# taz.de -- Klimakatastrophe in Brasilien: Flut trifft vor allem Arme | |
> Bedürftige leiden besonders unter den Überschwemmungen. Auch die | |
> Klimapolitik des „grünen“ Präsidenten Lula steht auf dem Prüfstand. | |
Bild: Die Flut ist eine Folge des Klimawandels, darüber sind sich die meisten … | |
BERLIN taz | Als in Porto Alegre das Wasser stieg, ging alles ganz schnell. | |
„Schon am zweiten Tag der Katastrophe bauten wir unsere Strukturen aus“, | |
erzählt Fernando Campos Costa der taz. Er ist Aktivist der | |
Wohnungslosenbewegung MTST und leitet eine sogenannte Solidaritätsküche. | |
„Mittlerweile kochen wir dort 4.000 Mahlzeiten pro Tag. Viele Menschen | |
bekommen nun zumindest einmal am Tag eine warme Mahlzeit.“ | |
Heftige Regenfälle und Überschwemmungen haben im Süden Brasiliens zu | |
[1][einer der größten Klimakatastrophen in der Geschichte des Landes] | |
geführt. Mehr als 160 Menschen starben, große Teile der Infrastruktur | |
wurden zerstört. Über 500.000 Menschen mussten ihre Häuser verlassen, viele | |
harren weiter in Notunterkünften aus. | |
Insgesamt sind 400 Gemeinden und Städte betroffen, große Teile der | |
Millionenstadt [2][Porto Alegre] stehen immer noch unter Wasser. Die | |
Behörden schätzen, dass es noch einige Wochen dauern wird, bis das Wasser | |
zurückgeht. Und Meteorolog*innen befürchten weitere Regenfälle in den | |
kommenden Tagen – die Angst vor einem weiteren Anstieg der Pegel ist groß. | |
## Flut als Folge des Klimawandels | |
Besonders die ärmeren Bevölkerungsgruppen leiden unter den Folgen der Flut. | |
„Die Auswirkungen der Klimakatastrophe treffen einige stärker als die | |
anderen“, sagt Costa von der MTST. Viele wohnen in einfachen Hütten, die | |
den Wassermassen nicht standhielten. Die Lebensbedingungen waren schon vor | |
der Katastrophe extrem prekär. | |
Die linke [3][Basisbewegung MTST] ist in den Peripherien der großen Städte | |
aktiv. Dort versucht sie, mit Besetzungen urbanen Leerstand für arme | |
Familien nutzbar zu machen. Seit einigen Jahren baut sie aber auch | |
Notfallstrukturen für Krisen aller Art aus. Bereits während der Pandemie | |
versorgten sie mit ihren Solidaritätsküchen zehntausende Menschen. | |
„Mittlerweile sind wir so aufgebaut, dass wir schnell auf Katastrophen | |
reagieren können“, erklärt Costa. | |
Die Flut ist [4][eine Folge des Klimawandels], darüber sind sich die | |
meisten Expert*innen einig. Wetterphänomene wie El Niño, die durch die | |
Erderwärmung verstärkt werden, treffen die Region immer härter. Während | |
einige Regionen unter Dürreperioden ächzen, kommt es in anderen Gebieten zu | |
Starkregen. | |
Die jüngste Katastrophe ist teilweise aber auch hausgemacht: Porto Alegre | |
besitzt wegen der Lage an mehreren Flüssen zwar ein Hochwasserschutzsystem, | |
aber viele Sperren und Schleusen versagten. Das System war schlecht | |
gewartet und konnte den Wassermassen nicht standhalten. Expert*innen | |
prognostizieren, dass es bis zu 15 Jahre dauern könnte, bis die betroffenen | |
Gebiete wieder den vorherigen Lebensstandard erreichen. Und bald könnte das | |
Trinkwasser knapp werden. | |
## Lula verspricht neun Milliarden Euro | |
Die Regierung unter Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, der die Region | |
dreimal besuchte, hat umfangreiche Hilfsmaßnahmen angekündigt. Umgerechnet | |
knapp neun Milliarden Euro sollen zur Verfügung gestellt werden, um den | |
Wiederaufbau zu finanzieren und den Betroffenen zu helfen. Dazu gehört auch | |
der Kauf von Häusern auf dem privaten Immobilienmarkt und die Nutzung von | |
zwangsversteigerten Grundstücken für Flutopfer. Der sozialdemokratische | |
Präsident erinnerte daran, dass es nötig sei, sich an das veränderte Klima | |
anzupassen und präventive Maßnahmen zu ergreifen. | |
Dennoch steht auch seine Klimapolitik auf dem Prüfstand: Einerseits lässt | |
sich Lula – vor allem im Ausland – als grüner Präsident feiern. Und | |
tatsächlich ist die Abholzung in Amazonien stark zurückgegangen, staatliche | |
Naturschutzbehörden wurden wieder aufgerüstet. | |
Andererseits hält das Land an der Förderung von Erdöl fest, plant | |
umstrittene Großprojekte in Amazonien und exportiert Rekordmengen an Soja | |
und Rindfleisch ins Ausland. Ein weiteres Problem: Viele Landesregierungen | |
ziehen bei der Umweltpolitik der Bundesregierung nicht mit. Gerade der | |
Süden des Landes, wo derzeit das Wasser steht, ist eine Hochburg des | |
rechtsradikalen Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro. Deshalb dürfte gerade dort | |
nicht mit allzu großen Sprüngen bei der Umwelt- und Klimapolitik zu rechnen | |
sein. | |
Inmitten der Umweltkrise zeigt sich eine große Solidarität der Bevölkerung. | |
In sozialen Medien werden Spenden gesammelt, Freiwillige aus dem ganzen | |
Land sind nach Porto Alegre gereist, um zu helfen. Und auch in den | |
Vorstädten tut sich einiges. „Durch ihre alltägliche Verelendung sind die | |
Bewohner der Peripherien viel stärker aufeinander angewiesen als im Rest | |
der Stadt“, sagt der MTST-Aktivist Costa. „In der Peripherie kennen sich | |
die Menschen gut, organisieren sich schon lange in Bewegungen und kämpfen | |
für ihre Rechte. Die Solidarität wird hier im Alltag gelebt.“ | |
23 May 2024 | |
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## AUTOREN | |
Niklas Franzen | |
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