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# taz.de -- Fotograf über Menschen im Einkaufscenter: Raus aus dem Konsumfluss
> Fotograf Wolfram Hahn porträtiert Menschen in Berliner Einkaufszentren.
> Dabei fängt er ein, wofür diese Orte außerdem stehen: Begegnung und
> Kontraste.
Bild: Einer von vielen Menschen, denen Wolfram Hahn in Einkaufszentren begegnete
wochentaz: Herr Hahn, für Ihre Fotoarbeit „Center“ haben Sie Menschen
[1][in Einkaufszentren in Berlin] fotografiert. Warum dort?
Wolfram Hahn: Ich begreife Einkaufscenter als Begegnungsorte. Wo Menschen
zusammenkommen, die sonst eigentlich nicht zusammenkommen würden, denn
einkaufen gehen muss jeder irgendwann. Und dadurch, dass Einkaufscenter
vielerorts die Infrastruktur ganzer Einkaufsstraßen vereinnahmt haben, ist
es schwierig ihnen aus dem Weg zu gehen. Teilweise befinden sich sogar
Arztpraxen in diesen Centern. Nur sind diese Orte nicht öffentlich, sondern
privatisiert. Man darf sich dort nicht politisch oder kulturell äußern wie
im öffentlichen Raum. Für mich war das auch ein Grund, dort hinzugehen und
genau das zu machen – kulturelle Arbeit.
Wie war es, in so einer Mall Menschen anzusprechen?
Die meisten Leute haben ja einen Plan, was sie einkaufen möchten, und
rennen relativ schnell durch. Einfacher ist es mit Menschen, die dort
verweilen. Das sind oft Jugendliche oder Rentner, die den Ort eben auch als
Begegnungsort nutzen. Und es gibt [2][viele Obdachlose, die dort den Tag
überbrücken], bis die Notunterkunft wieder öffnet. In der Regel sind die
Leute überrascht, dass jemand sie fotografieren will. „Warum ausgerechnet
mich?“ Ich habe ihnen dann erklärt, wie ich versuche, das Einkaufszentrum
durch künstlerische Arbeit umzufunktionieren. Das fanden viele interessant.
Ich höre oft von Fotograf:innen, die im öffentlichen Raum arbeiten, dass
die meisten Menschen gar nicht mehr fotografiert werden wollen. Was haben
Sie für Erfahrungen gemacht?
Von fünf bis zehn Personen, die ich anspreche, lässt sich ungefähr eine
fotografieren. Es kommt immer darauf an, wer vor einem steht. Jugendliche
haben oft ein bisschen Angst, dass ihre Bilder in falsche Hände oder Kanäle
geraten könnten. Das kann ich verstehen. Ich versuche immer, direkt
transparent zu machen, was mit den Bildern passiert, und das Konzept meiner
Arbeit kurz und verständlich zu vermitteln. Neben der schriftlichen
Einwilligung, die ich mir geben lasse, schicke ich der Person auch das
Porträt per Mail zu. Natürlich können sie ihr Einverständnis auch jederzeit
wieder zurückziehen.
Diese Menschen, die Sie täglich in den Centern angetroffen haben und die
dort auch länger verweilen – ist das üblich für ein Einkaufszentrum?
Ich denke, ja. Es hängt vielleicht ein bisschen davon ab, wo das Center
ist. Wenn es in einer Infrastrukturwüste steht, dann verbringen die Leute
da auch eher Zeit, weil sie dort auch einen Kaffee trinken können, wie in
einem Café. Das ist der Gedanke vom Marktplatz, der den Centern innewohnt.
Dass man sich dort regelmäßig trifft, dass die Nachbarschaft dort
zusammenkommt. Ich mag es, die Leute dann immer wieder zu fotografieren,
wenn sie es zulassen. Das ist mein Moment der Begegnung.
Den Ort selbst, also das Center, sieht man in Ihrer Fotoarbeit gar nicht
wirklich. Sie haben meistens einen Oberkörperausschnitt gewählt mit einem
unscharfen Hintergrund. Warum?
Ich benutze ein Stativ, das soll entschleunigend wirken. Ich will die Leute
quasi raus ziehen aus dem Konsumfluss. Ich arbeite mit dem Licht, das dort
ist, weil ich den Ort nicht durch einen Blitz, also künstlich gesetztes
Licht, verfremden möchte. Ich möchte so die Atmosphäre des Centers im Bild
einfangen, die erzeugt wird von den vielen Lichtern und den reflektierenden
Materialitäten. Der einzelne Ort ist im Prinzip austauschbar. Ihn zu
reproduzieren, das wäre Reklame.
Wie nehmen Sie die Atmosphäre wahr?
Alles ist leuchtend und grell und will Aufmerksamkeit haben. Wie sich dann
diese Lichter auf den Gesichtern und auf den Körpern niederschlagen, das
finde ich total spannend. Denn es erzeugt einen Kontrast zwischen dem
Menschen, der in dem Moment der Aufnahme kein Konsument mehr ist, und
dieser Lichtstimmung, die Aufmerksamkeit fordert, die den Menschen
unablässig zum Konsum auffordert. Ich konzentriere mich auch deshalb auf
den Menschen und nicht auf den Raum.
7 Apr 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Erik Irmer
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Fotografie
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