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# taz.de -- Auszeichnung für Autorin Jenny Erpenbeck: Ihren Figuren so nah
> Für ihren Roman „Kairos“ bekommt Jenny Erpenbeck als erste Deutsche den
> International Booker Prize. Die Jury spricht von „leuchtender Prosa“.
Bild: Jenny Erpenbeck
Berlin taz | Wie interessiert und beeindruckt die englischsprachige
Literaturwelt auf das Werk der 57-jährigen Jenny Erpenbeck schaut, hat die
Autorin jetzt schriftlich. Das ist schon was: [1][Für den Roman Kairos] in
der englischen Übersetzung von Michael Hofmann erhielt sie am Dienstagabend
als erste Deutsche den International Booker Prize.
In der Begründung der Jury stehen Sachen wie: „leuchtende Prosa“ und dass
„die Selbstversunkenheit der Liebenden, ihr Abstieg in einen
zerstörerischen Strudel mit der größeren Geschichte der DDR“ um den
Mauerfall herum verbunden bleibe. Damit ist es sozusagen amtlich, dass
Jenny Erpenbeck in der großen weiten Welt erst einmal ein Aushängeschild,
vielleicht das Gesicht, der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur
darstellen wird.
Jenny Erpenbeck wurde 1967 in Ostberlin geboren, in ein Elternhaus, das als
Literaturwissenschaftlerin, so die Mutter, und Professor, so der Vater, zur
Intelligenzija der ausgehenden DDR gehörte. Ein erstes Porträt in der taz
erschien 2001 über sie. Sie empfing den taz-Autor in ihrer Wohnung im
Prenzlauer Berg, das damals das absolute Zentrum der jungen deutschen
Literatur war, hatte gerade die Jury-Auszeichnung beim
Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen und wollte gesiezt werden, was in dem
Porträt leicht verblüfft gleich als Einstieg des Textes genutzt wird.
Einen gewissen Abstand zum Betrieb hat sie, die zunächst auch im
dramaturgischen Theaterbereich Erfahrungen gesammelt hat, ihre gesamte
literarische Karriere lang gewahrt, was keineswegs verhindert hat, dass die
Liste ihrer Auszeichnungen lang ist. Nur die ganz großen Weihen blieben
bislang aus. Interessant, dass sie jetzt vom Ausland aus kommen.
„Kairos“ ist eine erst euphorische, dann zunehmend toxisch werdende
Liebesgeschichte zwischen einer sehr jungen Frau und einem 34 Jahre älteren
Mann. Porträts, Szenen, Befindlichkeiten von Menschen in der DDR zwischen
Anpassung und innerem Exil sind eingewoben, das ungleiche Paar und der
Verlauf ihrer Beziehung bleibt aber im Zentrum.
## Sie lässt Themen einsickern
Den Ansatz, von einem einzelnen Punkt aus große Geschichte aufscheinen zu
lassen, hat Jenny Erpenbeck schon häufiger angewendet und dabei immer
wieder neu variiert. Von einem Seegrundstück aus erzählt sie die Geschichte
des vergangenen Jahrhunderts inklusive Nazizeit („Heimsuchung“). Über
verschiedene mögliche Lebensläufe einer Frau malt sie das 20. Jahrhundert
noch einmal anders aus, mit Akzent auf die politischen und nachfolgend auch
individuellen Brüche in ihm („Aller Tage Abend“).
Dezidiert politisch [2][wurde sie in dem Roman „Gehen, ging, gegangen“], in
dem sie – mit dem Camp protestierender Geflüchteter, das es 2013/14 in der
Berlin-Kreuzberger Oranienstraße tatsächlich gegeben hat, als zentralem
Ausgangspunkt – die unschönen Seiten der Gegenwart beleuchtete:
Ausgrenzung, Abschottung.
Wie bei „Kairos“ kann man auch hier nicht sagen, dass Jenny Erpenbeck über
Themen schreibt, sie lässt sie durch die Figuren hindurch vielmehr in den
Text einsickern. Wie nah sie ihren Figuren dabei kommen kann, zeigt sie in
„Kairos“, vor allem im ersten Drittel. Dass sie zur deutschen Gegenwart
immer auch ein Stück weit Abstand hält, zeigte sich konkret in „Gehen,
ging, gegangen“, ein Buch, in dem einem beim Lesen, während die zunächst
als Fremde gelesenen Geflüchteten näher kamen, die deutsche Gegenwart immer
fremder wurde.
Jenny Erpenbeck beschreibt deutsche Geschichte und Gegenwart teilweise so,
als müsste sie sie außenstehenden Beobachtern erst erklären. Vielleicht
macht diese Wendung ihre Romane, neben dem längst exotischen Reiz
angenommenem DDR-Thema, für internationale Leserinnen und Leser noch einmal
besonders interessant.
Seit ein paar Wochen wird Jenny Erpenbeck auch als mögliche Kandidatin für
den [3][Literaturnobelpreis] gehandelt. In Deutschland nimmt man das
staunend, aber auch leicht augenreibend zur Kenntnis. Jenny Erpenbeck ist
hierzulande eine eingeführte Autorin. Klar, ihre Romane werden umfangreich
und gut besprochen, auch in der taz. Sie haben, da sie so besonders sind,
viele Fans, und da sprachlich vielleicht etwas hochgetuned, auch die
Kritiker. Die hat man, wenn der Erfolg da ist – aber solche Ehren? Krass.
Doch das ist eh erst mal Zukunftsmusik und sowieso auch Spekulation.
22 May 2024
## LINKS
[1] /Roman-Kairos-von-Jenny-Erpenbeck/!5805530
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[3] /Nobelpreis-fuer-Literatur/!t5022759
## AUTOREN
Dirk Knipphals
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