# taz.de -- Offener Brief an Thomas Fischer: Er packt noch eins drauf | |
> Das Interview mit dem Richter Thomas Fischer über sein Frauenbild läuft | |
> gut. Danach fangen die Probleme an. Nun also: ein Brief. | |
Bild: Richter Thomas Fischer teilt in seiner Kolumne „Fischer im Recht“ geg… | |
## Lieber Thomas Fischer, | |
Sie kennen doch sicher das niederdeutsche Volkslied von den beiden | |
Königskindern, die „beisammen nicht kommen“ konnten und am Ende beide tot | |
sind? | |
Dieses Lied habe ich zurzeit im Ohr, wenn ich an Sie denke. Nicht, weil | |
darin ausgerechnet ein Fischer den ertrunkenen Königssohn aus dem Wasser | |
holen soll. Sondern weil auch wir beide, die wir zwar keine Königskinder | |
sind, einfach nicht „beisammen kommen“. | |
Dabei hatte es so schön angefangen mit uns. | |
Mit einer E-Mail, die ich Ihnen Anfang Januar schrieb. Ich wollte Sie | |
treffen, um mit Ihnen über Frauen zu reden. Sie sind zwar Richter am | |
Bundesgerichtshof, schreiben privat aber gern und viel über Frauen, in | |
Ihrer Kolumne „Fischer im Recht“ auf Zeit Online. Sie schreiben auch gern | |
und viel über Männer. Mal ist das überraschend und amüsant, mal | |
stinklangweilig. Wie das so ist bei Kolumnen. Eines aber ist auffällig: | |
Über Frauen äußern Sie sich anders als über Männer. | |
## Frauen müssen fett einstecken | |
Sie scheinen Frauen nicht besonders zu mögen. Zumindest kommen die bei | |
Ihnen nicht so richtig gut weg. Zum Beispiel Gina-Lisa Lohfink. Das Model | |
verdient bei Ihnen Geld mit dem „Vorzeigen von dicken Silikonbrüsten“. | |
Einer Journalistin, die über den „Lohfink-Prozess“ berichtet hatte, haben | |
Sie [1][„simpelste Einsichten des Verstandes“] abgesprochen und orakelt, | |
das müsse „irgendwie aus den Hormonen“ kommen. | |
Es gibt auch einige Männer, die Sie, so scheint es mir, nicht wirklich | |
leiden können. Aber die behandeln Sie anders. Den Strafverteidiger und | |
Schriftsteller Ferdinand von Schirach bezeichneten Sie als „Tausendsassa | |
aus Berlin“. Und Kai Diekmann, Ex-Chefredakteur der Bild, ironisierten Sie | |
zum „Monolith des Qualitätsjournalismus“ und „Märtyrer der Anständigke… | |
Merken Sie was, Herr Fischer? | |
Diekmann und von Schirach sind Männer, die kriegen nicht so viel ab. Frauen | |
hingegen müssen bei Ihnen fett einstecken. | |
Wer ist dieser Mann, der solch sexistisches und frauenverachtendes Zeug | |
schreibt, fragte ich mich irgendwann. Wem will er damit eine Freude machen? | |
Was mag wohl in seiner Biografie passiert sein, dass er sich derart in | |
Wallung schreiben muss? | |
## Netter Ton, locker, easy | |
Klar, das erfahre ich nur, wenn ich Sie treffe – und schrieb Ihnen also | |
diese E-Mail. Ich hatte, um ehrlich zu sein, nicht damit gerechnet, dass | |
Sie antworten. Doch Sie fanden die Idee, mit mir über Frauen und | |
Frauenbilder zu reden, offenbar so gut, dass Sie schon vier Stunden später | |
auf meine Anfrage reagierten. Das klinge doch nicht schlecht, schrieben | |
Sie, das interessiere Sie. | |
Geht doch, dachte ich. Netter Ton, locker, easy. So biestig und gespreizt, | |
wie andere Menschen – LeserInnen, JournalistInnen und manche Ihrer | |
KollegInnen – Sie häufig beschreiben, können Sie gar nicht sein. | |
Ich las noch einmal alle Ihre Kolumnen, jede Zeile. Ich markierte Sätze, | |
malte Fragezeichen dahinter, ich legte eine Mappe an: „Thomas Fischer | |
Interview Frauen“. Ich nahm Sie mit ins Bett, im Liegen liest es sich | |
entspannter. Sie waren eine Herausforderung: über 100 Texte, keiner unter | |
10.000 Zeichen. | |
Wir telefonierten. Ihre Stimme: angenehm weich. Die Terminsuche: | |
geschmeidig wie bei sonst keinem Interview. In unserer weiteren | |
Korrespondenz wechselten Sie vom förmlichen „Sehr geehrte Frau Schmollack“ | |
in den persönlichen Modus: „Liebe Frau Schmollack“. | |
## Feminismus, Sexismus, Altherrenwitze | |
So ging das weiter. Als ich Mitte Januar zu Ihnen kam, in Ihr Haus in einer | |
Sackgasse in einem Villenviertel in Baden-Baden, achteten Sie darauf, dass | |
ich auf den eisglatten Stufen nicht ausrutschte. Das fand ich sehr nobel | |
von Ihnen. | |
Und dann saßen wir in Ihrem Arbeitszimmer. Der Computer, an dem Sie, wie | |
Sie sagten, jeden Sonntag Ihre Kolumne schreiben, steht mitten im Raum, als | |
wäre das ein Statement: Hier dreht sich alles um Sie. | |
Die Bezeichnung Arbeitszimmer ist nicht ganz korrekt, Sie nennen Ihr | |
Refugium „Bürohaus“. Sie besitzen nämlich nicht einfach nur ein Haus, | |
sondern ein ganzes Ensemble: diesen grauen Bürobau mit bodentiefen Fenstern | |
und ein dazu passendes Wohnhaus. Beides schicke Teile, 1961 gebaut vom | |
berühmten Nachkriegsarchitekten Egon Eiermann. Das haben Sie sich, so | |
munkelt man, ein wenig ergaunert, indem Sie die letzte Rate nicht bezahlen | |
wollten. Aber das ist eine andere Geschichte. | |
Darüber haben wir auch gar nicht geredet. Sondern über Frauen und Männer, | |
Feminismus, Sexismus, Altherrenwitze, die ganze Palette eben. Wir haben | |
auch gelacht miteinander, erinnern Sie sich, Herr Fischer? Manchmal | |
schweiften Sie ab zu Rechtsthemen, dann leitete ich Sie sanft zurück: „Herr | |
Fischer, das ist nicht unser Thema.“ | |
## Ein cooler Hund, dieser Fischer | |
Ich habe unser Gespräch in schöner Erinnerung. Sie waren offen und | |
ungeniert, die Antworten purzelten nur so aus Ihrem Mund. Jede meiner | |
Fragen haben Sie beantwortet. Okay, Sie haben versucht, mir Ihre | |
sexistischen und frauenfeindlichen Äußerungen als „Stilsprünge“ zu | |
verkaufen, als „Assoziationen“, die auf den ersten Blick als „krass“ | |
erscheinen mögen. | |
Aber sonst? Sie blieben ganz bei sich, wie PsychotherapeutInnen sagen | |
würden. Beate Zschäpe zum Beispiel, die Angeklagte im NSU-Prozess – die | |
man, nebenbei bemerkt, keinesfalls mögen muss –, hatte in einem Ihrer Texte | |
nur „ein teigiges Gesicht“. In unserem Gespräch wurde sie zu einer | |
„pickligen Tante, die nicht reden will“. | |
Oder die Publizistin Carolin Emcke. Die haben Sie in einem Text wegen ihres | |
Lesbischseins angegriffen und ihr außerdem vorgeworfen, „penetrante | |
Opfersolidarität“ zu betreiben. In unserem Gespräch fielen Wörter wie | |
„peinlich“, Sie mochten Emckes „Tremolo“ nicht, „diese Rührung über… | |
selbst“. So ging das weiter. Zweieinhalb Stunden lang. | |
Mann, dachte ich, ein cooler Hund, dieser Fischer. Steht zu seinen | |
hammerharten Aussagen und packt noch eins drauf. | |
## Dann wurde es einigermaßen absurd | |
Zurück in Berlin tippte ich das Band ab, schnurrte unsere zweieinhalb | |
Stunden auf eine taz-Doppelseite zusammen und schickte es Ihnen zur | |
Autorisierung – so wie Sie das wünschten und wie das leider üblich ist | |
hierzulande. Das war der Beginn einer langen Mail-Freundschaft. | |
Sie fanden das Interview tendenziös. Ich war ein wenig irritiert: | |
Tendenziös? Tss, tss, Herr Fischer, das sind Ihre eigenen Worte. | |
Außerdem schrieben Sie 10.000 Zeichen zusätzlich hinein, das sind mehrere | |
Manuskriptseiten. Was soll ich sagen? Das Interview soll in der kleinen taz | |
erscheinen, nicht auf Ihrem Blog, Herr Fischer. Ich bot an, zu kürzen. Das | |
machten Sie dann rasch selbst. Hätten Sie eigentlich selbst drauf kommen | |
können, dass das nicht geht, oder? Stellen Sie sich vor, ich bearbeitete | |
einen Ihrer Strafrechtskommentare. | |
Ich kürzte also, wie ich es für richtig hielt. Das gefiel Ihnen wieder | |
nicht – Sie schickten eine weitere Fassung. Jetzt wurde es einigermaßen | |
absurd. Was Sie da anboten, war ein Interview, das gar nicht stattgefunden | |
hatte. Eher eine „Fischer im Recht“-Kolumne. Mag sein, dass Sie das so in | |
Erinnerung haben – auf dem Band ist es nicht. | |
Dass Sie sich zugutehielten, meine Fragen nicht verändert zu haben, erkenne | |
ich als Großmut an. Egal, dass Sie zum „Sehr geehrte …“ zurückkehrten. | |
Geschenkt, dass Sie mit Ihrer Frage, was ich mit dem Interview bezwecke, | |
komplett Ihren Intellekt beleidigen. Aber dass Sie mir in Ihrer Version des | |
Gesprächs Dinge unterstellen, obwohl Sie mich durch unsere gemeinsame Zeit | |
doch besser kennen müssten – das nehme ich Ihnen wirklich übel. | |
Lieber Herr Fischer, es tut mir echt leid, ich kann das Interview nicht | |
veröffentlichen. | |
Das ist ausgesprochen schade. Für Sie. Jetzt, da Sie vorzeitig pensioniert | |
werden wollen, hätten Sie jenen KollegInnen, mit denen Sie, wie man liest, | |
heftig über Kreuz liegen, doch die taz unter die Nase halten und singen | |
können: „Ich will so bleiben, wie ich bin …“ | |
## Genießen Sie den Frühling! | |
## Herzliche Grüße,Simone Schmollack | |
20 Mar 2017 | |
## LINKS | |
[1] http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2016-06/rechtspolitik-sexuals… | |
## AUTOREN | |
Simone Schmollack | |
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Gina-Lisa Lohfink | |
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