wenn sie | |
| etwas drucken, was denen am Ende doch nicht passt. Viele | |
| Journalist*innen ächzen unter der alltäglichen Mehrarbeit, die das | |
| Autorisieren von Interviews mit sich bringt, und beklagen, dass | |
| authentische Berichterstattung so zumindest erschwert wird. Um einen Punkt | |
| zu machen, wie viel bei so einem Autorisierungsprozess rausgestrichen wird, | |
| veröffentlichte die taz 2003 ein Interview mit dem damaligen | |
| SPD-Generalsekretär Olaf Scholz mit fast ausschließlich geschwärzten | |
| Antworten. | |
| Damit soll jetzt Schluss sein, jedenfalls bei der Bild-Zeitung, die | |
| Interviews mit Politiker*innen nicht mehr autorisieren lassen will. | |
| Das solle die Glaubwürdigkeit steigern und den Leser*innen das Gefühl | |
| geben, auf Augenhöhe angesprochen zu werden, sagte [3][Marion Horn, | |
| Vorsitzende der Bild-Chefredaktion], vergangenen Freitag auf dem Kongress | |
| des Medienverbands der Freien Presse. | |
| Das ist bemerkenswert, denn es wird größere Folgen für die Zeitung haben, | |
| wenn sie die Sache wirklich durchziehen wollen. Einige Politiker*innen | |
| haben laut Bild schon angekündigt, dass sie „jetzt nicht mehr mitmachen“. | |
| ## Glaubwürdigkeit ist am wichtigsten | |
| Ist dieser Schritt also notwendig und zielführend? Die Absprache mit den | |
| Interviewpartner*innen kann ja auch ein wichtiges Instrument sein, um | |
| Qualität und Glaubwürdigkeit von Berichterstattung zu gewährleisten. „Ein | |
| Interview, das nicht autorisiert werden muss, ist nicht zwangsläufig | |
| besser“, sagt Stern-Journalist und Ex-tazler Veit Medick im Interview mit | |
| dem Medienmagazin Übermedien. Medick zieht dafür den Vergleich zu | |
| Live-Interviews im Fernsehen, die nichtssagend sein können, eben weil die | |
| Personen professionell geschult wurden, ja nichts zu sagen, was sie nicht | |
| auch veröffentlicht sehen wollen. | |
| Manchmal ist die Interviewpartner*in nicht präzise genug oder es gibt | |
| Missverständnisse, die im Gespräch nicht auffallen. Die Autorisierung | |
| verhindert dann, dass Interviews durch den journalistischen | |
| Bearbeitungsprozess verfälscht werden. Sie stellt sicher, dass die | |
| Aussagen der Gesprächspartner*innen im richtigen Kontext wiedergegeben | |
| werden. Dies ist besonders wichtig, wenn es um komplexe Themen geht, bei | |
| denen eine falsche Interpretation des Gesagten schwerwiegende Folgen haben | |
| kann. Gerade in einer Zeit, in der falsche Zitate oder aus dem Kontext | |
| gerissene Aussagen schnell viral gehen können, bietet die Autorisierung | |
| eine Art zusätzliche Sicherheitsstufe. | |
| Denn mit dem Journalismusbegriff ist es ja so: Alle können sich | |
| Journalist*in nennen – auch Privatpersonen auf Instagram und Tiktok, die | |
| Aussagen von anderen ungefiltert veröffentlichen. Vielleicht ist es dann | |
| gerade die Aufgabe von Journalist*innen, in einen solchen Prozess der | |
| Verdeutlichung und des Faktenchecks zu gehen. | |
| Dabei kommt es natürlich auch darauf an, wen man vor sich hat. Bei | |
| Fachinterviews bietet sich die Autorisierung an, weil man als Journalistin | |
| die Zusammenhänge im Gespräch manchmal nicht richtig erfassen konnte. Vor | |
| allem Politiker*innen nutzen aber den Autorisierungsprozess, um | |
| unangenehme Aussagen zu ändern oder zu entfernen. Hier nehmen einige eine | |
| zunehmende Bequemlichkeit von Politiker*innen wahr, nach dem Motto: | |
| Ist ja egal, was ich erzähle, später kann ich das sowieso noch einmal | |
| ändern. Doch solche Fälle sind die Ausnahme und nicht die Regel. Die | |
| meisten Änderungen betreffen sprachliche Feinheiten oder Klarstellungen, | |
| die dem Verständnis der Leser*innen dienen. | |
| Wer sich nicht professionell mit Medien beschäftigt, weiß oft gar nicht, | |
| welchen Bearbeitungsprozess Texte durchlaufen, die in der Zeitung landen. | |
| Um die Glaubwürdigkeit und Transparenz weiter zu erhöhen, sollte die Praxis | |
| der Autorisierung durch zusätzliche Maßnahmen ergänzt werden. Medienhäuser | |
| müssten offener über die journalistischen Arbeitsbedingungen und den | |
| Prozess der Autorisierung informieren. Manchmal gilt es dann auch zu | |
| entscheiden, ob statt eines Interviews nicht besser eine andere Form | |
| angemessen ist, ein „Fließtext“, in den dann auch Anmerkungen und | |
| Beobachtungen des Journalisten einfließen können. | |
| Bei der angekündigten Praxis der Bild-Zeitung bleiben also Fragen offen: | |
| Wie geht man mit Politiker*innen um, die ohne Autorisierung überhaupt | |
| nicht mehr Stellung beziehen wollen? Wie streng wird die | |
| Nichtautorisierungspraxis tatsächlich gehandhabt? Wird bei Leuten, die man | |
| mag oder denen man politisch nahesteht, vielleicht doch noch mal klärend | |
| oder abschwächend nachgehakt? | |
| Die Abschaffung der Autorisierung mag auf den ersten Blick wie ein Schritt | |
| in Richtung größerer Transparenz wirken. Doch die Praxis bietet wichtige | |
| Vorteile, die zu einer präziseren und verantwortungsvolleren | |
| Berichterstattung beitragen. Und nur die kann das Vertrauen der | |
| Leser*innen in die jeweilige Publikation nachhaltig stärken und eine | |
| fundierte öffentliche Debatte gewährleisten. | |
| 11 Jun 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ann-Kathrin Leclere | |
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