# taz.de -- Kurator über Kolonialismus: „Hamburg war ein Knotenpunkt“ | |
> Beim Festival „DIGGAHH“ in Hamburg geht es um die Hinterlassenschaften | |
> des Kolonialismus. Wie wirksam die bis heute sind, erklärt Mèhèza | |
> Kalibani. | |
Bild: Umstrittener Koloß: Das Hamburger Bismarck-Denkmal 2022 in der Morgenson… | |
taz: Herr Kalibani, wo sehen Sie den Kolonialismus auch heute noch am Werk? | |
Mèhèza Kalibani: Der Kolonialismus prägt uns in vielen Bereichen im Alltag. | |
Manche Menschen behaupten, der Kolonialismus sei Vergangenheit, aber er | |
[1][bestimmt auch die Gegenwart]. Das sehen wir in Straßennamen, Denkmälern | |
oder Museen, die Objekte ausstellen, welche unter fragwürdigen Bedingungen | |
erworben worden. Wir sehen ihn aber auch an [2][Universitäten], in der | |
[3][Politik] und in der [4][Wirtschaft]. In Hamburg gibt es etliche | |
Beispiele. | |
Woran denken Sie da? | |
Von meinem Büro aus kann ich das Bismarck-Denkmal sehen, das [5][größte | |
Kolonialdenkmal Deutschlands]. Das Denkmal war als Zeichen der Dankbarkeit | |
an den Reichskanzler Otto von Bismarck errichtet. Es wurde größtenteils von | |
Kaufleuten finanziert, die vom Kolonialismus wirtschaftlich profitiert | |
haben. Oder das Hauptgebäude der Universität, welche das Kolonialinstitut | |
Hamburgs war. Man sieht ihn aber auch in vielen Praktiken. | |
Wie denn das? | |
Die sind versteckter, aber auch dort gibt es Kontinuitäten, etwa in der | |
Wirtschaft: Von wo erwirbt wer was und unter welchen Bedingungen? Oder in | |
Entscheidungsstrukturen: Es gibt kaum Menschen, deren Vorfahren von | |
Kolonialismus betroffen waren, die heute in Entscheidungspositionen sind. | |
Wer ist heute wo und wie repräsentiert? Wenn man genauer hinschaut, steht | |
das alles mit dieser Vergangenheit in Zusammenhang. Bei Kontinuitäten geht | |
es auch um [6][Rassismus] und Diskriminierungen. Beide Phänomene waren | |
Fundamente des Kolonialismus. | |
Welche Rolle hat Hamburg für den [7][deutschen Kolonialismus] gespielt? | |
Hamburg war ein Knotenpunkt. Viele Waren, die in deutschen Kolonien | |
erworben oder produziert worden, wurden in den Hamburger Hafen gefahren. | |
Die Geschichte fängt früh an. Bereits vor der tatsächlichen kolonialen | |
Besetzung gab es viele Hamburger Akteur:innen, die [8][großen Profit mit | |
der kolonialen Ausbeutung gemacht haben]. Sie haben viele Geschäfte | |
gemacht, bei denen Sklav:innen oder Zwangsarbeiter:innen eingesetzt | |
wurden. Während der Kolonialkriege, unter anderem bei der Niederschlagung | |
des Aufstands der Herero und Nama, welcher heute als Genozid anerkannt | |
wurde, wurde eine große Anzahl von Soldaten in die Kolonien gefahren. | |
Wieso heißt Ihre anstehende Veranstaltung „DIGGAHH“? | |
Wir wollen sie anders machen als gewöhnlich und möglichst viele Menschen | |
ansprechen. Die Veranstaltung wurde auch maßgeblich von der | |
Zivilgesellschaft getrieben. Der Projektträger hat viel mehr begleitend | |
koordiniert und weniger inhaltlich in den Prozess eingegriffen. Den Titel | |
finde ich persönlich sehr interessant, „DIGGAHH“ ist ja etwas | |
Hamburgisches. Wir wollten nicht nur die Leute ansprechen, die an der Uni | |
sitzen oder in einem Büro, sondern wirklich alle, die von dem Thema | |
betroffen sind. | |
DIGGAH bespielt die ganze Stadt, nicht nur die einschlägigen Museen oder | |
den Hafen. Wieso dieser dezentrale Ansatz? | |
Auch das war der Wunsch der Zivilgesellschaft: Im September 2023 haben wir | |
ein Meeting mit über 20 Organisationen und Akteur:innen veranstaltet, | |
bei dem wir Ideen gesammelt haben. Eingeladen waren über 40. Dabei ging es | |
darum, wie wir dieses Projekt am besten in die breite Gesellschaft tragen | |
können. Wie könnte eine partizipative Auseinandersetzung mit dem Thema | |
Kolonialismus aussehen? Das Ziel des Projekts ist schließlich einen Raum zu | |
schaffen, in dem sich viele Leute mit dem Thema auseinandersetzen. Aus | |
diesem Meeting ist eine Gruppe aus 13 Personen entstanden, die sich bereit | |
erklärt haben, am Konzept zu arbeiten. In dieser Kontextualisierung wurde | |
uns dann klar, dass es am besten ist, das Projekt dezentral zu gestalten. | |
Es gibt 40 Veranstaltungen in fünf Tagen. Wir wollten, dass für jede:n | |
Hamburger:in etwas dabei ist. Auch Leute, die unter der Woche arbeiten, | |
haben dann am Wochenende etwas, woran sie teilnehmen können. | |
Was braucht es, um die Dekolonisierung in der Stadt voran zu bringen? | |
Das ist ein Prozess und er fängt auch nicht erst jetzt an. Viele | |
Akteur:innen leisten seit Jahrzehnten elementare Arbeit. Ohne diese | |
Vorarbeit würden wir heute von null anfangen. Was braucht es? Meiner | |
Einschätzung nach muss neben der Forschung, die durchaus sehr wichtig ist, | |
die Zivilgesellschaft mehr Raum in der Aufarbeitung bekommen. Man muss mehr | |
Raum schaffen, in dem vor allem betroffene oder engagierte Menschen auch | |
mitgestalten können. Das ist ein langwieriger Prozess, aber was wir hier | |
machen, ist ein Anfang. Der Traum wäre, dass wir jetzt jedes Jahr ein | |
„DIGGAHH“-Open-Air haben. Damit würde man auch nachhaltig eine Wirkung | |
erzielen. Wenn wir jetzt nur ein Projekt machen und das war’s, dann bringt | |
uns das nicht wirklich weiter. Es braucht kontinuierliche Arbeit und die | |
Zivilgesellschaft muss in alle Prozesse eingebunden werden, das ist sehr | |
wichtig. | |
21 May 2024 | |
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## AUTOREN | |
Jonas Kähler | |
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