# taz.de -- Thomas Fischer hört als Bundesrichter auf: Recht rücksichtslos | |
> Thomas Fischer geht in Pension. Als berserkerhafter Kolumnist ist er so | |
> bekannt wie als Top-Jurist. Auch die Gerichte waren schon mit ihm | |
> befasst. | |
Bild: Umstritten: BGH-Richter Thomas Fischer | |
KARLSRUHE taz | Manchmal braucht es nicht allzu viel, um im Karlsruher | |
Rechtsbiotop unter den Einser-Juristen mit ähnlichen Lebensläufen als | |
bunter Vogel zu gelten. Doch Thomas Fischer, der Vorsitzende des 2. | |
Strafsenats am Bundesgerichtshof hat sich diesen Ruf redlich verdient. Als | |
Schulabbrecher, ehemaliger Kommunenbewohner, gescheiterter Rockmusiker und | |
erfolgreicher Kriegsdienstverweigerer hat er für Richter eine wirklich | |
ungewöhnliche Biografie vor zu weisen. | |
Außerdem sorgt Fischer auch noch selbst dafür, dass er aus dem grauen | |
Richter-Kollektiv heraussticht. Zuerst – branchenüblich – als Autor und | |
Herausgeber des in Deutschland maßgeblichen Strafrechtskommentars. Dann | |
seit zwei Jahren – für einen Bundesrichter eher unüblich – als | |
Erfolgskolumnist bei Zeit Online. Als Richter tritt Thomas Fischer diese | |
Woche seinen letzten Arbeitstag an. Als Kolumnist bleibt er der | |
Öffentlichkeit wohl erhalten. | |
Unter dem Titel „Fischer im Recht“ vertritt er meist liberale Positionen, | |
zieht gegen Gesetzesverschärfungen zu Felde und warnt davor, alle | |
gesellschaftlichen Probleme mit dem Strafrecht lösen zu wollen. Aber die | |
tausende Leser erreicht er wohl vor allem deshalb, weil hier einer der | |
höchsten Richter des Landes ganz ohne richterliche Mäßigung mit Begriffen | |
wie „Wichsvorlage“, „Pimmel“, und „Nach-vorne-Ficken“ um sich schme… | |
sich über das „teigige“ Äußerliche von Beate Zschäpe auslässt. | |
## Abwatschen der Welt | |
Er pflegt eine Art juristischen Gonzo-Journalismus, der auch vor | |
irritierend frauenverachtenden Passagen nicht zurück schreckt. Etwa wenn er | |
Beteiligten in einem Prozesses vorwirft, dass sie „ihre „Vagina mit dem | |
Geldbeutel gleichsetzen“. Dass sich ein Bundesrichter traut, so hemmungslos | |
Gott und die Welt abzuwatschen, sichert ihm allein schon die Bewunderung | |
seiner Leser. Und den Neid so manches Journalisten. Wer schon | |
hauptberuflich die letzte Instanz ist, dem billigen Leser gern auch in | |
anderen Fragen Unfehlbarkeit zu. | |
Juristen raufen sich bei Fischers wöchentlichen Ergüssen oft die Haare. Die | |
Präsidentin des Bundesgerichtshofs Bettina Limperg seufzt tief, wenn man | |
sie auf den Publizisten Fischer anspricht. Der segelt hart an der Grenze | |
des richterlichen Mäßigungsgebots. Und es ist auch nicht so ganz klar, ob | |
es bisher bloß Glück war, dass er mit seinen oft vorschnellen Urteilen über | |
laufende Verfahren keinen Anlass für einen Befangenheitsantrag in seinem | |
Senat geliefert hat. | |
Fischer hält nicht viel von Mäßigung. Dem Spiegel sagt er: Man müsse doch | |
über Recht und Gerechtigkeit nur reden, wenn man die Entstehungsbedingungen | |
und die Wirklichkeit berücksichtige. „Wenn man an Kant denkt, muss man es | |
auch für möglich halten, dass er Schweißfüße hatte“, findet Fischer. | |
## Kaputte Fußbodenheizung | |
Nimmt man ihn da beim Wort, kann man über den Top-Juristen und | |
Alpha-Blogger kaum reden, ohne zwei Geschichten zu erzählen, nach denen man | |
es für möglich hält, dass Thomas Fischer in eigener Sache ein ziemlich | |
hemmungsloser Streithansel ist. | |
Die eine ist schon legendär und handelt davon, wie Fischer jahrelang | |
klagte, um endlich zum Vorsitzenden Richter ernannt werden. Das Verfahren | |
um angeblich unangemessene Beurteilungen durch den Gerichtspräsidenten | |
beschäftigte Gerichte und das Bundesjustizministerium über zweieinhalb | |
Jahre. Der Streit drohte das höchstes Gericht teilweise lahmzulegen. Am | |
Ende bekam Fischer seinen Posten und der Bundesgerichtshof unter seiner | |
neuen Präsidentin Bettina Limperg seine Ruhe. | |
Die zweite Geschichte erzählen sich Karlsruher Juristen hinter | |
vorgehaltener Hand, sie ist aber mit Gerichtsakten belegt. Als Thomas | |
Fischer im Jahr 2000 an den BGH berufen wurde und sich in Karlsruhe und | |
Umgebung nach einer Bleibe für sich und seine Familie umsah, wurde ihm die | |
frühere Villa des bedeutenden Architekten Egon Eiermann in Baden-Baden zum | |
Preis von damals 2 Millionen D-Mark angeboten. Fischer war nach eingehenden | |
Besichtigungen von dem Denkmal moderner Architektur sehr angetan und griff | |
zu. Rund eine Million D-Mark bezahlte er sofort, der Rest sollte später | |
folgen. | |
Erst zwei Jahre später will Fischer die Villa dann plötzlich zurück geben. | |
Der Grund: die Fußbodenheizung im Nebenhaus, das er als Büro nutzte, sei | |
defekt. Schon vor seinem Einzug ersatzweise angebrachte Radiatoren | |
vermochten es nicht, die kalte Füße des Bundesrichters zu wärmen. Fischer | |
fühlt sich wegen der irreparablen Fußbodenheizung getäuscht, zieht gegen | |
den Verkäufer vor Gericht und trifft auf verständnisvolle Richterkollegen. | |
„Gerade bei einer sitzenden Tätigkeit geschieht es besonders leicht, dass | |
man friert“, schreibt das Landgericht Baden-Baden ungewöhnlich einfühlsam | |
im Urteil. Fischer bekommt recht, der unterlegene Verkäufer wird wegen | |
arglistiger Täuschung bei der defekten Heizung zur Rückabwicklung des | |
gesamten Kaufs und Schadensersatz verurteilt. | |
## Zermürbte Prozessgegner | |
Das Urteil hält auch in der zweiten Instanz. Beide Parteien einigen sich | |
halbwegs einvernehmlich auf eine Abwicklung, so scheint es. Fischer gibt | |
dem ursprünglichen Besitzer neun Monate Zeit, einen neuen Käufer zu suchen, | |
damit er das Geld hat, Fischer zu entschädigen. Dafür zieht die Gegenseite | |
einen Revisionsantrag beim Bundesgerichtshof, Fischers eigenem Haus, | |
zurück. | |
Doch dann gibt es wieder Schwierigkeiten: Mit Besichtigungsterminen der | |
Kaufinteressenten, die Fischer Tage vorher angekündigt haben möchte und | |
dann doch kurzfristig verlegt. Zermürbt vom jahrelangen Rechtsstreit und | |
Gezergel um die Besichtigung, bietet schließlich der Verkäufer an, dass | |
Fischer das Haus für die bereits bezahlte Million behalten kann. | |
Und so wohnt der Bundesrichter bis heute in der fußkalten Eiermann-Villa, | |
die er in einem Brief an den Verkäufer kurz vorher noch als „Beton-Museum“ | |
und „Fass ohne Boden“ bezeichnet hatte. Angesichts des mehr als halbierten | |
Millionen-Kaufpreises offenbar ein erträgliches Schicksal. | |
Fischer der Bulldozer, so haben ihn auch Richter-Kollegen erlebt. Bei | |
kritischen öffentlichen Würdigungen reagiert er allerdings dünnhäutig und | |
tritt auch mal nach. So erging es Sandra Maischberger, dem Spiegel wie auch | |
der taz. Aber wer sollte auch dazu berufen sein, Thomas Fischer zu | |
beurteilen? Außer Thomas Fischer. | |
28 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Benno Stieber | |
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