# taz.de -- Streit um KZ-Gedenkveranstaltung: Überlebende bleiben fern | |
> Jedes Jahr gibt es eine Veranstaltung zum Gedenken an die Befreiung des | |
> KZ Bergen-Belsen. Eine Überlebenden-Organisation fühlt sich nun | |
> übergangen. | |
Bild: Gedenkveranstaltung zur Befreiung des Lagers, 2022 | |
HAMBURG taz | Um die Gedenkveranstaltung zum 79. Jahrestag der | |
[1][Befreiung des Konzentrationslagers (KZ) Bergen-Belsen] führt ein Streit | |
so weit, dass die israelische Organisation der Überlebenden von | |
Bergen-Belsen „Irgun S’hearit HaPlita“ den Zeremonien fernbleibt. | |
Die Stiftung niedersächsische Gedenkstätten (SNG), die die Gedenkstätte in | |
Bergen-Belsen betreibt, hat dieses Jahr den [2][5. Mai für die | |
Gedenkveranstaltung] ausgewählt. Der Termin liegt drei Wochen nach dem 15. | |
April, dem Tag, an dem 1945 britische Truppen etwa 53.000 Gefangene aus dem | |
Lager in der Nähe von Celle befreiten. | |
Die Stiftung, die vom Land Niedersachsen gefördert wird, richtet die | |
Veranstaltung jedes Jahr aus. Auch der Landesverband der jüdischen | |
Gemeinden Niedersachsen, der Mitglied im Stiftungsrat der Gedenkstätte ist, | |
ist an der Planung beteiligt. Neben dem Stiftungsrat gibt es einen | |
Stiftungsbeirat, der den Stiftungsrat berät und dem auch | |
Überlebendenverbände angehören. Einer dieser Verbände ist Irgun S’hearit | |
HaPlita. | |
Arie Olewski ist seit Februar Vorsitzender von Irgun S’hearit HaPlita. Er | |
kritisiert, dass sein Verband in diesem Jahr keine offizielle Einladung | |
erhalten und bei der Planung der Redner*innen nicht miteinbezogen worden | |
sei. Das passiere sonst jedes Jahr, sagte Olewski der taz. Er befürchte, | |
dass Israels Überlebendenorganisation künftig weniger einbezogen werden und | |
dass der internationale Ort [3][Bergen-Belsen] allein von Deutschen | |
verwaltet werde. | |
Erst im Februar habe er von einem Freund von dem Termin erfahren. | |
Festgelegt hatte die Gedenkstätte den Termin schon im vergangenen Herbst. | |
Das sei „viel Zeit, um uns in Israel auf den neusten Stand zu bringen“, | |
sagt Olewski. | |
Er könne nicht verstehen, wieso die israelische Organisation nicht | |
einbezogen worden seien. Zumal am 6. Mai in Israel Yom Hashoah begangen | |
werde, ein nationaler Gedenktag für die Opfer des Holocausts und den | |
jüdischen Widerstand: „Wie können sie erwarten, dass wir kommen, wenn wir | |
am nächsten Tag in Israel sein müssen?“, sagt Olewski. Er hatte der | |
Stiftung vorgeschlagen, den Gedenktag auf den 14. April vorzuziehen. Das | |
lehnte die Stiftung ab. | |
Stephanie Billib, Sprecherin der Gedenkstätte, erklärt die Wahl des Termins | |
ganz pragmatisch: Üblicherweise werde für den Tag der Gedenkveranstaltung | |
der erste Sonntag nach der Befreiung gewählt. Da dieser aber auf das | |
Pessach-Fest fiel und der nächste auf die Hannover-Messe, was entweder zu | |
teure oder gar nicht erst vorhandene Hotelzimmer bedeute, habe man sich auf | |
den 5. Mai festgelegt. Die Stiftung könne nicht auf alle nationalen | |
Feiertage Rücksicht nehmen. | |
Olewskis Vorschlag, den Termin auf den 14. April vorzulegen, halte die | |
Stiftung als Vertretung des Landes Niedersachsen für unangemessen. | |
Insbesondere in Deutschland könne man nicht vor dem Befreiungsmoment, als | |
die Menschen noch inhaftiert waren, der Befreiung gedenken. Man habe sich | |
zudem entschieden, dieses Jahr mehr zivilgesellschaftliche Akteure | |
einzubeziehen. | |
Ende Februar gab es bereits Uneinigkeiten zwischen der Organisation der | |
Überlebenden von Bergen-Belsen „Irgun S’hearit HaPlita“ und der Stiftung | |
niedersächsische Gedenkstätten. Kulturstaatsministerin Claudia Roth war | |
damals vorgeworfen worden, bei der Berlinale 2024 geklatscht zu haben, als | |
zwei Filmemacher sich auf der Bühne israelkritisch geäußert hatten. Die | |
Äußerungen der beiden Filmemacher waren von Kritiker*innen als | |
israelbezogener Antisemitismus eingeordnet worden. Später hatte Roth die | |
Geschehen bei der Berlinale-Gala [4][als teils antisemitisch motiviert | |
verurteilt]. | |
## Verwunderung beim Landesverband jüdischer Gemeinden | |
In einem offenen Brief, der der taz vorliegt, hatte Arie Olewski Ende | |
Februar angekündigt, seine Organisation werde Claudia Roth bei den | |
Gedenkfeierlichkeiten zum 15. April zur „Persona non grata“ erklären, | |
insofern diese ihre Beifallsbekundung auf der Berlinale nicht klarstelle | |
oder zurücknehme. Unterschrieben hatte er den Brief mit „Mitglied im | |
Stiftungsbeirat der SNG“. | |
Michael Fürst, der Vorsitzende des Landesverbands jüdischer Gemeinden in | |
Niedersachsen, sagte der taz, er sei „im hohen Maß von Olewskis Angriffen | |
und Schreiben verwundert“. Zumal man sich seit Jahrzehnten kenne. Er | |
verweist darauf, dass mit der israelisch-niederländischen Carry Polak-de | |
Beer durchaus eine Überlebende aus Israel auf dem Podium sprechen werde. | |
Polak-de Beer hatte Bergen-Belsen als Kind überlebt. Der [5][Gedenktag Yom | |
Hashoa] gelte zudem für Jüd*innen auf der ganzen Welt, den Tag könne man | |
auch in Deutschland begehen. | |
Arie Olewski erhielt von der Stiftung inzwischen eine Einladung zu einem | |
klärenden Gespräch. Wann das stattfindet, ist noch unklar. Vor der | |
Gedenkveranstaltung, an der er dieses Jahr nicht teilnimmt, jedenfalls | |
nicht. | |
30 Apr 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Gedenkstaetten-Leiterin-ueber-Claudia-Roth/!6003130 | |
[2] https://bergen-belsen.stiftung-ng.de/de/aktuell/79-jahrestag-der-befreiung/ | |
[3] /Bergen-Belsen/!t5015411 | |
[4] /Aufarbeitung-der-Berlinale/!6004036 | |
[5] /Holocaust-Gedenken-in-Jerusalem/!5847457 | |
## AUTOREN | |
Lilli Uhrmacher | |
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