# taz.de -- Bundesweiter Hitzeaktionstag: Ab Mittag brennt es | |
> Arbeitende im Freien leiden besonders unter den Folgen der Klimakrise. | |
> Wie stellen sich Unternehmen in Berlin auf die zunehmende Hitze ein? | |
Bild: Auch Fassadenkletterer sind der Mittagshitze schonungslos ausgeliefert | |
BERLIN taz | Marko Ardner steht auf einer Hebebühne vor dem verglasten | |
Eingangsgebäude des [1][Bundeswehrkrankenhauses in Berlin-Mitte]. Noch | |
spendet das Gebäude Schatten. Ab Mittag wird sich das ändern: „Dann brennt | |
es hier direkt her“, ruft er herunter. Der 39-Jährige streift sich die | |
Handschuhe ab, während die Arbeitsplattform gemächlich zur Erde sinkt. | |
„Hitzestress am Arbeitsplatz? Da ist man bei uns genau richtig!“, sagt er. | |
Vor einigen Wochen hat er mit einem Kollegen die Jalousien an der Westseite | |
des rund 100 Meter langen Glasquaders abmontiert und zur Wartung ins | |
ostwestfälische Herford gebracht. Heute installieren die beiden Arbeiter | |
die Anlage in neuem Glanz. | |
Seit fünf Jahren ist der gelernte Metallbauer als Sonnenschutzmonteur | |
unterwegs und kommt für Einsätze regelmäßig nach Berlin. Die Auftragslage | |
sei sehr gut, sagt Ardner. Davon würden auch die Mitarbeiter:innen | |
profitieren. Vergangenes Jahr habe er eine Inflationsausgleichsprämie | |
erhalten. „Zwischendurch lässt der Chef auch so mal was springen“, erzählt | |
er anerkennend. | |
Doch das hat seinen Preis: „Im Hochsommer hängen wir den ganzen Tag in der | |
Sonne.“ Dann fielen die meisten Arbeitsstunden an, weil der Auftragsstau | |
der nassen Monate abgearbeitet werden müsse, erläutert Ardner. Zu seinem | |
Job gehöre es eben, in der Sonne zu stehen, um andere vor ihr zu schützen, | |
resümiert er lakonisch. | |
Outdoor-Worker wie Marko Ardner sind dem Wetter quasi ausgeliefert, wobei | |
die Klimakrise ein Übriges tut: „Insbesondere die Belastung durch Hitze, | |
Schwüle und UV-Strahlen hat zugenommen“, erklärt Melanie Weiss, Leiterin | |
der Arbeitsgruppe „Klimawandel, Gesundheit und Beschäftigungsfähigkeit“ d… | |
[2][Verbands deutscher Betriebs- und Werksärzte] (VDBW). | |
## Dreimal so viel Hitzetage | |
Beschäftigte in Bereichen wie Bau-, Land- und Forstwirtschaft, beim Garten- | |
und Landschaftsbau, in der Abfall- und Reinigungswirtschaft, | |
Fahrradkuriere, Fassadenreinigung und Sonnenschutztechnik, aber auch | |
Kellner:innen, Bademeister:innen und Kita-Kräfte bekommen die | |
klimatischen Veränderungen besonders deutlich zu spüren. Rechnet man alle | |
Berufe mit Outdoor-Anteil zusammen, sind rund 15 bis 20 Prozent der | |
Erwerbstätigen teils oder überwiegend im Freien tätig. | |
Ein Blick auf die nackten Zahlen belegt, mit welcher Wucht die Klimakrise | |
die Bedingungen verändert hat, unter denen sie arbeiten. Zwischen 2011 und | |
2020 verzeichnete Berlin durchschnittlich 16 Tage pro Jahr mit Temperaturen | |
von mindestens 30 Grad Celsius. Das sind dreimal so viele Hitzetage wie im | |
Zeitraum zwischen 1951 und 1960. | |
Die tägliche Sonnenscheindauer hat in derselben Zeitspanne um | |
durchschnittlich 9 Prozent zugelegt. 2023 war das wärmste jemals gemessene | |
Jahr im Großraum Berlin. Seit Jahren geht das nun schon so: Ein | |
Temperaturrekord folgt dem nächsten. Berlin heizt sich auf. Unaufhaltsam. | |
Das bekommen auch die Straßenreiniger:innen zu spüren: Neben den | |
hohen Temperaturen und der UV-Strahlung zählt die Berliner Stadtreinigung | |
(BSR) weitere Gefahren für ihre Mitarbeiter:innen auf: etwa ein | |
erhöhtes Risiko durch verlängerte Aktivitätszeiträume von Zecken oder | |
stärkere und häufigere Unwetter. Betroffen sind demnach insgesamt 2.400 | |
Straßenreiniger:innen und 1.500 Mitarbeiter:innen der | |
Müllabfuhr. | |
Die gesundheitlichen Auswirkungen sind bisweilen gravierend. Manche zeigen | |
sich jedoch erst Jahrzehnte später. Zum Beispiel Hautkrebs: So ist die Zahl | |
der Hautkrebsbehandlungen in Krankenhäusern laut Statistischem Bundesamt in | |
den vergangenen 20 Jahren in Deutschland um 75 Prozent gestiegen. Im Jahr | |
2022 starben mehr als 4.400 der 109.000 an Hautkrebs erkrankten Menschen – | |
ein Anstieg um 65 Prozent gegenüber dem Jahr 2002. | |
## Berufskrankheit Hautkrebs | |
Den höchsten Anstieg bei Hautkrebsdiagnosen gab es bei weißem Hautkrebs, | |
der durch übermäßige UV-Strahlung mit ausgelöst wird. 84.500 Fälle wurden | |
2022 bundesweit behandelt – mehr als doppelt so viele wie noch vor 20 | |
Jahren. Weißer Hautkrebs gilt als gut behandelbar, ist aber schwer zu | |
erkennen. | |
Seit 2015 ist die Tumorart als Berufskrankheit anerkannt. Die Deutsche | |
Unfallversicherung listet für Berlin seither mehr als 2.000 | |
Verdachtsanzeigen und 1.000 bestätigte Fälle von beruflich ausgelöstem | |
weißem Hautkrebs. Dabei gilt: Wer heute erkrankt, hat jahrzehntelang Sonne | |
getankt. Und das sind, qua Berufsbeschreibung, vor allem Outdoor-Worker. | |
Daneben geht eine Reihe weiterer berufsbedingter Krankheiten überwiegend | |
auf ihr Gesundheitskonto: Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Hitzekollaps, | |
hitzeassoziierte Todesfälle, Infektionen durch Zecken und Allergien. | |
Melanie Weiss vom VDBW ergänzt: „Infektionen wie das Dengue- und das | |
Chikungunya-Fieber, die bisher nur in den Tropen und Subtropen aufgetreten | |
sind, werden mittlerweile auch in den hiesigen Breiten übertragen.“ Und | |
könnten bei weiterer Ausbreitung vor allem Garten-, Feld- und | |
Waldarbeiter:innen belasten. | |
Bei den Berliner Forsten, die rund 200 Forstwirt:innen, | |
Forstrevierleiter:innen und Auszubildende beschäftigen, machen sich | |
die Folgen der Klimakrise zusätzlich bemerkbar: „Die psychische Belastung | |
steigt durch die sicht- und spürbaren Auswirkungen der Klimakrise auf den | |
Wald“, so ein Sprecher der Senatsverwaltung für Klimaschutz und Umwelt auf | |
taz-Anfrage. | |
Wie gefährlich Arbeiten im Freien ist, hänge von vielen Faktoren ab, sagt | |
Melanie Weiss. Die Schwere der Arbeit spiele ebenso eine Rolle wie das | |
Alter, der Gesundheitszustand und die eventuell erforderliche | |
Medikamenteneinnahme. Hinzu kommen „vorhandene oder eben nicht vorhandene | |
Arbeitsschutzmaßnahmen“, betont sie. Und hier kann menschliches Handeln | |
den Unterschied ausmachen. | |
Zum Beispiel in der Vorbeugung von weißem Hautkrebs. Die | |
Berufsgenossenschaft Bau betont gegenüber der taz, dass präventive | |
Maßnahmen diesen in der Regel „sehr effektiv“ verhindern könnten. Bei der | |
BG Bau setzt man dafür auf ein Zusammenspiel von technischen, | |
organisatorischen und personenbezogenen Schutzmaßnahmen. Die Unternehmen | |
sollten beim Arbeits- und Gesundheitsschutz Maßnahmen in dieser Reihenfolge | |
priorisieren, erläutert die gesetzliche Unfallversicherung der bundesweit | |
rund drei Millionen Beschäftigten der Bauwirtschaft. | |
Bei der BSR bestehen die Schutzmaßnahmen aus der Klimatisierung von | |
Fahrzeugen und Pausenräumen auf den Recyclinghöfen sowie | |
Verschattungsmaßnahmen auf den eigenen Liegenschaften, so das Unternehmen. | |
Bei den Berliner Forsten setze man zur Vermeidung von hoher körperlicher | |
Anstrengung und Überhitzung moderne Technik und Arbeitsschutzkleidung ein, | |
so die Senatsverwaltung für Klimaschutz und Umwelt. | |
Die Straßen- und Grünflächenämter der Berliner Bezirke beschäftigen | |
ebenfalls Hunderte Mitarbeiter:innen im Freien, darunter 200 beim | |
Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf. Als Gärtner:innen und | |
Gartenarbeiter:innen pflegen sie Parks und Spielplätze und kommen | |
dabei in engen Kontakt mit der Natur und dadurch mit Pollen, Pilzsporen, | |
Insektenstichen und Brennhaaren. Aber auch mit unliebsamem Gerät wie | |
Spritzen, spitzen Gegenständen oder Exkrementen, so das Bezirksamt auf | |
taz-Anfrage. Dafür gebe es Gefährdungsbeurteilungen mit entsprechenden | |
Schutzvorkehrungen. | |
Alle drei öffentlichen Arbeitgeber verwiesen zudem auf eine Reihe | |
organisatorischer Schutzmaßnahmen. Dazu zählen veränderte Arbeitszeiten, | |
regelmäßige kurze Unterbrechungspausen im Schatten oder Ausweicharbeiten | |
bei ungeeigneter Witterung. Für den persönlichen Schutz stellen die | |
öffentlichen Arbeitgeber nach eigenen Angaben Sonnenschutzcremes, | |
Sonnenbrillen oder kühle Getränke bereit. Zudem gebe es Schulungen im | |
Umgang mit Umweltbelastungen und arbeitsmedizinische | |
Vorsorgeuntersuchungen. | |
Kritik gibt es unterdessen an der Feuerwehr. Zwar lobte die Gewerkschaft | |
der Polizei, die einen Großteil der Feuerwehrleute vertritt, das | |
Aktionsbündnis Hitzeschutz ausdrücklich. Klimaanlagen in den Fahrzeugen | |
würden allerdings nicht ausreichen. „Wir brauchen endlich flächendeckend in | |
allen Wachen so genannte Cooling-down-Räume, um die Feuerwehr | |
funktionsfähig zu halten und die Gesundheit der Kolleginnen und Kollegen | |
nicht zu gefährden“, fordert GdP-Sprecher Benjamin Jendro. | |
Ein Thema für den Personalrat? „Über die Mitbestimmungsgremien und | |
Beschäftigtenvertretungen der landeseigenen Betriebe ist sichergestellt, | |
dass die Interessen der Beschäftigten im Hinblick auf den Gesundheits- und | |
Arbeitsschutz in vollem Umfang berücksichtigt werden“, heißt es aus der | |
Senatsverwaltung für Arbeit. | |
Doch Mitbestimmung ist nicht überall Realität, im Gegenteil: Gerade einmal | |
4 Prozent der Berliner Betriebe hatten 2023 einen Betriebs- oder | |
Personalrat, teilt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung mit. | |
Dabei ist der „Arbeits- und Gesundheitsschutz“ eines der wichtigsten | |
Beteiligungsfelder der betrieblichen Mitbestimmung – und fällt mitunter | |
hintenherunter, wo es keine Beschäftigtenvertretungen gibt. | |
## Noch keine Siesta | |
Bei der Firma, in der Sonnenschutzmonteur Marko Ardner arbeitet, werde der | |
Arbeits- und Gesundheitsschutz gleichwohl ernst genommen, sagt er und | |
rüttelt am Geländer der Hebebühne, auf der er in rund sechs Meter Höhe | |
gleich seinen restlichen Arbeitstag verbringen wird. „Wenn es die | |
Arbeitsumgebung ermöglicht, spannen wir einen Sonnenschirm auf.“ Die | |
Sonnencreme liege zudem immer griffbereit im Auto. Längere Pausen in den | |
Mittagsstunden, wenn die UV-Belastung am höchsten ist, seien hingegen nicht | |
eingeplant: „In der Mittagspause holen wir uns höchstens noch schnell Eis | |
oder kühle Getränke, dann geht es weiter. Wir wollen rechtzeitig fertig | |
werden.“ | |
Damit stehen Ardner und sein Kollege nicht allein da: Das südeuropäische | |
Konzept einer langen Mittagspause hat es bislang nicht in die hiesige | |
Praxis geschafft. | |
Es gibt jedoch noch ein anderes Modell, von dem seit einigen Jahren auch | |
Berliner Dachdecker:innen profitieren. Wenn die Dachpfannen glühen, | |
bekommen die Beschäftigten hitzefrei – für jährlich bis zu 53 Stunden bei | |
drei Viertel Lohnausgleich. Das tarifliche Ausfallgeld gilt für die Monate | |
April bis September. Der Arbeitgeber zahlt es an seine | |
Mitarbeiter:innen und bekommt eine Rückerstattung von der Sozialkasse | |
des Dachdeckerhandwerks. | |
5 Jun 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bwkrankenhaus.de/de/bundeswehrkrankenhaus-berlin | |
[2] https://www.vdbw.de/ | |
## AUTOREN | |
Christoph Mayer | |
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