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# taz.de -- Verhaltensevolution bei Krähen: Krah, krah, krah
> Krähen meucheln Amseln, foltern Ratten und attackieren Menschen. Wollen
> sie nur ihre Brut schützen oder sind sind sie im Faken so gut wie wir?
Bild: Rabenvögel: Fiese Typen oder Nestbeschützer?
Nicht mal die taz ist noch sicher. Kollegin M. warnt im internen
Mailverteiler: „Eben wollte ich in einer Pause über die Dachterrasse
spazieren. Das passte einer grau-schwarzen Krähe nicht. Sie flog mich erst
mit ihren Krähenrufen an, fast ins Gesicht. Dann noch mal von hinten, die
Krähenfüßchen streiften durch mein Haar. Ich habe den Rückzug angetreten.“
Kein Ausnahmefall. Berichte über Aggrokrähen häufen sich. Gerade in Städten
scheinen die Rabenvögel immer häufiger arglose Passanten aus der Luft zu
attackieren. Am Berliner Robert-Koch-Institut hängen am Zaun bereits
Warnschilder – nicht etwa vor Querdenkern, sondern vor Krähen. In Passau
musste im letzten Jahr eine junge Frau ins Krankenhaus, nachdem sie auf dem
Fahrrad von einer Krähe so heftig bedrängt wurde, dass sie stürzte. Was ist
da los?
Die Dramaturgie solcher Texte gebietet es, dass jetzt der Tier-Erkläronkel
daherkommt und ruhig darlegt, wieso das alles ganz normale Vorgänge sind,
die lieben Vögelchen niemandem Böses wollen, nur ihr Nest beschützen, und
dass der Eindruck, solche Zwischenfälle häuften sich, ganz falsch sei. Aber
stimmt das?
## Tierschützer:innen fast beleidigt
Der RBB berichtet aus Finsterwalde (!) im Landkreis Elbe-Elster (!!) von
beunruhigenden Vorfällen. Kolkraben stürzten sich dort auf Kälber und
„hacken den Tieren die Augen und Gedärme aus“. Besonders infam: Die Vögel
warteten mittlerweile auf Geburten von Kälbern. Grund sei die Schläue der
Raben. Die unappetitlichen, aber ergiebigen Verhaltensweisen hätten sie
sich voneinander abgeguckt, jedwede Vergrämungsversuche von Lautsprechern
bis zu Schreckschussanlagen hätten die pfiffigen Vögel als harmlos enttarnt
und ignoriert.
Fürsprecher verteidigen das Abschussverbot stets damit, dass die
Meuchelmorde an Singvögeln nicht so häufig vorkommen und für die
Opferpopulationen nicht schädlich seien. Fast beleidigt hält der Nabu auf
seiner Website fest, dass die anderen außerdem angefangen hätten: „Wer
würde wohl auf die Idee kommen, die Reduzierung der Amseln zu fordern, nur
weil sie Regenwürmer fressen?“
Sie seien nun einmal Aasfresser, und irgendwer muss schließlich all die
heruntergefallenen Dönerschnipsel aufsammeln! Und die Ratten. Nebelkrähen
wurden dabei gefilmt, wie sie eine sich heftig wehrende Ratte am Schwanz
auf die Straße gezerrt haben, um sie von einem Auto überfahren zu lassen.
Danach war sie Aas und konnte straffrei aufgepickt werden.
## Superhirne der Tierwelt
Rabenvögel gehören zu den Superhirnen der Tierwelt wie Delfine und
Menschenaffen. Offenbar sind sie nicht nur in Sachen Intelligenz
menschenähnlich, sondern auch in Charakterfragen. Es scheint so, als hätten
einige Krähen einfach Spaß daran, Menschen zu lustigem Quietschrufen und
Armgewedel zu provozieren.
Rabenvögel haben gelernt, Stöcke als Werkzeuge einzusetzen, um Käferlarven
aus Bäumen herauszuprokeln, aber auch, Nüsse vor am Zebrastreifen haltende
Autos zu legen, damit diese sie beim Losfahren für sie knacken. Wenn
Forschende ihr schönes Gefieder mit roten Punkten verunziert haben,
versuchen sie, sobald sie das Malheur im Spiegel sehen, die Kleiderordnung
wieder in Ordnung zu bringen. Sie erkennen sich also nicht nur selbst
(Ichbewusstsein!), sie sind auch noch eitel. Untereinander menscheln sie:
Sie erkennen sich individuell, bilden Hierarchien, und Weibchen, die sich
mit ranghöheren Männchen paaren, steigen im Sozialgefüge auf. #ravetoo,
Julian Reichelt – bist du noch wach?
Kolkraben können die menschliche Sprache sogar besser lernen als Papageien.
Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis einer von ihnen bei Caren Miosga
im Einzelgespräch sitzt und erklärt, dass sie nur deshalb verstärkt in die
großen Städte gezogen sind, weil ihre ursprünglichen Lebensräume durch die
moderne Landwirtschaft zerstört wurden und sie in den aufgeräumten Fluren
weder ausreichend Nistgelegenheiten noch genug Futter finden.
Sie könnten darauf hinweisen, dass einige von ihnen sogar vom Aussterben
bedroht sind. Aber auch, dass sie letztlich nichts anderes machen als wir
Menschen: mit mitunter moralisch fragwürdigen Methoden für leckeres Essen
sorgen und etwas Spaß haben. Nur dass sie, verglichen mit uns, dabei nicht
gleich ihre eigene Existenzgrundlage gefährden. Wie gesagt: Sie sind ganz
schön schlau!
28 Apr 2024
## AUTOREN
Heiko Werning
## TAGS
Vögel
Biologie
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