Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Journalistische Arbeit in Thüringen: „Die AfD war quasi mein Tü…
> In Paska haben bei der Kommunalwahl mehr als 60 Prozent die AfD gewählt –
> schon wieder. MDR-Reporter Andreas Kehrer erzählt von Recherchen im Dorf.
Bild: Hängt fast jährlich in Paska rum: Michael Kaufmann (AfD), hier auf eine…
wochentaz: Herr Kehrer, bei der Kommunalwahl haben in Paska im
thüringischen Saale-Orla-Kreis rund 60 Prozent AfD gewählt. Auch bei
früheren Wahlen waren es mehr als irgendwo sonst in Deutschland. Sie waren
schon oft dort. Wie hat es Ihnen in Paska gefallen?
Andreas Kehrer: Paska ist ein schönes Dorf. Die meisten Häuser sind in
gutem Zustand, auf dem Anger in der Dorfmitte liegt ein großer
Kinderspielplatz. Hier spielen kleine Kinder ohne Aufsicht ihrer Eltern.
Ein Bewohner erzählte mir, dass er nie seine Haustür abschließe, weil im
Dorf alle aufeinander aufpassen würden und es eine lebendige Gemeinschaft
gebe. Der Feuerwehrverein veranstaltet jährlich einen Weihnachtsmarkt und
das Maifeuer, der Fleischer kommt einmal die Woche. Insgesamt geht es Paska
gut. Das haben mir die Menschen auch sehr häufig gesagt.
Die „Ostthüringer Zeitung“, die „Zeit“, die „FAZ“: Viele Medien ha…
der AfD-Ergebnisse über Paska berichtet. Wie kam das vor Ort an?
Überhaupt nicht gut. [1][Nach der Landtagswahl 2019] sind viele Medien nach
Paska gekommen, um über die „AfD-Hochburg“ zu schreiben. Auch MDR-Kollegen
fuhren nach Paska. Ihnen wurde vorgeworfen, dass wir uns nur fürs Dorf
interessieren würden, weil die AfD gewählt wurde. Das wollten wir so nicht
stehen lassen. Das war der Grund, [2][warum ich 2020] und [3][2023 zwei
Reportagen] über Paska geschrieben habe. Ich wollte über die Stimmung, die
Nöte und Sorgen berichten und habe mir mehrere Wochen für die Recherche
genommen. Das war notwendig, weil die Dorfgemeinschaft verschlossen war.
Ich denke, der Mediensturm, der 2019 über das Dorf hereinbrach, hat das
Medienvertrauen im Dorf erschüttert.
Können Sie das nachvollziehen?
Ja, zu großen Teilen. Viele Medien titelten: „AfD-Hochburg Paska“. Aber
diese Einschätzung halte ich für nicht gerechtfertigt. Zwar wählen die
Paskaer seit 2019 zuverlässig zu einem sehr hohen Anteil AfD. Doch
„Hochburg“, das klingt nach festen AfD-Strukturen. Die gibt es nicht. Paska
ist viel zu klein, um für irgendwas eine Hochburg zu sein. 2020 gab es etwa
100 Einwohner, 2023 waren es noch 90.
Seit Jahren gibt es deutschlandweit immer wieder Übergriffe auf
Journalist:innen. Wurden Sie in Paska angegangen?
Nein, gar nicht. Ich wurde nicht bepöbelt oder dergleichen.
Gar nicht?
In Thüringen kann dir das als Journalist zwar passieren, aber so war es
nicht in Paska. Die Leute haben hier zwar kritisch über den MDR gesprochen.
Aber ich habe mich immer sicher gefühlt.
Sie haben gesagt, die Dorfgemeinschaft war verschlossen. Konnten Sie
trotzdem mit ihr reden?
Das hat geklappt, war aber nicht einfach. Ich habe bestimmt mit 30 bis 40
Menschen während meiner beiden Recherchen über Paska geredet. Vorgespräche
waren kein Problem. Wenn’s ums Zitieren ging, machten sie die Schotten
dicht. Am Ende sind nur drei wirklich handfeste Interviews rausgekommen.
Eine so schlechte Quote habe ich bei anderen Recherchen nicht.
Normalerweise ist etwa jeder Zweite zu einem Interview bereit. Insgesamt
genießt der MDR in Thüringen nämlich ein recht großes Vertrauen.
Woran hat es gelegen?
Manche Gesprächspartner haben erst zu- und dann abgesagt. Meiner Meinung
nach hatten sie Angst vor Konsequenzen. Ich habe schon einen Spalt in der
Dorfgemeinschaft wahrgenommen, zwischen denen, die der AfD zugeneigt sind,
und denen, die andere politische Ansichten habe. Die würden im Dorf
teilweise ausgeschlossen und hätten mit Repressalien zu kämpfen – das wurde
mir mehrfach bestätigt. Die Pfarrerin Ute Thalmann sagte, dass die Leute
verschlossen seien, weil sie ihr ganzes Leben im Dorf verbracht haben. Die
haben hier Haus und Hof und können oder wollen nicht weg. Also spricht man
nicht schlecht übers Dorf, selbst wenn man dazu Grund hätte.
Konnten Sie trotzdem herausfinden, weshalb die AfD-Ergebnisse in Paska
vergleichsweise so hoch sind?
Ich will mir nicht anmaßen, für das Dorf zu sprechen. Aus meinen Recherchen
kann ich Vermutungen ableiten: Es scheint eine rechtskonservative Tradition
im Dorf zu geben: Seit 1990 waren hier konservative, rechte und auch
rechtsextreme Parteien bei Landtagswahlen immer erfolgreich. Die CDU bekam
regelmäßig einen Großteil der Stimmen. Unter Merkel scheint das Vertrauen
in die CDU im Dorf gelitten zu haben, worin man einen Grund für den
Stimmenzuwachs der AfD sehen könnte. Ein weiterer Grund ist, dass sich die
anderen Parteien mit Versprechungen rund um die Linkenmühlenbrücke (Anm. d.
Red: ein Neubau über einen Stausee) unglaubwürdig gemacht haben. Eine
dritte Vermutung: Im Saale-Orla-Kreis sind die Löhne vergleichsweise
niedrig. Das führt zu Frustration. Es scheint sich hier das Narrativ
festgesetzt zu haben, dass alle andern profitieren würden: Seien es
Politiker, die Leute in der Stadt oder die Geflüchteten im Asylheim – nur
nicht die Leute auf dem Land.
Und was macht die AfD da anders?
Nach dem Wahlergebnis und der Berichterstattung im Dorf hat der
Landesvorstand der AfD in Paska zum großen Kloß-Essen eingeladen – also
Thüringer Klöße. Da [4][war auch Björn Höcke]. Eingeladen waren aber nur
ausgewählte Einwohner. Leute, die politisch andere Meinungen vertraten,
wurden nicht eingeladen. Laut AfD war das als kleiner Dank für die
Unterstützung gedacht. Aber dadurch, dass sie nicht alle eingeladen hat,
hat sie die Dorfgemeinschaft gespalten. Seither ist die AfD immer wieder
ins Dorf gefahren. Während der Pandemie gab es einen Auftritt von Höcke.
Der AfD-Direktkandidat des Wahlkreises für den Bundestag, Michael Kaufmann,
ist so einmal im Jahr da. Das reicht offenbar, um den Eindruck zu
hinterlassen, man kümmere sich. Ich habe auch andere Parteien zu Paska
befragt: Sie kommen höchstens im Wahlkampf her, um Plakate aufzuhängen.
In den Reportagen haben Sie auch AfD-Politiker, etwa Michael Kaufmann oder
[5][den damaligen Landratskandidaten Uwe Thrum], zitiert. Haben Sie denen
damit eine Plattform für Falschaussagen gegeben?
Im August 2023 habe ich Michael Kaufmann angeschrieben, um mit ihm über
Paska zu reden. Ein paar Tage später lud er mich direkt nach Paska ein, er
wäre mit seiner Sommertour da. Später sagte er mir, dass Paska für die Tour
gar nicht vorgesehen war und er den Wahlkampfstand dahin verlegt habe, weil
ich mich für den Ort interessierte. Über meine Erlebnisse am Wahlkampfstand
der AfD habe ich dann in meiner Reportage geschrieben. Die AfD war quasi
mein Türöffner, um überhaupt mit den Leuten ins Gespräch zu kommen. Ich
habe in der Reportage auch ein Gespräch zwischen einem Herrn aus Paska und
Uwe Thrum wiedergegeben. Thrum hat dabei mehrfach falsche Zahlen genannt,
mit denen er Probleme im Landkreis beschreiben wollte. Im Artikel habe ich
seine Falschaussagen kenntlich gemacht und richtiggestellt.
9 Jun 2024
## LINKS
[1] /Landtagswahl-in-Thueringen/!5614000
[2] https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/ost-thueringen/enttaeschtes-land-…
[3] https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/ost-thueringen/saale-orla/afd-wah…
[4] /Urteil-gegen-AfD-Politiker/!6009855
[5] /Landratswahl-in-Thueringen/!5982527
## AUTOREN
David Muschenich
## TAGS
Wahlen in Ostdeutschland 2024
Schwerpunkt Pressefreiheit
Lokaljournalismus
MDR
Thüringen
Social-Auswahl
Lokalzeitung
Schwerpunkt AfD
Bundesparteitag
Schwerpunkt Europawahl
Schwerpunkt AfD
Schwerpunkt AfD
## ARTIKEL ZUM THEMA
Madsack zentralisiert Lokalzeitungen: Ein Baum, der viel Schatten wirft
Die Mediengruppe Madsack legt immer mehr Redaktionen zusammen, auch im
Lokalen. Das ist alarmierend, weil es den Rechten in die Hände spielt.
Verharmlosung von Rechtsextremismus: Wann ist ein Nazi ein Nazi?
Die Mehrheit erkennt einen Nazi erst, wenn er mit Hitlerbärtchen
daherkommt. Rechtsradikale nicht beim Wort zu nehmen, ist derzeit die
größte Gefahr.
AfD-Bundesparteitag auf der Kippe: Stadt Essen kündigt der AfD
Eigentlich will die AfD Ende des Monats in Essen ihren Parteitag
durchführen. Doch die Stadt hat den Vertrag nun fristlos gekündigt.
WDR muss BSW-Politiker einladen: Wagenknecht und Wahlplakate
Während das BSW in der „Wahlarena“ zu Gast sein darf, scheinen
Werbetexter*innen zu streiken: Die Wahlplakate sprechen Bände.
Journalistischer Umgang mit AfD: „Man muss perfekt vorbereitet sein“
Das Institut für Rechtsextremismus der Uni Tübingen analysiert rechte
Ideologien. Direktor Rolf Frankenberger über die AfD und den Umgang der
Medien.
Nach den Kommunalwahlen in Thüringen: Nichts ist okay
Der eigentliche Rechtsruck vollzieht sich nicht auf Sylt, sondern bei
bürgerlichen Politikern. Doch der Durchmarsch der Faschisten ist
aufhaltbar.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.