# taz.de -- Lesung von Salman Rushdie in Berlin: Beifall für einen Überlebend… | |
> In Berlin stellte Salman Rushdie sein Buch „Knife“ über das auf ihn | |
> verübte Attentat vor. Gewürdigt wurde ein Verteidiger des Wortes. | |
Bild: Salman Rushdie (l.) im Gespräch mit den Journalist:innen Marie Kaiser un… | |
Sie sitzt in der ersten Reihe, Salman Rushdies „Lebensretterin“, seine | |
Frau Rachel Eliza Griffiths, die, so beschreibt es Rushdie, durch die | |
Messerattacke fast so schlimm verletzt worden war wie er selbst. Er wird im | |
Laufe des Abends mehrfach zu ihr hinschauen durch das eine Glas seiner | |
Brille, mit dem gesunden linke Auge. Das rechte ist als Auge nicht mehr zu | |
gebrauchen, [1][seitdem bei einer Lesung am 12. August 2022 ein | |
islamistischer Attentäter 15-mal auf den indisch-britischen Schriftsteller | |
einstach.] | |
Besagter Fanatiker befindet sich seitdem in Haft, es ist einiges über ihn | |
und seinen Radikalisierungsprozess bekannt. Doch Rushdie nennt den heute | |
26-Jährigen nicht beim Namen, auch nicht in „Knife“, [2][dem Buch, das er | |
über den Messerangriff und die Zeit der Genesung geschrieben hat] und am | |
Donnerstagabend im Deutschen Theater in Berlin vorstellte. | |
Das eigentliche Attentat ist schnell erzählt. Keine 20 Seiten widmet | |
Rushdie den wenigen Sekunden, die der Angreifer sich mit ihm auf der Bühne | |
befand, bevor ihn mutige Zuschauer:innen zu Fall brachten. Rushdie | |
schildert, wie er sich delirierend in einer Blutlache liegend darauf | |
gefasst machte, in der US-Kleinstadt Chautauqua fernab von seinen Liebsten | |
zu sterben. | |
Dass er trotz zahlreicher Wunden überlebte, kommt einem Wunder gleich, sagt | |
er und ergänzt, dass er an Wunder eigentlich nicht glaube. Ein Widerspruch, | |
der nicht aufgelöst werden muss. Man neige dazu, Identitäten heute | |
künstlich zu verengen. Dabei sei niemand bloß jüdisch, schwarz, homosexuell | |
oder eben atheistisch, so Rushdie. | |
## Minutenlange Standing Ovations | |
Es sind Kommentare wie dieser, aber auch kleine Anekdoten, die die | |
Zuschauer:innen stetig mit Beifall belohnen, der sich am Ende zu | |
minutenlangen Standing Ovations auswächst für einen, der die Freiheit des | |
Wortes mit seinem Leben verteidigen musste. Die Lesung in Berlin findet | |
unter hohen Sicherheitsvorkehrungen statt: Es gibt Einlass- und | |
Taschenkontrollen, Securitypersonal überwacht das Geschehen. | |
Vorkehrungen, die in Chautauqua offenbar nicht getroffen wurden – und das, | |
obwohl Rushdie dort über die Sicherheit von Autor:innen sprechen | |
sollte. Der 76-Jährige hat seinen Humor nicht verloren, trocken scherzt er | |
über seinen „dummen, wütenden“ Angreifer. Und auch über sich selbst kann | |
Rushdie lachen, etwa wenn er erzählt, wie er im Beisein seiner heutigen | |
Ehefrau Griffiths gegen eine Glastür lief, die er damals erst wenige | |
Stunden kannte. | |
Zu großen Teilen dreht sich „Knife“ und das Gespräch auf der Bühne denn | |
auch um sie, Griffiths, die dem verletzten Schriftsteller im Krankenhaus | |
zur Seite stand. Und trotz schlichten schwarzen Lederoutfits einen gewissen | |
Glamourfaktor einbringt ins Deutsche Theater, wo die heimische Promidichte | |
im Publikum ebenfalls hoch ist. | |
Interessanterweise erfuhr die Öffentlichkeit erst durch das Attentat von | |
der fünften Ehe Rushdies mit der Dichterin. Und so ist „Knife“ auch ein | |
Buch über Öffentlichkeit, über das Private, das politisch, und noch mehr | |
das Politische, das privat wird. Wieder einmal, könnte man sagen, denn | |
[3][als Rushdie nach der Veröffentlichung seines Romans „Die satanischen | |
Verse“ untertauchen musste,] war sein Privatestes überhaupt in Gefahr: das | |
eigene Leben. | |
## Fatwa wurde vor über 30 Jahren ausgerufen | |
Die Fatwa, mit der der iranische Ajatollah Chomeini 1989 alle Muslime dazu | |
aufrief, Rushdie zu töten, besteht nun seit über 30 Jahren. Als Rushdie im | |
August 2022 den Angreifer auf sich zustürmen sah, sei er ihm wie ein | |
Zeitreisender vorgekommen, sagt er. „Der Tod kam auch auf mich zu, aber ich | |
fand nichts Besonderes daran“, heißt es im Buch, aus dem Ulrich Matthes | |
vorliest. „Ich fand ihn nur anachronistisch.“ Das Kapitel, so Rushdie, | |
habe er für beendet gehalten. | |
Nun gehört islamistischer Terror mitnichten der Vergangenheit an. Erst seit | |
2019 gilt der sogenannte Islamische Staat als militärisch besiegt. 2015 war | |
das Jahr von Charlie Hebdo wie des Pariser Bataclan. Salman Rushdie hat | |
sich immer wieder zu Extremismus, auch besagten Anschlägen, geäußert. Vor | |
diesem Hintergrund bleibt der Abend im Deutschen Theater fast auffällig | |
unpolitisch, den die rbb-Journalist:innen Marie Kaiser und Thomas Böhm | |
moderieren. | |
Böhm zitiert gegen Ende den irischen Schriftsteller Samuel Beckett, der | |
1936 – das Dunkle vorausahnend, das von Deutschland aus um sich greifen | |
sollte – noch einmal nach Berlin reiste und hier einen einzigen, nur | |
scheinbar indifferenten Neujahrsvorsatz in sein Tagebuch schrieb: „Mehr | |
Champagner!“ | |
Was von Böhm wohl als Überleitung zum abschließenden Champagnertoast auf | |
der Bühne gedacht war, ist als Brückenschlag zum Jetzt, aber auch zum Leben | |
Rushdies durchaus passend. Der Nihilist Beckett galt als seiner Zeit | |
entfremdet, als eher unpolitischer Schriftsteller. Zu Unrecht: Dass ihn das | |
Schicksal seiner bedrohten Autorenkolleg:innen beschäftigte, belegen | |
die zahlreichen Petitionen, die er Zeit seines Lebens unterschrieb. Die | |
letzte nur wenige Monate vor seinem Tod 1989, die die Fatwa gegen Salman | |
Rushdie anprangerte. | |
17 May 2024 | |
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## AUTOREN | |
Julia Hubernagel | |
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