# taz.de -- Shell vor Gericht: Konzern sieht „Energie-Trilemma“ | |
> Der Ölkonzern kämpft in den Niederlanden gegen ein Klima-Urteil von 2021. | |
> Das Verfahren wird zur Werbeveranstaltung. | |
Bild: Donald Pols von Milieudefensie vor dem Gericht in Den Haag | |
DEN HAAG taz | Ein Prozess mit großer Signalwirkung steht in dieser Woche | |
in den Niederlanden an: Vor dem Gerichtshof in Den Haag begannen am | |
Dienstag die Anhörungen im Berufungsverfahren des Öl- und Gaskonzerns Shell | |
gegen die Umweltorganisation „Milieudefensie“. | |
Nach einer Klage des niederländische Zweigs von „Friends of the Earth“ | |
wurde Shell im Mai 2021 verurteilt, seinen CO2-Ausstoß bis 2030 um 45 | |
Prozent gegenüber dem Stand von 2019 zu senken, [1][um dem Klimawandel | |
entgegenzuwirken]. Das Urteil erregte weltweit Aufmerksamkeit, weil es | |
erstmals die Verantwortung eines Unternehmens gerichtlich festgelegt hatte. | |
Im vollbesetzten Gerichtssaal kamen am Dienstag vor den Augen zahlreicher | |
internationaler Medienvertreter*innen die beteiligten Parteien zu | |
Wort. Im Zentrum stand dabei zunächst das Plädoyer des Unternehmens. | |
Unterstützt von eingespielten Grafiken und Übersichtstafeln versuchte Shell | |
zu belegen, warum dem Urteil aus erster Instanz die „faktische und | |
juristische Grundlage“ fehle. | |
## Balanceakt mit Promo-Film | |
Der Konzern ist der Meinung, Klimapolitik und CO2-Verminderung seien keine | |
Aufgabe der Justiz, „sondern der Staaten, und Betriebe halten sich daran“. | |
In diesem Rahmen bekannte er sich zu der „Notwendigkeit“, Emissionen zu | |
reduzieren, sowie zu dem Pariser Klimaabkommen. Um dessen Ziele zu | |
erreichen, habe Shell zahlreiche Maßnahmen eingeleitet, etwa Biokraftstoffe | |
gefördert oder Ladestationen für Elektrofahrzeuge errichtet. | |
Teilweise balancierten die Unternehmensvertreter mit ihren Folien und einem | |
eingespielten Promotion-Film auf dem Rand zu einer Werbeveranstaltung, die | |
das Narrativ der grünen technologischen Erneuerung ins Zentrum stellte. | |
Mit dem Schlagwort des „Energie-Trilemmas“ verknüpft der Konzern seine | |
Strategie mit der aktuellen Debatte zu Nachhaltigkeit und Energiewende. | |
Trilemma bedeutet, dass Klimainteressen mit Energiesicherheit und | |
Bezahlbarkeit abgestimmt werden müssten. | |
Ohne eine ausgewogene Mischung drohe der Wandel hin zu Erneuerbaren zu | |
scheitern; die „Menschen müssen Energie bezahlen können“, so das Argument. | |
Shell greift damit auf die einschneidenden Erfahrungen von Energiekrise und | |
Inflation zurück, die zwischen dem Urteil von 2021 und dem | |
Berufungsverfahren liegen. | |
## Soziale Frage als Narrativ gegen nachhaltige Politik | |
Mehrfach schwangen sich die Redner auch zum Anwalt von „verletzbaren | |
Gruppen“ auf, die in der Transformation der Energiesysteme zurückfallen | |
könnten, wenn die „Klima-Interessen“ über die anderen gestellt würden. D… | |
ist ein regelmäßiges Narrativ in aktuellen Diskursen, das nachhaltiger | |
Politik vorwirft, unsozial zu sein. | |
[2][Zudem seien die Veränderungen für einzelne Unternehmen durch juristisch | |
auferlegte Emissionsreduzierungen zu groß.] Der niederländischen Wirtschaft | |
drohten schwere Folgen und dem Land eine „Deindustriealisierung“. | |
Dieses Argument spielt auf die laufende Kampagne von Milieudefensie an, 30 | |
Schwergewichte der niederländischen Wirtschaft anklagen zu wollen, wenn sie | |
keinen Klimaplan vorlegen, um „schneller nachhaltig zu werden“. Im Januar | |
kündigte die Organisation eine Klage gegen ING als „Bankier der Klimakrise“ | |
an, um deren CO2-Ausstoß zu halbieren und die Zusammenarbeit „mit | |
verschmutzenden Betrieben zu beenden. | |
Milieudefensie, das im Berufungsprozess unterstützt wird von anderen | |
Umweltgruppen wie Greenpeace Netherlands oder Fossil-Free NL, setzt damit | |
auf sogenannte Klimaklagen als Strategie. Direktor Donald Pols erläuterte | |
dies 2023 gegenüber der taz so: „Wissenschaftlich ist die Erderwärmung | |
eindeutig belegt, es gibt Unterstützung in der Bevölkerung für Klimaschutz, | |
er ist bezahlbar – warum funktioniert es nicht, ambitioniertere Absprachen | |
zu treffen?' Irgendwann wurde mir klar: Wir müssen uns auf die großen | |
Verschmutzer richten.“ | |
Das Plädoyer vor dem Gericht in Den Haag begann am Nachmittag erst nach | |
Redaktionsschluss. Im Vorfeld verwies Milieudefensie auf weitere von Shell | |
geplante Öl- und Gasförderungsprojekte. Anwalt Roger Cox betonte: „Die | |
wissenschaftliche Grundlage, auf der wir unsere Klage gegen Shell gegründet | |
haben, hat sich noch verfestigt. Vor Gericht sind es Fakten, die zählen. | |
Darum bin ich zuversichtlich, dass wir die Richter*innen einmal mehr | |
überzeugen können, dass Shell in Übereinstimmung mit internationalen | |
Klimaabkommen handeln muss.“ Das Urteil wird im Herbst erwartet. | |
2 Apr 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Studie-zu-Fossilkonzernen/!5978273 | |
[2] /Greenpeace-gegen-Norwegens-Regierung/!5944078 | |
## AUTOREN | |
Tobias Müller | |
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