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# taz.de -- Nicht nur Schweden haben keine Freunde: Gemeinsam einsam
> Rund 700.000 Schwed*innen ab 16 Jahren haben keine engen Freunde. Dabei
> braucht es gar nicht viel, um Einsamkeit gesellschaftlich anzugehen.
Bild: Gemeinsam ist man weniger allein: Freunde in Stockholm
Hast du einen engen Freund, mit dem du über persönliche Dinge sprechen
kannst, wenn du das willst? Plötzlich war diese Frage in Schweden überall.
Menschen riefen in Radiosendungen an und erzählten, teils hörbar emotional,
von verlorenen Schulfreundinnen oder von der erlebten Unmöglichkeit, später
im Leben noch neue, tiefe Freundschaften aufzubauen. Zeitungen schrieben
über die Bedeutung enger Vertrauter und von Leuten, die nicht wissen, wie
sie es anstellen sollen. Expertinnen gaben Interviews.
Warum dominiert so ein privat anmutendes Thema die öffentliche Debatte?
Weil in einer Untersuchung fast 8 Prozent der Menschen die
Freundschaftsfrage mit Nein beantwortet hatten.
In absoluten Zahlen, wie die staatliche Statistikbehörde SCB sie hervorhob,
wurde es noch greifbarer: Rund 700.000 der über 16-Jährigen in Schweden
haben demnach keine engen Freunde. Das berührte viele.
Wenig überrascht klang allerdings die Psychiaterin Ullakarin Nyberg. Sie
sprach im Radio SR von „ein paar merkwürdigen Einstellungen“ im Land. Etwa,
dass stark sei, wer allein zurechtkomme – das präge Menschen mehr, als man
sich vorstellen könne. Niemand würde einfach mal sagen: „Ich bin einsam,
kannst du mir helfen?“ Ist es überhaupt irgendwo auf der Welt
zwischenmenschliche Routine, wegen Einsamkeit um Hilfe zu bitten?
## In Deutschland sieht es ähnlich aus
In Deutschland befragte 2019 YouGov eine statistisch relevante Auswahl an
Menschen: „Wie viele enge Freunde/Freundinnen haben Sie?“ Definiert wurde
es hier als „vertraute Personen, die Ihnen nahestehen“. Es kreuzten
tatsächlich 11 Prozent der Befragten „keine“ an.
Egal, wie man für sich eine enge Freundschaft definiert: Menschen brauchen
andere Menschen in ihrem Leben. Das bestätigte nicht nur Ullakarin Nyberg,
die schwedische Psychiaterin, das sagen Millionen Psychiater, Psychologen
und Milliarden Menschen mit allgemeiner Lebenserfahrung.
Und wenn wir davon ausgehen, dass eine Gesellschaft nur in Bewegung bleiben
und gut funktionieren kann, wenn die Grundbedürfnisse Einzelner erfüllt
sind – dann wird schnell klar, wie sehr [1][das vermeintlich private Thema]
die ganze Gesellschaft betrifft. Zugleich bleibt es ein persönliches, und
zwar eins, das alle mitgestalten können. Man braucht dafür weder Geld noch
Macht. Man muss nur hingucken: Wie kann ich für mich sorgen, wie für
andere?
Ich bin gerade neu in Schweden. Meine vertrauten Menschen sind in diesem
Frühling ein bis zwei Tagesreisen entfernt. An meinem Geburtstag, als auch
die Umfrage veröffentlicht wurde, habe ich zwar die wichtigsten Menschen
gesehen und gesprochen. Zum Glück wurde einst das Internet dafür erfunden.
Aber per Video ist es nicht dasselbe.
## Gemeinschaftlich fühlen
In solchen Fällen [2][reicht weniger, als manche glauben würden, um den
emotionalen Anschluss an die Menschheit nicht zu verlieren]. Ich habe Aino
gefragt, ob sie mitkommt zum Geburtstagslunch, ins Hotel mit der schönen
Aussicht. Sie hat vor mir in meinem Haus gewohnt, jetzt lebt sie
seniorengerecht im Dorf.
Wir verstehen uns blendend, ohne viel voneinander zu wissen. Wir stießen
mit alkoholfreiem Cocktail an und sie erzählte von den Finnen, die die
Brücke gebaut hätten, und von ihrer weitverzweigten Verwandtschaft. Ich
erzählte, was ich vergangenes Jahr an meinem Geburtstag gemacht habe. Zum
Abschied umarmten wir uns und bedankten uns beieinander – zwei Menschen,
zwei Stunden zusammen, ein bisschen mehr Gemeinschaft.
2 May 2024
## LINKS
[1] /Einsamkeit-in-der-Gesellschaft/!5597056
[2] /Einsamkeitsstrategie-der-Bundesregierung/!5976304
## AUTOREN
Anne Diekhoff
## TAGS
Isolationshaft
Einsamkeit
Schweden
Freundschaft
Studie
Pandemie
IG
psychische Gesundheit
Einsamkeit
Familie
Kolumne Postprolet
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