| # taz.de -- Wahlen in Nordmazedonien: Die Zeichen stehen auf Machtwechsel | |
| > Für die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen wird in Skopje mit einem | |
| > Rechtsruck gerechnet. Den Sozialdemokraten drohen Verluste. | |
| Bild: Kundgebung der jetzt favorisierten nationalkonservativen VMRO-DPMME Anfan… | |
| Bitola/Tetovo/Skopje taz | Bojan Jankovski, 18, groß gewachsen, modische | |
| Kurzhaarfrisur, kräftige Hände, füllt das Sieb seines Espressokochers mit | |
| frischem Kaffeepulver auf. Er hat viel zu tun an seiner mobilen Kaffeebar | |
| im Stadtpark in Bitola im äußersten Südwesten Nordmazedoniens. Es ist der | |
| orthodoxe Ostersonntag, der diesmal spät auf Anfang Mai gefallen ist. Das | |
| Wetter ist sommerlich, die Menschen sind draußen, Wahlplakate säumen die | |
| Straßen. „Ich gehe wählen, ich will mitbestimmen“, sagt Jankovski. | |
| Am Mittwoch finden in Nordmazedonien sowohl die Stichwahl um das | |
| Präsidentenamt als auch Parlamentswahlen statt. Genau 1.814.317 | |
| Wahlberechtigte sind dazu aufgerufen. Jankovski ist Erstwähler. Wem er | |
| seine Stimme gibt, habe er noch nicht entschieden. | |
| Klar sei für ihn: Die Großparteien SDSM (sozialdemokratisch) und VMRO-DPMNE | |
| (nationalkonservativ) kriegen sie „definitiv“ nicht: „Sie haben abwechsel… | |
| viel versprochen und wenig geschafft.“ Jankovski ärgert: Sein Land ist | |
| schon seit 2005, seinem Geburtsjahr, offiziell EU-Beitrittskandidat. Doch | |
| die EU-Mitgliedschaft liegt in weiter Ferne. | |
| Dabei würden einer Umfrage des Prespa-Instituts in Skopje zufolge 67 | |
| Prozent bei einem Referendum in Nordmazedonien für den EU-Beitritt stimmen. | |
| Jankovski muss weiter servieren, Kundschaft wartet. Seit 9 Uhr arbeitet er | |
| schon, heute werde er zwei Schichten hintereinander bis nach Mitternacht | |
| haben. Sein Verdienst dafür: umgerechnet knapp 30 Euro. | |
| ## Eine Koalitionsregierung ist wahrscheinlich | |
| „Hier leben wir nicht, hier überleben wir nur“, sagt ein paar hundert Meter | |
| weiter Goran Ristevski. In der Fußgängerzone in Bitolas malerischer | |
| Altstadt schiebt der 32-jährige Vater den Kinderwagen. Er arbeitet in der | |
| Fabrik einer deutschen Firma, die Zubehör für die Autoindustrie herstellt. | |
| Er weiß, für wen er in der Stichwahl um das Präsidentenamt wählen wird. | |
| Unverblümt sagt er: „Für Gordana. Es ist wichtig, dass eine Frau zum ersten | |
| Mal das Amt bekleidet.“ | |
| Die Chancen stehen gut. Gordana Siljanovska-Davkova, 70, von der VMRO-DPMNE | |
| unterstützt, ist Favoritin um die Stichwahl. [1][In Runde eins holte sie | |
| unter sieben Kandidaten satte 40 Prozent der Stimmen.] Amtsinhaber Stevo | |
| Pendarovski von der SDSM bekam nur halb so viele. Die Zeichen in Skopje | |
| stehen auf Machtwechsel. | |
| Das gilt auch für die Parlamentswahlen. Seit 2017 regiert die betont | |
| proeuropäische SDSM mit der größten ethnisch-albanischen Partei DUI. Wieder | |
| wird wohl keine einzelne Partei die absolute Mehrheit der 120 Sitze im | |
| Parlament in Skopje gewinnen. Mehrheitsbeschaffer sind traditionell die | |
| ethnisch albanischen Parteien. Ethnische Albaner stellen ein Drittel der | |
| Bevölkerung. | |
| „Es wird auf jeden Fall eine Regierungskoalition gebildet, und alles deutet | |
| darauf hin, dass sie von der VMRO-DPMNE geführt und noch aus der | |
| ethnisch-albanischen Koalition Vlen sowie der neuen ethnisch-mazedonischen | |
| Partei ZNAM bestehen wird“, sagt der taz der Politikprofessor Zoran | |
| Ilievski, Leiter des Zentrums für Politikforschung und -analyse an der | |
| Universität „Heiliger Kyrill und Method“ in Skopje. | |
| ## Bulgarien stellt Bedingungen für EU-Beitritt | |
| Zentrale Wahlthemen waren Rechtsstaatlichkeit und [2][der Weg zur vollen | |
| EU-Mitgliedschaft]. Ein Knackpunkt für Letzteres ist, dass der Nachbar | |
| Bulgarien fordert, die bulgarische Minderheit müsse in der Präambel der | |
| nordmazedonischen Verfassung erwähnt werden. SDSM, DUI und Staatspräsident | |
| Pendarovski sind dafür, VMRO-DPMNE und ihre Präsidentschaftskandidatin | |
| sehen das differenzierter. | |
| Konkret wolle die VMRO-DPMNE, so Politanalyst Ilievski, dass die | |
| Verfassungsänderungen, die für die Aufnahmen der Bulgaren in die Präambel | |
| nötig sind, mit einer Klausel verabschiedet werden, wonach sie erst mit | |
| Nordmazedoniens EU-Beitritt in Kraft treten. So sollen mögliche weitere | |
| Forderungen von Bulgarien ausgebremst werden. | |
| Heikel bleibt auch der neue Staatsname. Im sogenannten Prespa-Abkommen mit | |
| Griechenland, das 2019 einen jahrzehntelangen Namensstreit zwischen Athen | |
| und Skopje beilegte, wurde Mazedonien in Nordmazedonien umbenannt. | |
| Beobachter fragen sich nun, ob eine VMRO-geführte Regierung die | |
| Namensänderung rückgängig machen könnte. Die VMRO-DPMNE hatte sich | |
| schließlich gegen das Prespa-Abkommen gestellt. Parteichef Hristijan | |
| Mickoski nimmt den neuen Staatsnamen bis heute nicht in den Mund. Das | |
| dürfte indes nur verbale Gymnastik sein. „Die VMRO akzeptiert die | |
| verfassungsrechtliche Realität. Ihre Führer haben wiederholt erklärt, das | |
| Prespa-Abkommen nicht behindern zu wollen“, versichert Ilievski. | |
| Den ethnischen Albanern ist der Staatsname wie die Frage der bulgarischen | |
| Minderheit schnuppe. Sie wollen so schnell wie möglich den EU-Beitritt. Der | |
| ethnisch albanische Ökonom Gadaf Memedi, 34, schlägt sich seit zehn Jahren | |
| in der Stadt Tetovo als Kellner durch. So lange will er nicht mehr warten, | |
| bis sein Land EU-Mitglied wird. | |
| 8 May 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ferry Batzoglou | |
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