# taz.de -- „Agenten-Gesetz“ in Georgien: Für die Freiheit geben sie alles | |
> Das Parlament billigt trotz Protesten und internationaler Warnungen das | |
> „Agenten“-Gesetz. Vor allem junge Menschen wollen sich damit nicht | |
> abfinden. | |
Bild: Tränen auf einer Kundgebung in Tbilissi nach der Abstimmung im Parlament… | |
TBILISSI taz | Der Heldenplatz, ein Hauptverkehrsnotenpunkt in der | |
georgischen Hauptstadt Tbilissi, ist blockiert. Überall sind junge Menschen | |
zu sehen, eingehüllt in die Flaggen der Europäischen Union und Georgiens. | |
„Nein zu dem russischen Gesetz!“, skandieren sie. Es ist Dienstag, gegen 22 | |
Uhr abends. Auch der Student Georges Schameraschwili harrt schon einige | |
Zeit hier aus. „Sie stehlen uns unsere Träume. Aber unsere Generation wird | |
niemals eine russische Provinz werden“, sagt der 22-Jährige. | |
Um ihn herum halten junge Leute Transparente in die Höhe. Auf einem steht | |
geschrieben: „Heute hat meine Regierung das Land an Russland verkauft“, auf | |
einem anderen: „Du wirst mir keine Angst machen, meine Mutter hat schon 20 | |
Mal angerufen.“ | |
Viele Demonstrant*innen tragen Schutzbrillen und Atemschutzmasken. Vor | |
wenigen Stunden hat die Polizei eine friedliche Demonstration gegenüber dem | |
Parlament, nur zwei Kilometer entfernt, gewaltsam aufgelöst. Mehrere junge | |
Frauen und Männer verteilen Wasserflaschen und Kekse an die | |
Protestierenden. Einige lehnen ab, aber die meisten greifen lächelnd zu. | |
Dabei ist zum Lächeln eigentlich niemandem zumute. | |
Am Nachmittag [1][hat das Parlament in dritter und letzter Lesung einen | |
Gesetzentwurf zur „Transparenz ausländischer Einflussnahme“ verabschiedet]. | |
Dieser erklärt Medien und Nichtregierungsorganisationen, die Gelder aus dem | |
Ausland erhalten, zu „Agenten mit ausländischem Einfluss“. Wenn sie sich | |
weigern, sich in ein Sonderregister einzutragen, drohen Geldstrafen. | |
## Ein Déjà-vu | |
Seit mehr als einem Monat gehen Zehntausende Georgier*innen auf die | |
Straße. Sie befürchten, dass ihr Land dem Weg Russlands folgen wird, wo ein | |
ähnliches Gesetz fast alle Kritiker*innen mundtot gemacht hat. | |
Für Schameraschwili und seine Mitstreiter*innen ein Déjà-vu. Im März | |
2023 hatte die Regierungspartei Georgischer Traum (KO) versucht, ein | |
identisches Gesetz zu verabschieden. Nach wochenlangen Protesten ließen die | |
Behörden das Projekt fallen. | |
14 Monate später sagen junge Georgier*innen erneut, dass ihre Regierung | |
in den politischen Einflussbereich Russlands zurückkehre. Georges | |
befürchtet, dass die Regierung ihnen die Aussicht auf einen EU-Beitritt | |
nimmt, den sich laut verschiedenen soziologischen Umfragen mehr als 80 | |
Prozent der Bevölkerung wünscht. | |
Georgien ist EU-Beitritts-Kandidat, die Bürger*innen können seit 2017 | |
visafrei nach Europa reisen. Das könnte sich bald ändern. Die EU diskutiert | |
die Möglichkeit von Sanktionen, der Aberkennung des Kandidatenstatus und | |
der Aussetzung der Visafreiheit. | |
## Frage bleibt offen | |
Doch der KO ignoriert sowohl die Proteste als auch die Warnsignale aus | |
Brüssel. In einer mit der EU-Kommission unterzeichneten Erklärung vom | |
Mittwoch erklärt der Brüsseler Chefdiplomat Josep Borrell, das Gesetz stehe | |
im Widerspruch zu den EU-Beitrittsbestrebungen Georgiens und sollte | |
aufgehoben werden. Die Entscheidung über den weiteren Weg liege in | |
Georgiens Händen, heißt es da. | |
Doch warum geht die Regierung auf Konfrontation zur EU? Die Frage bleibt | |
offen. Dennoch zweifeln viele Georgier*innen nicht daran, dass | |
[2][Bidzina Iwanischwili] es ist, der die europäische Perspektive des | |
Landes erstickt. Der moskauaffine, milliardenschwere Oligarch und | |
Strippenzieher in der georgischen Politik arbeitet sich häufig an einer | |
„globalen Kriegspartei“ ab, die er im Westen verortet. | |
Viele Demonstrant*innen schauen jetzt auf Georgiens Staatspräsidentin | |
Salomé Surabischwili, die ein Veto gegen das Gesetz angekündigt hat. Dafür | |
hat sie zwei Wochen Zeit. Doch nur wenig deutet daraufhin, dass die | |
Proteste verstummen werden – trotz großer Gefahren. Innerhalb eines Monats | |
nahm die Polizei über 180 Demonstrant*innen fest. | |
Nach Angaben der georgischen Staatsanwaltschaft geben Dutzende von ihnen | |
an, während und nach ihrer Festnahme geschlagen worden zu sein. Doch | |
Premier Irakli Kobachidse dankte der Polizei für den „Schutz von Recht und | |
Ordnung“. Diese arbeite nach Standards, die „höher als die amerikanischen | |
und europäischen“ seien. | |
## Weitere Blockaden angekündigt | |
Es ist 23 Uhr. Immer noch strömen Menschen zum Heldenplatz. Die Leute heben | |
die Arme und schalten die Leuchten ihrer Handys ein. Über ein Megafon wird | |
verkündet, dass Demonstrant*innen in wenigen Minuten andere zentrale | |
Straßen blockieren würden. | |
Georges Schameraschwili sagt, dass alle Versuche, ihn und seine | |
Kollegen*innen einzuschüchtern, vergeblich seien. „Unsere Regierung | |
führt das Land in Richtung Diktatur“, sagt er mit Überzeugung. „Aber in | |
Georgien gibt es freie Menschen, die bereit sind, für die Freiheit zu | |
sterben.“ | |
Aus dem Russischen: Barbara Oertel | |
15 May 2024 | |
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## AUTOREN | |
Soso Burjanadze | |
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