| # taz.de -- Volksfest fürs Grundgesetz in Berlin: Punktlandung im Banalen | |
| > Beim Berliner Bürgerfest ist Grundkonsens: Die Demokratie ist zwar ein | |
| > bisschen in Gefahr, aber das kriegen wir hin. Dabei gäbe es | |
| > Gesprächsbedarf. | |
| Bild: Wer ist Fahne, wer Fallschirm nach der Vereinigung? Bundespolizei springt… | |
| Berlin Endlich gibt es in Deutschland mal wieder was zu feiern. Schluss mit | |
| der ewigen Miesepetrigkeit, der fiesen Regierungskritik und dem Gerede von | |
| immerharten Zeiten. Heute können wir uns auf die Schultern klopfen, heute | |
| wird auf den Putz gehauen! Und nein, dabei geht es einmal nicht um Fußball. | |
| Jedenfalls nicht nur. | |
| Am Spreeufer vor dem Bundestag drängen sich am Wochenende zwischen | |
| Zuckerwatte-Ständen, Glücksrädern und Infozelten zahlreiche | |
| Besucher:innen beim [1][„Fest der Demokratie“], das zum Anlass des 75. | |
| Geburtstags des Grundgesetzes stattfand. So weit, so einschläfernd | |
| (immerhin bestückten zahlreiche „Coffee Bikes“ das Gelände, um dieser | |
| Wirkung etwas entgegenzusetzen). | |
| Doch die Attraktionen überbieten sich gegenseitig: Im Bürgerdialog kann man | |
| mit Robert Habeck, Bärbel Bas und sogar Olaf Scholz plaudern, auf einer | |
| Bühne im Bundestag ist Oppositionsführer Merz zu hören, und draußen | |
| lauschen Menschen bei wunderschönem Sonnenschein einer mittelmäßigen | |
| Performance von [2][„Wonderwall]“. Bier, Bratwurst und allgemeines | |
| Selbstlob stehen auf der Tagesordnung. Der Grundkonsens bei Redner:innen | |
| und Besucher:innen scheint: Alles super so weit, die Demokratie ist | |
| zwar ein bisschen in Gefahr, kriegen wir aber schon – gemeinsam – hin. | |
| „Gemeinsam“, „Einheit“, „Wir“: schöne Buzzwords, die zahlreiche St… | |
| Plakate und Gratiskulis auf dem Fest zieren. Auch sonst sind sie in Mode: | |
| Eines der Worte musste als Titel für das kürzlich erschienene Buch von | |
| Bundespräsident Steinmeier herhalten, andere bestücken Wahlplakate. Und | |
| doch fehlt das „gemeinsam“ dort, wo es wichtig gewesen wäre: Nach dem | |
| Mauerfall 1989 entschied man sich gegen die Erarbeitung einer neuen | |
| gemeinsamen Verfassung von Ost und West, obwohl das Grundgesetz – im | |
| Wiedervereinigungsartikel 146 – eine Möglichkeit dafür bot. [3][Stattdessen | |
| blieb man bei der Verfassung], die sich schon in der Bundesrepublik bewährt | |
| hatte. So wenig wie möglich wollte man für Westdeutsche bei der | |
| Wiedervereinigung wohl verändern. | |
| ## Tischkickern statt Perspektive | |
| Diese Entscheidung wirkt bis heute nach. In einem der Festzelte erzählen | |
| drei junge Frauen, die für verschiedene ostdeutsche Initiativen tätig sind, | |
| dass viele Ostdeutsche sich auch heute, 35 Jahre nach der Wende, nicht | |
| zugehörig fühlen würden. Die Entscheidung, ostdeutsche Perspektiven nicht | |
| in die deutsche Verfassung einzubeziehen, sei ein Grund dafür. | |
| Eine Gruppe von Rentner:innen aus Lippstadt genießt die Sonne. Auch sie | |
| sehen die damalige Entscheidung kritisch. Auf Nachfrage erzählen sie, dass | |
| man von dieser Perspektive auf dem „Fest der Demokratie“ vor lauter Eis am | |
| Stiel und Tischkickern kaum etwas mitkriege. Immerhin: „Sächsische | |
| Spargel-Kartoffel-Suppe“ und „Bier-Chili con Chemnitz“ werden hier für 7… | |
| Euro aus einer Bude verkauft. Darüber hinaus verschwinden ostdeutsche | |
| Perspektiven, bis auf pflichtbewusste Bekundungen à la: „das ist die | |
| Verfassung aller Deutscher“ auf der Veranstaltung eher im Hintergrund. | |
| Als Nächstes geht es zum Polaroids schießen, denn so kann man an einem der | |
| Stände ganz einfach „Gesicht zeigen für Demokratie“. Nach getaner Arbeit | |
| schlendern die Retter:innen der Demokratie Eis schleckend und gut | |
| gelaunt weiter. Auf die Anmerkung, dass die Verbreitung | |
| demokratiegefährdender Einstellung in Deutschland zwischen 2018 und 2023 | |
| stark gestiegen ist, wie eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung nahelegt, | |
| folgen ernstes Nicken und Ratlosigkeit. Nun ja, egal. Weiter geht es zur | |
| Tischtennisplatte, die Laune will man sich nicht verderben lassen. | |
| Hat Justizminister Marco Buschmann etwa recht, wenn er sich mehr | |
| „Verfassungspatriotismus“ wünscht, wie kürzlich in einem Interview mit der | |
| Rheinischen Post geschehen? Der Patriotismus, den ein Großteil der | |
| Besucher:innen an den Tag legt, gilt scheinbar eher dem favorisierten | |
| Fußballverein, zahlreiche Leverkusen- und Kaiserslautern-Fans schlagen die | |
| Zeit bis zum abendlichen DFB-Pokalfinale hier tot. Auf die auf einer Tafel | |
| gestellte Frage „Wenn ich Ministerpräsident:in von Brandenburg wäre, | |
| dann würde ich …“ folgen entsprechend Antworten wie „Leverkusen zum Meis… | |
| machen“ (ob das auch dabei helfen kann, die AfD, die in Brandenburg laut | |
| aktueller Umfragen bei rund 25 Prozent liegt, einzudämmen?). | |
| Fressbuden, Früchtebowl, Musik und Kindertheater ziehen immerhin recht | |
| viele interessierte Gäste an. Wer wird beim Knoblauchbrot von Knobi Bobby | |
| nicht schwach und ganz nebenbei vielleicht ein bisschen | |
| verfassungspatriotisch? Damit die Deutschen aber nicht zu feierwütig werden | |
| – bei der Performance von „Blinded by the Lights“, die die Polizeikapelle | |
| hinlegte, wippten einige gar wild hin und her – machte Justizminister | |
| Buschmann schon einmal klar: Ein weiterer gesetzlicher Feiertag passe | |
| wirtschaftlich nicht in die Zeit. Für das Abfeiern der Verfassung muss das | |
| dreitägige Demokratiefest wohl reichen. | |
| 27 May 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2024/05/berlin-demokratiefest-regieru… | |
| [2] https://de.wikipedia.org/wiki/Wonderwall_(Lied) | |
| [3] /75-Jahre-Grundgesetz/!6008780 | |
| ## AUTOREN | |
| Joscha Frahm | |
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