# taz.de -- Widerstand auf den Kanaren: Massenprotest gegen Touristenmassen | |
> Die Kanaren gehören zu den beliebtesten Urlaubszielen. Demgegenüber | |
> stehen Armut und Naturzerstörung. Viele Einheimische gingen nun auf die | |
> Straße. | |
Bild: Viele auf den Kanaren profitieren vom Besucheransturm wenig: Protestaktio… | |
MADRID taz | Auf allen acht bewohnten Kanarischen Inseln gingen am | |
Wochenende insgesamt mehr als 100.000 Menschen auf die Straße. „Die Kanaren | |
stoßen an ihre Grenze“, lautete das Motto. Die Forderung: ein Ende des | |
Massentourismus in der bisherigen Art und ein Modell, das respektvoller mit | |
Natur und Ressourcen umgeht. | |
[1][Auf Gran Canaria und Teneriffa versammelten sich am Samstag laut | |
Veranstalter jeweils 50.000 Menschen], 9.000 auf Lanzarote, 5.000 auf | |
Fuerteventura und selbst auf den kleinen Inseln wie La Gomera, La Palma | |
oder El Hierro, die vom Massentourismus weniger betroffen sind, waren es | |
mehrere Hundert. Die Veranstalter, ein breites Bündnis aus | |
Umweltschutzorganisationen und Bürgerinitiativen, sprachen von einem | |
„historischen Tag“. | |
In Madrid, Barcelona, Palma de Mallorca und Málaga hielten die dort | |
lebenden Menschen mit kanarischen Wurzeln Solidaritätskundgebungen ab. | |
Allen Städten gemein ist der außer Kontrolle geratene Tourismus, der die | |
Wohnungspreise in die Höhe schnellen ließ. Selbst in London und Berlin | |
versammelten sich Immigranten von den Kanaren, um die Proteste in ihrer | |
Heimat zu unterstützen. | |
„Coalición Canaria es una imobiliaria“, lautete eine der am meisten | |
wiederholten Parolen auf den Protestveranstaltungen. Übersetzt: Die | |
Regierungspartei auf den Kanaren sei ein Immobilienunternehmen. Einer der | |
Auslöser, warum der Unmut sich gerade jetzt entlud, ist die Wiederaufnahme | |
des Baus zweier umstrittener Tourismusprojekte in bislang unberührten | |
Küstenabschnitten auf Teneriffa. Die konservativ-regionalistische | |
Inselregierung, die seit vergangenen Sommer im Amt ist, hat die meisten | |
Baubeschränkungen aufgehoben. Jetzt darf auch in einst ländlichem Raum und | |
selbst in einigen geschützten Gebieten gebaut werden. | |
## „Wir wollen Gastgeber sein und keine Sklaven“ | |
Und das, obwohl die Inseln bereits jetzt doppelt so viele Touristen | |
aufnehmen wie noch vor 15 Jahren. Für dieses Jahr werden 17 Millionen | |
Besucher erwartet. Die Inseln werden – dank des Klimas – das ganze Jahr | |
über von Touristen stark frequentiert. 150 Millionen Übernachtungen pro | |
Jahr zählt das Hotelgewerbe – die Kanaren zählen damit zu den beliebtesten | |
Touristenzielen weltweit. | |
Dieser Massentourismus führt zu Staus, zu überfüllten Stränden, Restaurants | |
und sonstigen Einrichtungen. Wegen Langzeitvermietungen an | |
Winterflüchtlinge aus Nord- und Mitteleuropa sind die Wohnungspreise in | |
vielen Städten und Gemeinden auf den Inseln gestiegen. „Wo sollen wir | |
wohnen?“, fragte sich so mancher der Demonstranten auf seinem Pappschild. | |
Wegen des Klimawandels werden die Kanaren immer trockener. Im Süden von | |
Teneriffa wurde vergangenen Sommer das Wasser rationiert, während es den | |
Touristen an nichts fehlte. Pools wurden weiter gefüllt, der Rasen der | |
Golfplätze besprenkelt. Neben umstrittenen Bauvorhaben sind solche | |
Maßnahmen mitverantwortlich für den Unmut der Bevölkerung. An immer mehr | |
Urlaubsorten werden Parolen gegen Tourismus gesprüht. | |
## Forderungen nach einem Baustopp | |
[2][In Teneriffa], der Insel, die rund ein Drittel des Tourismus auf den | |
Kanaren aufnimmt und von den anderen Inseln als so etwas wie ein Beispiel | |
für Entwicklung angesehen wird (oder wurde), führten die Demonstranten das | |
Bild einer Kuh mit sich: „Ich geb’ keine Milch für so viele Leute“, stand | |
zu lesen. Es war die Antwort auf den Sprecher des Hotel- und | |
Gaststättenverbands, der im Vorfeld der Proteste forderte, man möge die | |
Kuh, die Milch gibt, doch bitte in Ruhe lassen. | |
Die Tourismusbranche macht etwa ein Drittel der Wirtschaftsleistung der | |
Kanaren aus. Nur: Bei der Bevölkerung kommt wenig vom Gewinn an. Zwar | |
stellt das Geschäft mit Strand und Sonne 40 Prozent der Arbeitsplätze, doch | |
sind die Löhne meist sehr niedrig, Überstunden werden oft nicht bezahlt. | |
Die Kanaren sind trotz des Besucheransturms die ärmste Region Spaniens: 36 | |
Prozent der Bevölkerung sind von Armut bedroht oder leben in Armut. „Wir | |
wollen Gastgeber sein und keine Sklaven“, war auf einem Transparent zu | |
lesen. | |
Unter den Teilnehmern auf der Kundgebung in Teneriffa befanden sich sechs | |
Aktivisten der Gruppe „Die Kanaren gehen zu Ende“, die sich seit zehn Tagen | |
im Hungerstreik befinden. Sie fordern einen Baustopp jener beiden | |
umstrittenen Tourismusprojekte in La Tejita und Cuna del Alma. „Jetzt sind | |
wir nicht mehr ein Handvoll Leute, sondern ein ganzes Volk, das verlangt, | |
dass das Modell überdacht und geändert wird“, kommentierte deren Sprecher. | |
21 Apr 2024 | |
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## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
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