# taz.de -- Hamburg rührt an unbequemem Erbe: Dekolonisierung jetzt mit Konzept | |
> Wissen komplettieren, Schuld anerkennen, die Opfer berücksichtigen: | |
> Hamburg legt ein „Erinnerungskonzept“ zum Kolonialismus vor. | |
Bild: So residierten Hamburger Reedereien: Elefantenskulpturen im Innenhof des … | |
HAMBURG taz | „Gemeinsame Erinnerungsarbeit leistet einen Beitrag dazu, | |
anhaltende, aus [1][kolonialen Machtgefügen] entstandene Ungleichheiten | |
abzubauen. Dies geschieht durch die Vermittlung von verschüttetem oder | |
verschwiegenem Wissen, durch Zuhören und Begegnung“: So steht es in der | |
„Vorbemerkung“ eines Papiers, das am Dienstag Hamburgs Kultursenator | |
Carsten Brosda (SPD) der Presse vorstellte. Nichts Geringeres als [2][ein | |
„stadtweites Erinnerungskonzept“ liegt da nun auf dem Tisch], „zum Umgang | |
mit Hamburgs kolonialem Erbe und seinen gesellschaftlichen Folgen“. Der | |
Titel, „Hamburg dekolonisieren!“, darf dabei im Sinne einer Parteinahme | |
gelesen werden: Ergebnisoffen klingt das nicht. | |
Aber wie auch? „Hamburg war als Hafenstadt über Jahrhunderte eine der | |
einflussreichsten Kolonialmetropolen Europas“, auch das steht prominent am | |
Anfang des Papiers – dass die hanseatischen Kaufleute sich dabei irgendwie | |
vornehm zurückgehalten hätten, allenfalls widerwillig mitgemacht, ist ja | |
eine bis heute in so manchem Kopf sich haltende Fantasie. „Hamburg steht | |
heute in besonderer Verantwortung, seine koloniale Geschichte kritisch | |
aufzuarbeiten“, besagt dagegen das nun verabschiedete Konzept. | |
Dass eines in Arbeit sei und federführend dabei die Kulturbehörde, darauf | |
verweist der Senat seit längerem, wenn sich wieder mal Diskussionen um | |
koloniale Hinterlassenschaften entzünden, zuletzt etwa an der [3][Zukunft | |
des weltweit größten Bismarck-Denkmals] oder jener der „Forschungsstelle | |
‚Hamburgs (post-)koloniales Erbe‘“: [4][Deren Finanzierung ist nur für d… | |
laufende Jahr gesichert], was Linke und FDP dem rot-grünen Senat wiederholt | |
vorgehalten haben. | |
## Raum für die Zivilgesellschaft | |
Alle diese Fragen werde das Papier beantworten, war dann der Tenor etwa in | |
Senatsantworten auf solche Oppositions-Anfragen – allein, es sei halt noch | |
nicht fertig. Dass es schneller gegangen wäre, wenn eine einzelne Behörde | |
einen Plan hätte formulieren sollen, sagte jetzt auch Brosda. Aber der | |
Prozess, in dem das Papier eine bedeutende Wegmarke sei – nicht zu | |
verwechseln mit einem Ende –, sei halt partizipativ angelegt, so Brosda | |
weiter: Die Dekolonisierung soll „in Zusammenarbeit mit der | |
Zivilgesellschaft, den Nachfahren von Opfern des Kolonialismus und | |
Vertreter:innen der betroffenen Communities in Wissenschaft, Bildung | |
und Kultur dauerhaft verankert werden“, heißt es in dem Papier. | |
Das ist gegliedert in fünf „Handlungsfelder“: So soll die wissenschaftliche | |
Aufarbeitung vertieft werden, andererseits das Wissen über Kolonialismus | |
und Hamburgs Rolle möglichst breit wieder in die Gesellschaft gelangen, | |
auch in Kita, Schule und Berufsschule. Das Papier fordert drittens „würdige | |
Formen und Orte des dekolonisierenden Erinnerns“ zu schaffen, den „Dialog | |
zu kolonialem Unrecht“ zu fördern und also zur Versöhnung beizutragen. Und | |
schließlich, als eigenes, fünftes Handlungsfeld, formuliert es ausdrücklich | |
die Stärkung zivilgesellschaftlicher Aktivitäten. | |
Wie gesagt: Der Prozess an sich, das Aushandeln künftiger Erinnerung soll | |
weitergehen. Dass nun nicht bloß ein Kulturbehörden-Wunschzettel vorgelegt | |
wurde, sondern ein dann „behördenübergreifend“ umzusetzender Kurswechsel … | |
dieser Anspruch könnte sich an einem durchaus überraschenden Detail messen | |
lassen: Unter der Überschrift „Der Beitrag der Innenbehörde zur | |
Dekolonisierung“ geht es dann nämlich prominent um „Antirassismus und | |
Antidiskriminierung“, um [5][„Vorwürfe rassistisch motivierten | |
Fehlverhaltens“] und ihre „Aufarbeitung durch die Dienststellen für interne | |
Ermittlungen“. | |
## Kolonialismus-Forschung gerettet, oder? | |
Ob mit einer vertieften Beforschung des kolonialen Erbes nun die erwähnte | |
Kolonialismus-Forschungsstelle gerettet ist, darüber gingen die | |
Einschätzungen am Dienstag auseinander: Kaum lag das Senatskonzept vor, | |
murrten die Bürgerschaftslinken, in dem Papier tauche die Einrichtung | |
„nicht mehr auf“, was nachweislich nicht stimmt. Auch der FDP-Abgeordnete | |
Sami Musa beklagte, sie solle „in der bisherigen Form gestrichen und an die | |
Universität verlagert werden“ – im Papier heißt es dazu, es sei | |
„beabsichtigt“, die bisher durch die Arbeitsstelle geleistete Arbeit | |
„dauerhaft“ in einen Uni-Kontext zu überführen. | |
Wenn an anderer Stelle von zu schaffenden „würdigen Formen und Orte des | |
dekolonisierenden Erinnerns“ die Rede ist, [6][meint das einerseits | |
Straßennamen], aber es drängt sich da auch die Frage auf nach der Zukunft | |
des 34-Meter-Granit-Bismarcks oberhalb des Hamburger Hafens: Der ist eben | |
erst aus Steuermitteln aufgehübscht und gegen Witterungseinflüsse | |
ertüchtigt worden – eher keine tätige Dekolonialisierung, so ein entmooster | |
Riesen-Reichskanzler. Was nämlich scheiterte, ist die lange von Brosda | |
stark gemachte künstlerische Kommentierung: [7][Dem Senator hatte eine Art | |
störende Unterbrechung des Stadtbildes vorgeschwebt]. | |
Nun findet sich ein Hinweis auf eine „textliche Kommentierung am Denkmal“, | |
also: Hinweistafeln; noch 2024 sollen „weitere Vermittlungsformate“ kommen, | |
etwa „Führungen, virtuelle Kartierungen sowie virtuelle Lehr- und | |
Lernmaterialien“. Ob das auch den nach Denkmalssturz Rufenden unter den | |
zivilgesellschaftlichen Akteur:innen reicht? | |
21 May 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Deutscher-Kolonialismus/!t5394549 | |
[2] https://www.hamburg.de/contentblob/18667412/a048d3c8f0adad2e1bc348183def871… | |
[3] /Kontextualisierung-des-Bismarck-Denkmals/!5947947 | |
[4] /FDP-stuetzt-Kolonialismus-Forschung/!5998319 | |
[5] /Racial-Profiling-in-Hamburg/!5971367 | |
[6] /Streit-um-Nettelbeckweg-in-Guetersloh/!6011144 | |
[7] /Kultursenator-ueber-Bismarck-Denkmal/!5725542 | |
## AUTOREN | |
Alexander Diehl | |
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