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# taz.de -- Aufarbeitung der Berlinale: Nach dem Abspann geht es weiter
> Im Kulturausschuss des Bundestags geht es um die Antisemitismus-Vorwürfe
> gegen die Berlinale. Kein leichter Einstieg für die neue Leiterin Tricia
> Tuttle.
Bild: Tricia Tuttle und Claudia Roth auf der Berlinale-Bühne
Berlin taz | Die Amerikanerin Tricia Tuttle hat am 1. April ihren neuen Job
als Intendantin der Berlinale angetreten. Ihre Aufgabe ist anspruchsvoll
genug, sie soll das Filmfestival, das in den letzten Jahren an Glanz
verloren hat, programmatisch stärken.
In der öffentlichen Sitzung des Kulturausschusses des Bundestags an diesem
Mittwoch wurde sie aber nicht dazu befragt, wie sie das bewerkstelligen
wolle. Sondern wie sie bewertet, [1][was sich bei der Preisverleihung der
diesjährigen Berlinale Ende Februar auf offener Bühne zugetragen hat]. Und
wie sie in Zukunft verhindern will, dass das Filmfestival in der Art
politisch instrumentalisiert wird, wie das bei der Abschlussgala der Fall
war.
Bei dieser äußerten sich Preisträger, aber auch Mitglieder der Jury, in
einer Weise, die [2][von vielen Kritikern als antisemitisch], mindestens
aber antiisraelisch verstanden wurden. Der Filmemacher Ben Russell warf
Israel vor, in Gaza einen Genozid zu verüben. Der palästinensische
Regisseur Basel Adra sprach sich in seiner Dankesrede gegen weitere
Waffenlieferungen an Israel aus.
Der Dokumentarfilm [3][„No Other Land“], an dem er beteiligt ist und der
sich kritisch mit der Besatzung in der Westbank auseinandersetzt, bekam
einen Publikumspreis. Sein Kollege, der Israeli Yuval Abraham, bezeichnete
Israel als Apartheidstaat.
Medial kritisiert wurden nicht nur diese Äußerungen, sondern vor allem die
Einseitigkeit der Stellungnahmen. Niemand gedachte bei diesen der Opfer des
Terrorangriffs der Hamas am 7. Oktober und auch über die nach Gaza
verschleppten Geiseln wurde geschwiegen.
## Claudia Roth im Blickpunkt
In der Sitzung des Kulturausschusses musste sich vor allem
Kulturstaatsministerin Claudia Roth verteidigen. Dorothee Bär,
stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, legte ihr
indirekt den Rücktritt nah.
Roth verteidigte sich und machte glasklar deutlich, dass sie das Geschehen
bei der Berlinale-Gala als teils antisemitisch motiviert verurteile und
„jeden israelbezogenen Antisemitismus“ ablehne. Sie machte aber auch klar,
dass man bestimmte Meinungsäußerungen nicht so einfach verbieten könne. Die
von manchen geäußerte Forderung, sie hätte bei der Preisverleihung ja ihren
Zuschauerplatz im Saal verlassen und auf der Bühne eingreifen können, hielt
sie für grotesk. Und erklärte sich solidarisch mit Yuval Abraham, der
berichtete, er habe nach seinem Auftritt auf der Berlinale-Bühne
Morddrohungen erhalten.
Nachdrücklich empört zeigte sie sich, dass am Abend der Preisverleihung
auch noch [4][antisemitische Share-Pics] auf einem offiziellen
Instagram-Kanal der Berlinale auftauchten. Unter anderem einer mit dem
Slogan „Free Palestine from the river to the sea“. Sie erklärte noch
einmal, der Kanal sei gehackt worden und dass die Staatsanwaltschaft weiter
ermittle. Dass dieser vermeintliche Hack möglich war, zeigt, dass die
weitere „gründliche Aufarbeitung“ der Vorfälle auf der Berlinale, die sie
ankündigte, notwendig ist.
Dazu gehört auch ein weiterer Punkt, der bei der Sitzung angesprochen
wurde. Mariette Rissenbeek, die inzwischen aus dem Amt geschiedene
ehemalige Geschäftsführerin der Berlinale, erläuterte, dass sämtliche
Moderatoren und Moderatorinnen des Filmfestivals in Schulungen darauf
vorbereitet worden seien, wie bei problematischen Situationen umzugehen
sei. Um sich gegen eventuell geäußerte Vorwürfe an Israel der Kategorie
„Apartheidstaat“ zu wappnen.
Doch die Moderation bei der Preisverleihung habe jemand vom ZDF übernommen,
was ganz offensichtlich weder Rissenbeek noch Roth während des Festivals in
der Form klar war. Es klang ein wenig so, als hätte es damit das ZDF bei
der Gala verbockt und nicht die Berlinale-Leitung. Falls das so gewesen
sein sollte, steht dennoch die Berlinale in der Verantwortung, auch die
Moderatorin des öffentlich-rechtlichen Fernsehens über den eigenen code of
conduct zu unterrichten.
Tricia Tuttle, die sich wahrscheinlich einen konfliktfreieren Einstieg in
ihre neue Aufgabe gewünscht hätte, gab an, unter ihrer Ägide werde es für
Antisemitismus, Misogynie und andere Formen der Menschenfeindlichkeit
keinen Raum geben. Das freie Wort und die Kunstfreiheit wolle sie aber
dennoch schützen.
11 Apr 2024
## LINKS
[1] /Goldener-Baer-fuer-Doku-ueber-Restitution/!5991919
[2] /Antisemitismusvorwuerfe-auf-der-Berlinale/!5995673
[3] /Berlinalefilm-in-der-Westbank/!5995994
[4] /Antisemitismus-auf-der-Berlinale/!5994352
## AUTOREN
Andreas Hartmann
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