# taz.de -- Häusliche Gewalt nach Trennungen: Wenn der Gewalttäter Zugang hat | |
> Fachleute warnen davor, gewalttätigen Elternteilen Umgang mit ihren | |
> Kindern zu erlauben. Das könne neue Gewalt auslösen. | |
Bild: Bei Umgangs- und Sorgerechtsverfahren sei das Risiko häuslicher Gewalt �… | |
BREMEN taz | Vor neun Jahren fand die Polizei eine 44-jährige Frau | |
stranguliert in ihrer Wohnung in der Bremer Neustadt. [1][Dringend | |
tatverdächtig war und ist der Vater ihrer zwei Kinder], damals vier und | |
sieben Jahre alt. Im März 2015, wenige Tage nach der Tat, flog er mit den | |
Kindern in die Türkei, seitdem wird erfolglos nach ihm gefahndet. Er sei | |
weiter flüchtig, bestätigte jetzt die Staatsanwaltschaft Bremen. | |
Vor der Tat, so hatte es ein Sprecher der Sozialbehörde der taz | |
geschildert, hatten sich die Eltern im Jugendamt getroffen, um über die | |
schwierige Sorgerechts-Konstellation zu sprechen. Denn das Mädchen lebte | |
beim Vater, der autistische Junge bei der Mutter. | |
Um den Kontakt zu ihrer Tochter nicht zu verlieren, hatte die Frau eine vom | |
Amtsgericht verfügte Gewaltschutzverordnung gegen ihren gewalttätigen | |
Ex-Partner aufheben lassen. So durfte er sich wieder ihr und ihrer Wohnung | |
nähern. Am 13. März wurde sie das letzte Mal lebend gesehen. | |
Dieser Fall taucht nicht auf in der Antwort des Bremer Senats auf eine | |
parlamentarische Anfrage der SPD-Fraktion zum [2][„Schutz von Müttern vor | |
Gewalt in Umgangs- und Sorgerechtsverfahren“]. Denn der Senat hat dafür nur | |
die Fälle der vergangenen fünf Jahre untersuchen lassen, bei denen jemand | |
eine Frau aufgrund ihres Geschlechts umgebracht oder es versucht hat. | |
## Großes Risiko bei Sorgerechtsverfahren | |
Zwölf Ermittlungsverfahren habe es in diesem Zeitraum gegeben. In keinem | |
habe ein Zusammenhang zu Besuchskontakten zwischen Vätern und Kindern | |
bestanden, heißt es in der Antwort. | |
Weitere Daten zu Gewalt gegenüber Frauen in diesem Kontext jenseits von | |
Mord und Totschlag würden nicht erhoben, weder von der Polizei noch vom | |
Jugendamt. Das sei auch nicht notwendig, schreibt der Senat, weil sich | |
„nach Wahrnehmung“ der Staatsanwaltschaft „bei Besuchskontakten zwischen | |
Vätern und Kindern keine relevante Häufung von Fällen von Gewalt gegenüber | |
Müttern“ ergebe. Bekannt sei, dass Gewalt häufig in Trennungsphasen verübt | |
werde. | |
Fachleute kommen zu einer anderen Einschätzung. Das Risiko sei auch in | |
Zusammenhang mit Umgangs- und Sorgerechtsverfahren „besonders hoch“, | |
schreiben beispielsweise Monika Schröttle und Maria Arnis [3][in einem | |
Beitrag für die Bundeszentrale für politische Bildung]. Beide forschen am | |
Institut für empirische Soziologie an der Friedrich-Alexander-Universität | |
Erlangen-Nürnberg zu Gender und Gewalt. | |
In dem Beitrag heißt es auch: „In der gängigen Praxis der Familiengerichte | |
wird der Schutz von Frauen (und ihren Kindern) vor Gewalt häufig | |
unzureichend beachtet und die [4][Durchsetzung des Umgangs- und | |
Sorgerechtes für gewalttätige Väter priorisiert].“ | |
## Kommission fordert Schulungen | |
Das hatte auch die unabhängige Grevio-Kommission im Auftrag des Europarats | |
moniert, die die Umsetzung der 2017 von Deutschland ratifizierten | |
[5][Istanbul Konvention] untersucht hatte. Dieser Vertrag verpflichtet die | |
Mitgliedsstaaten dazu, Frauen und Mädchen effektiv vor Gewalt zu schützen. | |
Die Kommission fordert [6][in ihrem Bericht aus dem Jahr 2022] daher | |
deutsche Behörden dazu auf, alle in Umgangs- und Sorgerechtsfälle | |
involvierten Fachkräfte so zu schulen, dass sie sich der „negativen | |
Auswirkungen von Gewalt eines Elternteils gegen den anderen Elternteil auf | |
Kinder gebührend bewusst sind“. | |
Zudem müssten sie Verfahren entwickeln, mit denen überprüft wird, ob es | |
Gewalt eines Elternteiles gegen einen anderen gab und was daraus folgte. | |
Das schließt ausdrücklich Richter:innen ein, die gegen den Willen von | |
Mutter und Kind Umgang mit einem gewalttätigen Vater anordnen können. Dass | |
sie dies nicht nur in seltenen Einzelfällen tun, hatte 2022 der | |
Norderstedter Soziologe Wolfgang Hammer [7][anhand einer Fallsammlung | |
dargelegt]. | |
Der Bremer Senat handelt das Thema in seiner Antwort kurz ab. Anders als | |
Polizist:innen würden Richter:innen nicht regelhaft zu dem | |
Themenkomplex geschult, die Entscheidungspraxis der Familiengerichte zu | |
untersuchen, verletze die Unabhängigkeit der Justiz. Die | |
Grevio-Expert:innen appellieren hingegen „nachdrücklich“ an die deutschen | |
Behörden, die Rechtspraxis zu analysieren. | |
In einer Fußnote verweist die unabhängige Kommission darauf, „dass | |
Umgangsregelungen für die Fortdauer körperlicher und emotionaler | |
Misshandlungen von Kindern und Frauen von Bedeutung sein können, selbst | |
wenn ein hohes Maß an Überwachung gegeben ist; dass der Umgang mit Kindern | |
häufig die intime Beziehung als Instrument der Männer zur Kontrolle von | |
Frauen ersetzt, wodurch der Umgang mit Kindern zu einer Form der Gewalt | |
nach einer Trennung werden kann“. | |
22 Jun 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Unerklaerliche-Verzoegerung/!5300965 | |
[2] https://www.bremische-buergerschaft.de/drs_abo/2024-06-05_Drs-21-589_539fd.… | |
[3] https://www.bpb.de/themen/gender-diversitaet/femizide-und-gewalt-gegen-frau… | |
[4] /Haeusliche-Gewalt-bei-Sorgerechtsfragen/!5890331 | |
[5] /Panel-zu-Istanbul-Konvention/!5975119 | |
[6] https://www.bmfsfj.de/resource/blob/202386/3699c9bad150e4c4ff78ef54665a85c2… | |
[7] https://jimdo-storage.global.ssl.fastly.net/file/6eea0222-d81d-4267-80a8-5e… | |
## AUTOREN | |
Eiken Bruhn | |
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