# taz.de -- Autorisierungen von Interviews: Es gelte das gesprochene Wort | |
> Beim Freigeben von Interviews stehen Gesprächspartner oft nicht mehr zu | |
> ihrem Wort. Es wäre gut für die Öffentlichkeit, wenn das ein Ende hätte. | |
Bild: Nach einem Interview nehmen Gesprächspartner ihre Aussagen oft zurück | |
Das Medienmagazin journalist hat in seiner Oktoberausgabe ein Interview mit | |
32 Fragen mit geschwärzten Antworten veröffentlicht. Die | |
Wirtschaftsjournalistin Catalina Schröder hatte Medienunternehmer [1][Gabor | |
Steingart, der den täglichen Newsletter „Das Morning Briefing“] schreibt, | |
zum Interview getroffen. Danach wurden Fotos gemacht. „Zu dieser Zeit war | |
noch alles in Ordnung“, heißt es in der Bildunterschrift. „Der Stress | |
begann erst danach – bei der Autorisierung des Interviews.“ | |
Nach Angaben von journalist versuchte [2][Ex-Handelsblatt-Chef Steingart] | |
seine Antworten massiv umzuschreiben und auch in die Fragen einzugreifen. | |
Am Ende ließ Steingart über eine Medienrechtskanzlei mitteilen, dass er das | |
Interview nicht veröffentlicht wissen wolle. | |
Probleme mit der Autorisierung von Interviews gehören zum Alltag fast aller | |
deutschen Redaktionen. Kolleg*innen berichten immer wieder, dass getätigte | |
Aussagen aus Interviews im Nachhinein nicht nur auf Fakten überprüft, | |
sondern glattgebügelt, entschärft oder trivialisiert wurden. Oder dass | |
ganze Fragenkomplexe gestrichen werden sollten. Insbesondere dann, wenn | |
kritische Fragen gestellt wurden. | |
Dabei ist die Autorisierung, also die Zustimmung der Veröffentlichung, bloß | |
dazu gedacht, um sicherzustellen, dass Journalist*innen Gesagtes | |
wahrheitsgemäß wiedergeben haben. | |
## Gesagt ist gesagt | |
Meistens kriegen Leser*innen solche Streitereien hinter den Kulissen nicht | |
mit. Erst im August veröffentlichte die Rheinische Post ein Interview mit | |
dem ehemaligen Präsidenten des Verfassungsschutzes Hans-Georg Maaßen, der | |
im Autorisierungsprozess Teile des Interviews nicht freigeben wollte. Doch | |
die Zeitung machte die Streichungen von Maaßen an den entsprechenden | |
Stellen durch Einschübe transparent. | |
Es scheint so, als hätten sich viele begehrte Gesprächspartner*innen in | |
der Autorisierungspraxis etwas zu bequem eingerichtet. In einem kritischen | |
Interview treffen zwei Parteien aufeinander, die gegensätzliche Interessen | |
haben: Medienschaffende wollen aufklären, konfrontieren, Widersprüche | |
aufdecken; Interviewte wollen kostenlose Werbung. Das ist nicht | |
verwerflich. | |
Doch oftmals wollen Gesprächspartner*innen nicht aus kosmetischen Gründen | |
autorisieren, sondern aus politischen. Sie stehen nicht zu ihrem Wort. Mal | |
vergaloppiert ein Interviewter sich, mal will er mit den Journalist*innen | |
rumkumpeln. Doch in einem Interview spricht man nicht nur mit dem | |
Gegenüber, sondern mit der gesamten Öffentlichkeit. Gesagt ist gesagt. | |
Es wäre gut für den Journalismus, die Öffentlichkeit und die demokratische | |
Debatte, wenn Autorisierungen so weit wie möglich zurückgedrängt würden. | |
Interviews würden authentischer, Berichterstattung würde spannender und | |
vielseitiger, Politik aufregender und weniger geschliffen. | |
## In Podcasts wird nicht autorisiert | |
Was wäre es nur für eine Lesefreude, wenn statt langweiligen, immer | |
gleichen Politstanzen und Worthülsen aus der Feder von Pressesprecher*innen | |
künftig öfter das im besten Sinne ungehobelte Wort in Zeitungen stünde? Das | |
kann man im angloamerikanischen Raum sehen, wo Autorisierung nicht ganz zu | |
Unrecht als eine Form von Zensur verpönt ist. | |
Dabei muss man nicht einmal auf die andere Seite des Atlantiks schauen, um | |
zu sehen, wie Interviews ohne Autorisierung aussehen. In Podcasts wie dem | |
von Gabor Steingart kann ein Interviewter hinterher ebenso wenig seine | |
Aussagen im Nachhinein aufhübschen wie in Radio- oder in Fernsehinterviews. | |
Viel beachtet wurde zuletzt etwa ein ungeschnittenes [3][ZDF-Interview mit | |
Björn Höcke, das dieser abbrach]. | |
Redaktionen sollten, wenn sie es mit kritischem Journalismus ernst meinen, | |
Autorisierungen nicht von sich aus anbieten und dagegen argumentieren, wo | |
immer es geht. Der Pressekodex stellt klar: „Ein Wortlautinterview ist auf | |
jeden Fall journalistisch korrekt, wenn es das Gesagte richtig wiedergibt.“ | |
Autorisierungen werden explizit nicht verlangt. Jede Autorisierung weniger | |
macht den Journalismus besser. Also – nach Zustimmung – Diktiergerät | |
anwerfen und los: Es gelte das gesprochene Wort. | |
7 Oct 2019 | |
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## AUTOREN | |
Alexander Nabert | |
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